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Zwischen Realität und Deklaration

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Bis zum Frühjahr 1985 will sich die FPÖ ein neues Parteiprogramm verpassen. Essoll nach Norbert Steger betont liberale Züge tragen. Herauskommen wird wohl ein national-liberaler Kompromiß.

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Bis zum Frühjahr 1985 will sich die FPÖ ein neues Parteiprogramm verpassen. Essoll nach Norbert Steger betont liberale Züge tragen. Herauskommen wird wohl ein national-liberaler Kompromiß.

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Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist durch die erstmalige Regierungsbeteiligung in stärkere Turbulenzen als üblich geraten. Die Auseinandersetzung mit der Bundespartei, die Distanzierung von deren Obmann erschien in einigen Landesgruppen als geeignete Uberlebensstrategie.

Verquickt mit den Querschüssen gegen die neue Regierungsfunktion der FPÖ, ist auch die Frage nach der ideologischen Substanz dieser Partei wieder aufgetaucht, die alte Frage nach

Selbstverständnis und Beurteilung des deutschnational-liberalen Lagers.

Schon vor dem Eintritt in die Regierungskoalition wurde, gewiß gefördert durch eine fortschreitende Generationenablöse der freiheitlichen Funktionäre, die Ausarbeitung einer neuen Grundsatzprogrammatik gefordert.

Das geltende Programm vom Bad Ischler Parteitag 1968 wurde zu Recht als veraltet und unzulänglich angesehen. Das viel lieber zitierte „Freiheitliche Manifest zur Gesellschaftspolitik" aus 1973 mit liberalen Schriftzügen ist politisch nicht flächendeckend angelegt.

Der letzte Bundesparteitag am 15. und 16. September in Salzburg läßt nun Aufschlüsse über einen Wandel im programmatischideologischen Profil der Freiheitlichen zu, nimmt man die bisherige Arbeit des Programmausschusses als Richtschnur.

Wie realistischerweise nicht anders zu erwarten, wird auch das neue Programm die Züge eines Kompromisses aufweisen und sowohl den „Nationalen" als auch den „Liberalen" entsprechende Anknüpfungspunkte bieten. Verschiebungen im Bedeutungsgehalt dürften gleichwohl zu Tage treten und eine Entschärfung tatsächlicher oder vermeintlicher Konfliktlinien bringen.

Im allgemeinen Teil des vorläufigen Programmentwurfes, im sogenannten „Kompaßteil", wird eine solche Harmonisierung versucht, wenn beide traditionelle Richtungen des Dritten Lagers vom Freiheitsbegriff her unter einen Hut gebracht werden sollen.

Das nationale Bekenntnis der FPÖ wird nicht aufgegeben: „Volkstum und Heimat sind für uns unverzichtbare Werte. Wir wollen eine nationale Politik, die den Völkern und Volksgruppen die Wahrung ihrer Lebensrechte und die Entfaltung ihrer Eigenart mit Hilfe liberaler Politik auf friedliche Weise ermöglicht."

Die in der deutschen und österreichischen Geschichte angelegte Brisanz des „Nationalen" scheint im Programmentwurf kaum mehr vorhanden zu sein. Volkstum und Heimat stellen Begriffe und Wertpostulate dar, die auch außerhalb des Dritten Lagers vielfachen Anklang finden.

Zur Vorsicht gemahnen Erinnerungen, daß mit „Volkstum" auch einmal Linien zu „völkischer Politik" und „Herrenrassen" gezogen wurden. Solchen Interpretationen will der Entwurf mit entschieden klaren Aussagen entgegentreten, indem liberale Grundtugenden für ethnische Probleme bemüht werden und jegliche Diskriminierung verhindern sollen.

Die Politik ist, nach Max Weber, mit einem geduldigen Bohren harter Bretter vergleichbar. Programmatische Aussagen begründen immerhin einen Anspruch, auf die Gestaltung der Wirklichkeit Einfluß zu nehmen.

In diesem Sinne wird auch erst die weitere Entwicklung in der FPÖ zeigen, ob die Einwände, Bedenken und Vorbehalte, die bisher der deutschnationalen Tradition von außen entgegengebracht wurden, durch Ausarbeitung des künftigen Programms einschließlich seiner praktischen Umsetzung als überholt betrachtet werden können.

Der Schwierigkeit, das nationale Bekenntnis der FPÖ in unverfängliche Formen zu bringen, stehen allerdings auch Schwierigkeiten im Ausbau des Liberalismus gegenüber. Die bisher bekanntgegebenen Entwurfteile lassen vermuten, daß das neue Programm auf einer Weiterentwicklung und Ausdehnung des „Manifests" von 1973 beruhen wird.

Ganz allgemein soll angemerkt werden, daß eine eigenständige, unverwechselbare Konturierung der FPÖ als „die Liberalen" nur teilweise, nur gegen bestimmte andere Richtungen im ideologischen Spektrum möglich sein wird, kaum gegen die beiden Großparteien schlechthin.

Der Ausbau des demokratischen Rechtsstaates, Sicherung und Erweiterung der Grund- und Freiheitsrechte, die Förderung der partnerschaftlichen Familie, das Eintreten für Chancengerechtigkeit, eine marktwirtschaftliche Ordnung im Rahmen sozialer und ökologischer Vorgaben, die Zielrichtung einer europäischen Integration und Einigung - um hier nur einige Stichworte zu nennen —, das alles sind Leitlinien und Programmpunkte, die vielen Parteien gemeinsam sind.

Wenn solcherart Hauptziele liberaler Politik festmachbar sind, dann ist auch klar, daß liberale Politikvorgaben weitverbreitete Zielvorgaben sind. Sie finden sich auch neben anderen, davon spezifisch unterschiedenen Aussagesystemen in Programmen und sonstigen Erklärungen der beiden Großparteien, die als relativ voluminöse Tanker auch und nicht zuletzt Liberale an Bord haben.

Wenn liberale Theorie das Sub-sidiaritätsprinzip für sich reklamiert, wird auch die katholische Soziallehre auf ihre Vaterschaft pochen. Wenn liberale Theorie Schranken der sozialen Herkunft überwinden will, wird auch die Sozialdemokratie nicht abseits davon stehen.

Nicht wegzuleugnen bleibt jedenfalls der Umstand, daß eine reinliche Scheidung der österreichischen Parteienlandschaft anhand der übertragenen ideologischen Grundbezeichnungen, wie sie aus dem 19. Jahrhundert herrühren, nicht mehr möglich ist und bloß einen Schlagwortekrieg provozieren kann.

Liberale Politikvorstellungen brauchen durchaus nicht zu den allein seligmachenden verklärt und verfälscht werden. Auch sie müssen für Kritik offen bleiben und haben sich der Konkurrenz anderer politischer Ideologien zu stellen.

Im Österreich von heute bedeuten sie inhaltlich aber, gleich unter welch anderer Etikettierung sie gehandelt werden, eine „Politik der Mitte", eine Politik, die grundsätzlich mehrheitsfähig ist, die grundsätzlich auch von SPÖ und ÖVP in Anspruch genommen wird. ♦

Deswegen liegt die Chance der Freiheitlichen, künftig als die Liberalen in der österreichischen Politik Erfolge einstreifen zu können, auch nicht in einer „perfekt" liberalen Programmatik. Die kann es wahrscheinlich gar nicht geben.

Die Chance liegt vielmehr darin, die liberalen Grundwerte und Regulative glaubhafter und unbeeinträchtigter als die Parteienkonkurrenz in den politischen Vorhaben und Taten vorzuzeigen, im besten Sinne vorzuleben.

Ein solcher Weg über den „Allparteien-" oder „Allerweltslibe-ralismus" hinaus wird von allen, die ihn beschreiten wollen, noch viele Anstrengungen gerade jenseits der papierenen Deklarationen verlangen.

Der Autor ist Universitätsassistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.

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