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Zwischen Recht und Moral

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Nicht ohne Vorbedacht wurden in zwei Beiträgen zum Ehenichtigkeitsverfahren die Grenzen der Möglichkeiten sowohl verfahrensmäßig als auch prozeßinhaltlich aufgezeigt. Wenn diese Grenzziehung vielleicht zu pointiert erschien, so lag das an der Notwendigkeit, die Möglichkeiten aber auch Beschränkungen des Kanonischen Rechts aufzuzeigen. Leider gehört es zu den Zeichen unserer Zeit, daß das Kirchliche Recht zum Prügelknaben für Probleme gemacht wird, die theologisch noch nicht ausgereift sind. Alles Ungenügen pastoraler Methodik oder auch theologischer Weiterarbeit wird dann in das Sammelbecken kirchenrechtlicher Wunschträume geleitet und jeder Versuch, dieser Flut nicht zu unterliegen, als Engherzigkeit von Vertretern einer Rechtsordnung gebrandmarkt, die neben dem Leben zu stehen scheint.

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Nicht ohne Vorbedacht wurden in zwei Beiträgen zum Ehenichtigkeitsverfahren die Grenzen der Möglichkeiten sowohl verfahrensmäßig als auch prozeßinhaltlich aufgezeigt. Wenn diese Grenzziehung vielleicht zu pointiert erschien, so lag das an der Notwendigkeit, die Möglichkeiten aber auch Beschränkungen des Kanonischen Rechts aufzuzeigen. Leider gehört es zu den Zeichen unserer Zeit, daß das Kirchliche Recht zum Prügelknaben für Probleme gemacht wird, die theologisch noch nicht ausgereift sind. Alles Ungenügen pastoraler Methodik oder auch theologischer Weiterarbeit wird dann in das Sammelbecken kirchenrechtlicher Wunschträume geleitet und jeder Versuch, dieser Flut nicht zu unterliegen, als Engherzigkeit von Vertretern einer Rechtsordnung gebrandmarkt, die neben dem Leben zu stehen scheint.

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Im folgenden soll nun ‘der Versuch gemacht werden, wenigstens die Ansatzpunkte der in Fluß geratenen Auseinandersetzung aufzuzeigen. Wir sind uns dabei der Gefahr dieses Unterfangens bewußt, weil die bloße Information zur Tendenz umgedeutet werden könnte, als stünde der Verfasser hinter all jenen Versuchen, über die er objektiv referiert. Nicht minder ist die Gefahr, daß ein Hinweis auf theologische Erörterungen bereits als Handhabe betrachtet wird, um sofort praktische Anwendungsmöglichkeiten zu finden. Die vertieften Kontakte zur Orthodoxie und die Wortmeldungen von Vertretern der mit Rom vereinigten Ostkirchen während des II. Vatikanums und in der nachkonziliaren Epoche haben das Augenmerk erneut auf jenes dunkle Herrenwort gerichtet, dem wir im Matthäus- evangelium begegnen (5, 32). Es ist jene Klausel, die die Ausnahme zu enthalten scheint, wenn Jesus das allgemeine Scheidungsverbot ausspricht, eine Einschränkung, die je nach Übersetzung des griechischen pomeia als Unzucht oder Ehebruch zu verstehen ist. Die exegetischen Versuche, diesem Wort eine andr-e Bedeutung zu geben, als es ihm nach Auffassung der Orthodoxie und der Kirchen der Reformation zukommt, haben durch ihre Vielfalt von Lösungsvorschlägen das Bild eher verwirrt als geklärt. Dennoch scheint sich zur Stunde eine Erklärung in den Vordergrund zu schieben, die der Praxis der Urkirche zugeschrieben wird. Jesus habe in der Bergpredigt einen sittlichen Rigorismus gefordert, der sich nicht nur auf die Ehe bezieht. Dazu gehört im gleichen Zusammenhang (5,34) das absolute Verbot der Eidesleistung, wie auch die Aufforderung zur Gewaltlosigkeit (5, 39). Darin liege der Hinweis auf einen Idealzustand, der den Sinn des „Zielgebotes” annehme. Es bedeute jedoch eine ungeheure Anforderung an den einzelnen, wenn er in konkreten Gegebenheiten die buchstäbliche Verwirklichung des Zielgebotes zur Tat werden lassen müsse. Daher lasse sich weder der Verricht auf die Eidesleistung noch auf die Gewaltanwendung zur ständigen Norm erheben. Ebensowenig sei es angezeigt, das Scheidungsverbot des Herrn zum Inhalt eines Rechtssatzes werden zu lassen.

