7211332-1992_31_13.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Selbstgenügsamkeit und Marktchancen

Werbung
Werbung
Werbung

Aus guten Gründen freuen sich Kunstinteressierte auf Großveranstaltungen der bildenden Kunst wie die Biennale in Venedig oder die „documenta" in Kassel. Künstlerische Äußerungen aus zahlreichen Ländern ergeben einen Spiegel des aktuellen Geschehens in diesem Bereich. Kassel, durch den Krieg schwer gezeichnet und geopo-litisch unweit des vor zwei Jahren verschwundenen Eisemen Vorhanges gelegen, ist ins Zentrum des vereinigten Deutschland gerückt. Wer nun glaubt, daß diese stürmischen politischen Veränderungen einen Niederschlag in der Kunst gefunden hätten, wird enttäuscht.

Die bildende Kunst schweigt zu den aktuellen politischen Verhältnissen, thematisiert kaum bedeutende Fragestellungen wie Fremdenfeindlichkeit, Demokratiedefizit oder ökologische Probleme. Gewiß, um solche Themen künstlerisch anzugehen, war vielleicht die Zeit zu kurz, doch das Schweigen ist bestürzend. Es ist, als wären Künstler in ihren eigenen ästhetischen Vorstellungs welten derartig versponnen, daß sie den Blick ins Leben rund um sie gar nicht riskieren wollen.

Wer nach einem Symbol für diese Kunst suchen wollte, käme zwangsläufig auf die monochromen, mit Autolack überzogenen Verbundglasplatten (vierteilig, zweimal 110 mal 600 Zentimeter groß), die unter dem

Titel „Flache Arbeit" quadratmeterweise den Fußboden bedecken. Es mag schon sein, daß der Künstler Adrian Schiess nach hochkomplizierten Reduktionsverfahren vorgegangen ist und in dieser Vereinfachung sein Programm umgesetzt sieht. Doch was sein Programm will, wird in der Ausstellung ebensowenig deutlich wie durch den telefonbuchartigen Dreifachkatalog, weil erfolgreich alle erläuternden Hinweise vermieden sind, die dem Neugierigen Zugang ver-

schaffen könnten.

Viele der gezeigten Künstler waren und sind im Ausstellungsbetrieb präsent. Der Hinweis auf Katsura Funa-koshi, Per Kirkeby, Bruce Naumann, A. R. Penck, Michelangelo Pistoletto, Royden Rabino witsch, Marina Abra-movic möge genügen. Bei anderen merkt man, daß sie mit der Kunst als Bürgerschreck spielen, wenn etwa auf weißen Fliesen Hundekot abgebildet ist. Was für einen Schreck, welche Irritation sollte es im Zuschauer aus-

lösen?

Ähnliches gilt für das Objekt „Hand to listen" von Jan Fabre. Eine realistisch verfertigte Hand umspannt einen Griff. Juxartikelgeschäfte sind mit Händen, Füßen und sonstigen Körperteilen reich bestückt, die noch den Vorteil haben, daß sie durch den eingebauten Elektromotor beweglich sind. Eine zuckende Hand im Papierkorb abgelegt bietet mindestens dasselbe visuelle Erlebnis wie das als Kunst hochstilisierte Produkt.

Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, Kunst solle oder müsse etwas Bestimmtes zeigen, wollen, erreichen oder bezwecken. Die Freiheit der Kunst ist das oberste Prinzip. Doch als Liebhaber der bildenden Kunst befällt einem Mißvergnügen, wenn in einer Ausstellung, die mit großem Aufwand durchgeführt wurde, nahezu ausschließlich Privatwelten zu

sehen sind, die mit den Problemen der Menschen nur insofern zu tun haben, als die Künstler auf diese Weise aui ihre Umgebung, auf die Verhältnisse reagieren. Noch auf der letzten „documenta" A gab es Arbeiten, die sich mit dem Trauma des Vietnamkriegs auseinandersetzten (Terry Allen), die sich über die vorstädtischen, konservativen und quälend gleichförmigen amerikanischen Eliten lustig machten (Eric Fischl), die sich mit der Zerstörung der Umwelt beschäftigten (Klaus Staeck).

Auch spielen alle Kunstrichtungen aus der Dritten Welt, die nicht direkt in den Markt zu schleusen sind, aul der „documenta" keine Rolle. Es mag sein, daß die „documenta" für die Entwickung des Kunstmarktes eine wichtige Stelle einnimmt.

Ob aber diese Selbstgenügsamkeit, bei der die Händler zufrieden zuschauen, wie Gleiches unter ähnlichen Bedingungen von immer wieder anderen produziert wird, wirklich ausreicht, muß bezweifelt wer-den.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung