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Zwischen Rom und Moskau

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Der Leser verzeihe, wenn der Rezensent in seine Kritik über das neue Buch von Univ.-Prof. Dr. Eduard Winter „Rom und Moskau“ sowie über sein dreibändiges Werk, das sich mit der Geistesgeschichte der Monarchie befaßt, viele persönliche Erinnerungen hineinverwebt.

In den Jahren 1934 bis 37 studierte Ich Jus an der Prager Universität. Wie so viele Studenten benützte ich die schönen modernen Lesesäle der Univeritätsbibliothek, die im alten Clementinum untergebracht war, um „zu büffeln“. In den Erholungspausen sah ich auf den Gängen oft einen jungen Priester von hoher Gestalt und unwirklich strahlenden Augen. Viele Kollegen erzählten mir gleichzeitig sehr begeistert über die Vorträge eines gewissen Theologieprofessors Dr. Eduard Winter. Manche seiner Hörer, wie zum Beispiel der heutige Pater Augustinus Huber, Königstein, wandte sich unter dem Eindruck dieser Vorträge dem Theologiestudium zu. 1937 erhielt ich das Absolutorium und inskribierte sogleich Geschichte, darunter auch die Vorlesung des oft genannten Prof. Winter. In der ersten Vorlesungsstunde war ich nicht wegig erstaunt, in Prof. Winter jenen strahlenden Priester wiederzusehen, dem ich so oft in den Gängen des Clementinums begegnet war. Das Wintersemester 37 war das letzte Friedenssemester Europas. Und friedlich war auch die Vorlesung von Prof. Winter. Er stand zweifellos auf dem Boden eines böhmischen Landespatriotismus. Sehr schön zeigte er die Großartigkeit des böhmischen Barockkatholizismus und ebenso die großen Taten der kommenden Aufklärung. Alles sine ira et studio, wie es sich für einen Historiker geziemt. Im März 1938 kam der Anschluß Österreichs, Europa und insbesondere Böhmen wurden ein Hexenkessel. Im Herbst 1938 kam der Anschluß des Sudetengebietes und ein halbes Jahr später der Anschluß der restlichen böhmischen Länder. Eine Woche nach dem Einmarsch der Deutschen verließ ich Böhmen für immer und wurde ein böhmischer Exulant. Ich ging nach Wien, das damals der sicherste Winkel im Dritten Reich, war. Bald hörte ich Gerüchte, daß Winter ein Parteigänger Hitlers geworden sei. Im Jahr 1940 erhielt ich die sichere Nachricht, daß er sein Priesteramt niedergelegt habe und aus der Kirche ausgetreten war. Ich war fassungslos. Und dann las ich Artikel aus seiner Feder in deutschen Zeitungen, die eindeutig auf das NS-Regime abgestimmt waren. 1943 erschien sein großes Buch über den Josephinismus, in dem er die Behauptung aufstellte, dieser sei ein Versuch gewesen, die Kirche wieder auf die Grundlagen des Urchristentums zurückzuführen. Das Werk verursachte einige Verwirrung unter dem katholischen Klerus. Auch der Leiter des Wiener Seelsorgeamtes, Dr. Rudolf, und sein Mitarbeiter P. Leopold Soukup aus der Abtei Seckau waren von dem Buch sehr beeindruckt. Vergeblich versuchte ich diesen beiden Freunden darzulegen, daß der Josephinismus nichts anderes gewesen sei als die österreichische Form der Aufklärung. Dr. Rudolf beauftragte mich schließlich, eine Kommission von Historikern zusammenzustellen, die ein großes Werk über den Josephinismus herausgeben sollte. Aus dem ganzen Plan wurde nichts, denn der Krieg überrollte alle Vorhaben. Aber etwas blieb von diesem Plan doch übrig: nach dem Krieg kam ich in den Verlag „Herold“ und hörte eines Tages, daß Prof. Maass aus Innsbruck ein großes Werk über den Josephinismus plante. Ich erzählte davon Generaldirektor Schmitz, der mich bat, sofort Kontakt mit Prof. Maass aufzunehmen. Am nächsten Tag schon war Prof. Maass bei meinem Chef und unterschrieb den Vertrag über die Herausgabe seines Werkes, das schließlich auf fünf Bände anwuchs und heute das große Quellenwerk über den Josephinismus darstellt, das jeder Forscher benützen muß, der sich mit dieser Epoche beschäftigt.