Wohl spricht Paulus vom Gebot des Herrn, sich nicht scheiden zu lassen, fügt aber, kraft seiner Autorität, eine Ausnahme hinzu: Will der nichtchrisitliche Gatte sich trennen, so soll der christliche Teil in diesem Fall nicht >gebunden sein (I Kor. 7, 10 f bzw. 15). So habe auch Paulus auf die Bedürfnisse der Urgemeinde Rücksicht genommen und eine Ausnahme hinzugefügt, wie auch Matthäus oder ein späterer Redaktor es getan haben.

Belohnung des Ehebruchs?

Nach dem herkömmlichen katholischen Verständnis, erscheint die ost- kirchliche Praxis sinnwidrig, da der Ehebruch mit einer Belohnung versehen wird. Er eröffnet den Weg zu einer neuerlichen Eheschließung, andere schwerwiegende Gründe, die nicht durch diese sittliche Fehlhaltung bedingt sind, vermögen es jedoch nicht. Zum besseren Verständnis der ostkirchMchen Interpretation müßte allerdings mehr als ein Gesichtspunkt berücksichtigt weirden, nicht nur jener des menschlichen Versagens, sondern auch des Verlangens, trotz der Sünde zu einer neuen Regelung zu gelangen. So lag es denn in der logischen Weiterführung des Herrenwortes (oder des Zusatzes), neben den Ehebruch auch andere Scheidungsgründe zu stellen, wie Verschollenheit!, Gefangenschaft, geistige Umnachtung, Aussatz, Verweigerung der ehelichen Pflichten, Hochverrat, unsittliches Verhalten u. a. m.

Der zweite Ansatzpunkt der Gegenwartsdebatte findet sich im Begriff des Ehevollzuges. Die Begegnung mit einer Umwelt, in der die Ehe als bereits ausgeprägte Institution erschien, beeinflußte auch das kirchliche Denken über den Beginn der Ehe. Die Erlegung des Kaufpreises für die Frau, ihre Heimführung in das Haus des Bräutigams, hätten ebensogut den Beginn der Ehe bezeichnen können wie die Äußerung des Ehewil- lens oder die Begründung der ehelichen Gemeinschaft durch das Beilager, den Vollzug der Ehe. Wenn die ehebegründende Funktion von Konsens und Vollzug in Widerstreit lagen, so war die Kontroverse durch die Begegnung der Kirche mit . zwei Kulturkreisen bedingt. Den Ursprung der Beischlafstheorie der Kirche anzulasten, als habe sie das Geschlechtliche überbewerten wollen, ist historisch-genetisch ein mißglücktes Unterfangen. Viel eher müßte hier zugegeben werden, daß die heutige Kompromißlösung, die Ehe wird durch den Willen begründet und erhält durch den Vollzug die absolute Unauflöslichkeit, unbefriedigend ist. Wenn die Unauflöslichkeit auf den sakramentalen Charakter der Ehe zurückgeführt wird, und das Kirchliche Gesetzbuch tut es (can. 1013, § 2), so ist nicht leicht einzusehen, welchen Einfluß der Vollzug auf den Sakramentscharakter nimmt. Daran wird die Frage geknüpft: Ist die Tatsache des Nichtvollzuges wirklich nur eine Voraussetzung dafür, daß die Ehe durch päpstliche Dispens aufgelöst werden kann, oder stellt sie lediglich einen gewichtigen Grund dar, der zur Lösung des Ehebandes berechtigt? Das Abrücken von einem Kriterium des Vollzuges, der im Geschlechtlichen begründet erscheint, führt zur weiteren Prüfung, wodurch denn dieser Vorgang gegeben sei. Es sei ein komplexer Vorgang, der damit seine Vollendung fand, wenn die beiden imstande seien, eine vollmenschliche Beziehung herzustellen, die durch den Glauben getragen wird. Erst dann sei die Ehe durch Glaube und Liebe vollendet oder vollzogen. Beim gegenwärtigen Stand der Diskussion muß man freilich vermissen, wo wirklich praktikable Maßstäbe für dieses Hineinwachsen in einen geistigen Vollzug gefunden werden können.

Das Paulinische Privileg

Ein dritter Ansatzpunkt wird gewonnen durch jenen Ausbau, den das sogenannte Paulinische Privileg erfahren hat. Die heutige kirchenrechtliche Ausgestaltung will das oben erwähnte Pauluswort so verstehen, daß zwei Ungetaufte die Ehe geschlossen haben. Ein Eheteil empfängt die Taufe, der andere will ihm darin nicht folgen und zeigt ebensowenig das Verlangen nach einer friedfertigen Fortsetzung der Ehe. Hat er damit den Willen zum Weggang bekundet, so steht dem Christen der Weg zu einer neuerlichen Eheschließung offen. Die theologische Begründung dafür kann doch ,wohl nur darin gesehen werden, daß diese Ehe nicht sakramental war und daher der absoluten Unauflöslichkeit entbehrte. Auf dieser Erwägung beruht der Ausbau des Paulinischen Privilegs, der dazu geführt hat, daß eine halbdhristliche Ehe (ein Teil ist getauft, der andere ungetauft), auch wenn sie mit Dispens von der Religionsverschiedenheit vor der Kirche geschlossen worden ist, wieder aufgelöst werden kann. Die Begründung erscheint plausibler, wenn man dieser Ehe den sakramentalen Charakter zur Gänze abspricht. Was aber, wenn man der Ansicht Folge leisten wollte, daß zumindest der Christ, weil im Besitz der Taufe, das Sakrament empfangen hätte? Dann hat der Papst eine christliche und vollzogene Ehe aufgelöst. Der einzige Unterschied bestand darin, daß das Sakrament nur von einer Seite empfangen werden konnte. Dies drängt zur Frage, ob die Kirche nicht die Gewalt besitzt, auch jene vollzogenen Ehen zu lösen, die von beiden Seiten sakramental, d. h. von zwei Christen, geschlossen worden ist. Die langsame Entwicklung der Paulini- schen Vergünstigung zur gegenwärtigen Dispenspraxis scheint zu zeigen, daß die Kirche sich langsam zu einem Bewußtsein ihrer Vollmachten entwickelt hat. Der letzte Schritt, wie er hier vorgeschlagen wird, wäre dann der Abschluß einer langen Entwicklung.

Was heißt unauflöslich?

Allen diesen Lösungsversuchen ist gemeinsam, daß der Grundsatz der Unauflöslichkeit neuerlich überprüft wird. Das bedingt nicht nur die Neuinterpretation der einen Oder anderen Lehrentscheidung, sondern die Berücksichtigung eines Glaubensbewußtseins, das nicht in Definitionen gefaßt sein muß. Es wäre verfrüht, über die Erfoligsaussichten theologischer Reflexionen zur Zeit eine Aussage zu machen. Der einzig zuverlässige Weg kann nur über eine geduldige und verantwortete Arbeit führen, nicht aber durch einen flüchtig hingeworfenen Gedanken, der dann sofort in eine fragwürdige Praxis umgesetzt wird.

Die Einsicht in die Dauer einer Grundsatzerörterung hat inzwischen den Blickpunkt von der dogmatischkirchenrechtlichen Ebene auf das Feld der pastoralen Betreuung gelenkt. Man darf vielleicht sogar sagen, daß diese Versuche in die vorkonziliare Ära hineinreichen, als das Prinzip der Unauflöslichkeit noch nicht zum Gegenstand von Erörterungen geworden war. Wir erwähnten bereits im vorigen Beitrag den Beweisnotstand, der dazu führen kann, daß eine wirklich ungültige Ehe im Rechtsbereich nicht durch ein Urteil als solche deklariert werden kann. Weiter greift noch der Hinweis auf die zweifelhafte Ehe, die nach geltender Bestimmung sich der Rechtsgunst erfreut. Das hat zur Folge, daß die zweifelhafte Ehe in ihrer Verbindlichkeit nicht aufhört zu bestehen, sondern weiterhin als verpflichtendes Band zu betrachten ist. Im Strafverfahren ist es der Be- klaigte, der zu begünstigen ist, so daß im Zweifelsfalle der Freispruch zu erfolgen hat. Zunächst könnte es erscheinen, daß der Ehegatte nach dem Zusammenbruch seiner Ehe dem Beklagten gleichgestellt wenden kann, der von der Last eines Ehejoches, das von zweifelhafter Gültigkeit ist, befreit werden konnte. Hier ist der Gesetzgeber einen anderen Weg gegangen; beklagt ist nicht der Mensch, sondern die Institution, d. h. die Ehe. Hinter ihr steht aber das öffentliche Interesse, das stärker wirkt als das Verlangen nach Freiheit auf selten des Individuums. Damit erschöpft sich die Betrachtung jedoch nicht, da es um die Gültigkeit eines Sakramentes gehe, und im Zusammenhang damit um die Verbindlichkeit einer Verpflichtung, die in das göttliche Recht hinübengreift. Um nicht eine derartige Verletzung zu riskieren, sei im Zweifelsfalle für die Gültigkeit zu plädieren.

Im Schußfeld der Kritik

Mit dieser Erwägung ist der Satz über die Rechtsgunst der Ehe ins Schußfeld der Kritik geraten. Es wird nicht nur cingewendet, daß dem öffentlichen Wohl hier eine Vorrangstellung eingeräumt worden sei, sondern mit dem Sakrament eine Bindung verknüpft sei, der man nicht den einzelnen unterwerfen dürfe, wenn die Gültigkeit der Verpflichtung zweifelhaft sei. Da die kirchliche Rechtsprechung sich der gesetzlichen Vorschrift nicht entziehen könne, bleibt es dem Gewissen des einzelnen überlassen, im Zweifelsfalle auch ohne Mitwirkung der Kirche eine neue Ehe zu schließen. Die Situation sei noch eindrucksvoller, wenn eine zweite Ehe geschlossen worden ist; eine Verbindung ohne Mitwirkung der Kirche, die dennoch menschliche Bindungen mit sich gebracht habe, der Zivil- gattin und allenfalls den Kindern gegenüber. Wägt man diese beiden Ehen gegeneinander ab, so sei der jetzt bestehenden Verbindung der Vorzug im Gegensatz zur zweifelhaft gültigen Ehe einzuräumen; auch dies ohne Mitwirkung der Kirche, gestützt auf das Gewissen und vor dem Forum Gottes.

Bei nüchterner Überprüfung der Tatsachen wird man allerdings zugeben müssen, daß der Kreis zweifelhafter Ehen nicht so weit gezogen werden darf, daß unter Heranziehung von fragwürdigen Kriterien jede Ehe als zweifelhaft erklärt wird.

Hier setzt die Frage ein, wie jenen zu helfen sei, die in einer zweiten Verbindung leben und somit von den Sakramenten ausgeschlossen seien. Ohne daß eine Kirchenstrafe vorliegt, ist es zu einem Selbstausschluß von den Sakramenten gekommen, weil die Disposition fehlt, d. h., der Wille, eine von der Kirche mißbilligte Verbindung aufzugeben. Sieht man sich in den Publikationen um und registriert man die Praxis, die sich in diesen Fällen anzubahnen scheint, so fragt man nach der Begründung für eine Haltung, die gern als verständnisvoll bezeichnet wird. Die gewandelte Haltung unterscheidet sich wesentlich von Ratschlägen, die bisher erteilt werden konnten, etwa der Aufforderung, unter Verzicht auf den Sakramentenempfang sich mit der Kirche und Christus, dem Ursakrament, vereinigt zu wissen. Heute geht es um die Zulassung zu den Sakramenten, die von jenen begehrt wird, die eine neue Verbindung ohne Mitwirkung der Kirche geschlossen haben.

Dabei tritt das seelsorgliche Verlangen in den Vordergrund, jenen zu helfen, die sich in einer Situation ohne Ausweg befinden. Eine Rückkehr zur früheren Ehe ist nicht möglich, ein Aufgeben der neuen Verbindung praktisch nicht durchführbar, da menschliche Rücksichtnahme auf die Person des Partners und die Nachkommenschaft dies verbieten. Die in dieser Verbindung lebenden „Ehegatten” sind zwar gewillt alles zu tun, was in Ihren Kräften liegt, sie können jedoch bei einer realistischen Wertung der Dinge nicht mehr voneinander getrennt werden. Ebenso wirklichkeitsfremd erscheint der Rat, in dieser Verbindung volle Enthaltsamkeit zu üben. Die Frage nach einer moral- theologisch zu verantwortenden Begründung für die Zulassung zu den Sakramenten für Menschen in einer so perplexen Situation, harrt noch einer befriedigenden Beantwortung. Durch diese Fragestellung zeigt es sich, welche Kluft eine Brücke Überspannen müßte, die vom seelsorglichen Verlangen nach Zulassung zu den Sakramenten zu einer brauchbaren moraltheologischen Begründung führen müßte.

Die Zukunft wird es zeigen, welcher Weg gangbar sein wird: jener der Grundsatzerörterung über den Umfang der Unauflöslichkeit oder dieser der pastoralen Hilfeleistung unter Zuhilfenahme moraltheologischer Betrachtungsweisen.

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