Kurz nach dem zweiten Weltkrieg sah ich Prof. Eduard Winter wieder. Er hielt in Wien bei einer sozialistischen akademischen Vereinigung einen Vortrag. Wie ich hörte, wollte er mit Hilfe der sozialistischen Partei Nachfolger Srbiks werden. Aber der Plan mißlang. Prof. Winter nahm deshalb eine Berufung an die ostdeutsche Universität Halle an und ging dann an die Humboldt-Universität in Ost-Berlin. Mitte der sechziger Jahre wurde Prof. Winter emeritiert. Während seiner Berliner Professur gab er unendlich viele Werke heraus. Sie alle zeigen einen starken antirömischen Affekt, ja waren geradezu auf eine stalinistische Linie ausgerichtet. Vor allem vertrat er die Ansicht, daß die katholische Kirche nicht mehr die Kraft habe, sich von innen heraus zu reformieren. Nach seiner Emeritierung gab er im Wiener Europa-Verlag eine Trilogie heraus, die sich mit den geistigen Strömungen der Donaumonarchie von 1650 bis 1867 beschäftigt, vor allen Dingen natürlich mit seinem Lieblingsthema der Aufklärung, den Vorläufern derselben und ihren Nachwirkungen. In diesen drei Bänden kehrte Prof. Winter eigentlich zu seinen Anfängen zurück. Er versuchte wieder, der objektive Historiker zu sein, der sine ira et studio die geschichtlichen Ereignisse darstellen will. Nur selten bemerkte der Leser, daß die Sympathie des Autors auf seiten der Aufklärung ist. Natürlich ist Winters Meinung nach die Toleranz nur im Zeitalter der Aufklärung vertreten, das österreichische Barock hingegen extrem intolerant. Winter vergißt hinzuzufügen, daß das ganze 17. Jahrhundert einschließlich der protestantischen Staaten intolerant gewesen ist.

Und nun erschien in diesem Jahr sein großes Werk über die Beziehungen zwischen Rom und Moskau, mit dem Untertitel: „Ein halbes Jahrtausend Weltgeschichte in ökumenischer Sicht“. Das Werk ist, wie alle Bücher Winters, eine ungeheure Materialsammlung und deshalb schon für alle jene, die sich mit dem genannten Thema beschäftigen, unentbehrlich. Aber die Objektivität, die Winter in der Trilogie über die Geistesgeschichte Österreichs bemüht war zu bewahren, verläßt ihn hier wieder. Das Werk ist neuerlich voller Affekte, ja teilweise gespickt mit Haßausbrüchen gegen die katholische Kirche, der Eduard Winter Imperialismus vorwirft und vor allem auch, daß sie sich mit den jeweiligen Mächten der Welt arrangiert habe. Falls dieser Vorwurf stimmen sollte, dann ist Eduard Winter allerdings ein typischer Klerikaler geblieben. Denn er hat sich sein Leben lang mit den jeweils Mächrtfigen arrangiert. In der Republik Masaryks schwärmte er für den böhmischen Landespatriotismus, zur Zeit Hitlers war er ein eifriger Parteigänger des Dritten Reiches, und seitdem er in Ost-Berlin lebt, ist er ein ebenso eifriger Verbündeter Moskaus. Vielleicht war die Trilogie, die so objektiv erscheint und es auch wirklich ist, ein Versuch, sich neuerlich mit Österreich zu arrangieren, dessen Paß Eduard Winter bis heute besitzt. Aber angeblich soll Prag ihm einen Streich gespielt und seine Tätigkeit während des Dritten Reiches nach Moskau gemeldet haben. Gerüchte jedenfalls besagen, daß Eduard Winter die Ausreise aus Ost-Berlin, die ihm so oft ermöglicht wurde, nicht mehr so leicht gelingt. So stellt sein Buch über Rom und Moskau vielleicht einen Versuch dar, sich neuerlich mit dem Kreml zu arrangieren beziehungsweise sich ein Alibi zu verschaffen.

Eduard Winter, dieser hochbegabte Priester und Historiker, ist was immer er der Kirche angetan hat, eine echte menschliche Tragödie. Die Dämonen wissen nur zu gut, wo sie bei jedem Menschen die Hebel ansetzen müssen, um ihn umzufunktionieren.

Eduard Winter ist ein Sudetendeutscher, und das bedeutet bereits an sich eine schwere menschliche Last. Fast alle Sudetendeutschen sind irgendwie national angehaucht. Der Nationalismus war es, der Eduard Winter bewog, Priester zu werden. Nach dem ersten Weltkrieg entdeckten die Sudetendeutschen eine Art Sympathie für die katholische Kirche, die sie bis dahin nicht besessen hatten. Die Ursache ist sehr einfach: der neue tschechoslowakische Staat war sehr antikatholisch, und das machte die Kirche den Sudetendeutschen sympathisch. In diesem Frühling wurde Eduard Winter Priester. Bald verblaßten aber die guten Beziehungen der Sudetendeutschen zur katholischen Kirche, denn der neue tschechoslowakische Staat begann sich mit der katholischen Kirche zu arrangieren. Gerüchte sagten, daß Eduard Winter gerne Bischof geworden wäre. Bischof von Leitmeritz, welche Diözese, obwohl gemischtsprachig, fast immer von einem Deutschen geleitet wurde. Aber die Kurie gab ihm nicht das vielleicht ersehnte

Amt, und möglicherweise ist dies der Augenblick, wo Winter die Kurie zu hassen begann. Wie alle Sudetendeutschen ist Winter von einem immensen Fleiß, der oft schon zur Besessenheit ausarten kann. Die Zahl seiner Werke umfaßt rund 30 wissenschaftliche Bücher. Beweis eines echten Fleißes. Wie alle Sudetendeutschen hat er keinen Humor und wird deshalb mit den Fehlern der anderen Menschen nicht fertig, geschweige denn mit den eigenen. Er will im Gegenteil alle Menschen von ihren Fehlern befreien und will deshalb ununterbrochen reformieren. Bis diese Reformsucht schließlich in eine Manie ausartet. Das liebste Kind seiner Forschung ist die Aufklärung, die ja ununterbrochen die Menschen reformieren wollte, und es sind Priester, die ebenfalls ewig reformieren wollten und dabei meistens scheiterten. Über Bernard Bolzano hat Winter nicht weniger als sieben Werke verfaßt, aber auch mit Anton Günther beschäftigte er sich und ebenso auch mit Franz Brentano, der gleich ihm die Kirche verließ. Wie alle Sudetendeutschen hat er immer „einen Tschechen“, der an allem schuld ist: das ist für ihn die Kurie und die mit der Kurie verbündeten Habsburger.

Der alte Masaryk, der in vielen Dingen an Winter erinnert, sagte einmal: Wir Tschechen haben mit Habsburg abgerechnet, wir werden auoh mit Rom abrechnen. Aber Rom hat Zeit, und der alte Masaryk näherte sich am Ende seines Lebens der Kirche, zumindest innerlich, sehr stark. Nach dem Erscheinen der dreibändigen Geistesgeschichte über die Habsburger-Monarchie konnte man dies auch von Eduard Winter hoffen. Nach dem Erscheinen des Buches „Rom und Moskau“ muß man diese Hoffnung wieder begraben. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Und Rom hat Zeit, vielleicht wird eines Tages der caracter indelebilis des Priester-tums, der Eduard Winter für immer anhaften wird, auch hier eine Wandlung schaffen.

BAROCK, ABSOLUTISMUS UND AUFKLÄRUNG IN DER DONAUMONARCHIE: 280 Seiten, Leinen. ROMANTISMUS, RESTAURATION UND FRÜHLIBERALISMUS IM OSTERREICHISCHEN VORMÄRZ: 304 Seiten, Leinen.

REVOLUTION, NEOABSOLUTISMUS UND LIBERALISMUS IN DER DONAUMONARCHIE: 248 Seiten, Leinen.

ROM UND MOSKAU: Ein halbes Jahrtausend Weltgeschichte in ökumenischer Sicht. 490 Seiten, Pappband.

Alle Europa-Verlag, Wien-München-Zürich.

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