6807764-1972_17_07.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Sissi und Mahler

19451960198020002020

Zu Beginn des Jahres 1972 strahlte das französische Fernsehen drei Episoden aus dem Leben der unglücklichen Kaiserin Elisabeth aus. Romy Schneider, schon vorher als die zweite Marlene Dietrich gefeiert, triumphierte einmal wieder in ihrer Rolle als Sissi. Schätzungsweise 20 Millionen Zuschauer verfolgten die Romanze der vorletzten österreichischen Kaiserin und sie sahen sich in ihren Vorstellungen über den jahrhundertealten Erbfeind bestätigt.

19451960198020002020

Zu Beginn des Jahres 1972 strahlte das französische Fernsehen drei Episoden aus dem Leben der unglücklichen Kaiserin Elisabeth aus. Romy Schneider, schon vorher als die zweite Marlene Dietrich gefeiert, triumphierte einmal wieder in ihrer Rolle als Sissi. Schätzungsweise 20 Millionen Zuschauer verfolgten die Romanze der vorletzten österreichischen Kaiserin und sie sahen sich in ihren Vorstellungen über den jahrhundertealten Erbfeind bestätigt.

Werbung
Werbung
Werbung

Allerdings glaubt niemand mehr, Wien hege Weltmachtträume. Für die Franzosen sind die Österreicher nach wie vor ein Volk der Geiger und Tänzer, das sich in jener Atmosphäre wohlfühlt, die man Gemütlichkeit nennt; ein Wort, das man vergeblich in die französische Sprache zu übersetzen versucht hat. Diese „Salontiroler“ schuhplatteln Tag und Nacht oder — falls sie Anrainer der Donau sind — betrachten das blaue Wasser dieses europäischen Stroms, tanzen, wann immer sie können, nach den Klängen eines Johann-Strauß-Walzers und sind begabte Skifahrer, die sich einen ungekrönten König namens Karl Schranz halten.

Österreich ist für Frankreich trotz des Linienverkehrs der AUA und der Air-France zwischen Paris und Wien ein Land ohne sichtbare Dimensionen. Ist ein Österreicher, wie Herbert von Karajan, in das Bewußtsein der französischen Nation eingedrungen, so wird er als Deutscher apostrophiert, während Franz Kafka ob seines Prager Geburtsorts konsequenterweise als Tscheche klassifiziert wird. Freilich ist der Österreicher den Franzosen ein sympathischer Zeitgenosse.

Wenn man sich als Bürger der „Insel Österreich“ vorstellt, blickt man in verzückte Gesichter der Gesprächspartner. Da klingen die Opern und Symphonien Mozarts auf, traben am Horizont die Lipizzaner der Hofreitschule und tönen die Glocken über Salzburg, allen Franzosen ein Begriff geworden.

Politisch interessierte Kreise in Paris beginnen sich mit den sozialen Strukturen der Alpenrepubldk auseinanderzusetzen, um das Phänomen einer Indiustriegeselilschaft zu analysieren, die in geschickter Weise soziale Spannungen zu eliminieren weiß. Die Mehrheit der Bürger der V. Republik assoziiert Österreich mit einem Land, das zumindest auf dem Gebiet der Musik eine Großmachtrolle beanspruchen darf. So war die „Wiener Schule“ in der Seine-Metropole schon lange ein Symbol, bevor es den Meistern dieser Kunstrichtung gelang, in der eigenen Heimat zum Durchbruch zu gelangen.

Anläßlich des internationalen Weltkongresses der Psychoanalyse besann sich das wissenschaftliche Frankreich auf die Ursprünge Freuds und begrüßte die Versöhnung des Schöpfers dieser für die Neuzeit so wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse mit seiner Vaterstadt. Obwohl alle diese von Österreichern hervorgebrachten kulturellen Leistungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen Niederschlag in Paris verzeichnen, bleibt das kulturelle Österreich in Frankreichs öffentlicher Meinung viel fragmentarischer als etwa Großbritannien, die USA oder die Bundesrepublik.

Das Kulturinstitut

Um zu einer Synthese zu gelangen und die österreichische Kultur dem französischen Partner näherzubringen, wurde 1954 ein Kulturinstitut in Paris gegründet, das sich 1962 in einem erweiterten und würdigen Rahmen in der Nähe des Invalidendoms und am Rande des Universd-sitätsviertels „Quartier Latin“ dynamisch betätigt. Dieses Institut, in seiner Ausstattung besten Wiener Traditionen entsprechend, kann als das Generalstabsquartier aller Österreicher angesehen werden, welche die französische Kulturlandschaft mit Liebe, Einsatzbereitschaft und einer begrüßenswerten Kompetenz beackern.

Wie jedes ausländische Kultarinstitut, mußte die österreichische Anstalt mit dem Sog des Pariser Zentralismus rechnen, der die französischen Departements vernachlässigt. Französische Publizisten und Politiker führen seit Jahren einen erbitterten Kampf um eine wirtschaftlich-kulturelle Regionalisie-rung des jakobinisch-napoleonischen Staates. Bedingt durch das Aufblühen von Landesuniversitäten und Kulturhäusern, werden die föderalistischen Bestrebunigen Frankreichs gefördert. Die Leiter des österreichischen Kulturinstitutes sind sich dieser Entwicklung bewußt. Sie verstanden es, an die germanistischen Institute systematisch österreichische Lektoren — es sind gegenwärtig ihrer 30 — für zwei bis drei Jahre zu entsenden. Diese halten ihre Vorträge selbstverständlich in deutscher Sprache, veranstalten öster-reichkundiliche Vorlesunigen oder Seminarübungen. An zwei Hochschulen gibt es bereits Unterabteilungen für „österreichische Zivilisation“.

Der Kontakt des Kulturinstitutes mit diesen — man möchte sagen — Infanteristen der österreichischen Kulturoffensive in Frankreich ist organisch und kontinuierlich aufgebaut. Die Dozenten werden einmal im Jahr in den Räumen des Instituts versammelt und durch Vorträge mit der kulturellen Entwicklung der Heimat auf dem laufenden gehalten. Viele dieser Lehrkräfte sind durch Heirat definitiv in Frankreich fixiert. Tu, felix Austria, nube. Durch diese Veranstaltungen können sie mit dieser oder jenen kulturellen Problematik des Heimatlandes vertraut gemacht werden.

Die Redner kommen aus Österreich und die Thematik ihrer Ausführungen ist weit gespannt. Zum Beispiel behandelte ein Eingeladener die Entwicklung der Musik von Mahler bis Webern, ein anderer untersuchte die Wiener Literatur der Jahrhundertwende in Parallelen zur bildenden Kunst. Auf die Anwesenheit einer französischen Persönlichkeit wird Wert gelegt. So referierte Professor Thieberger aus Nizza über den Staatspreisträger Urzidil. Vom Institut wird alles unternommen, um die zeitgenössische Literatur in Paris publik zu machen. Dieses Vorhaben ist oft mit bedeutenden Schwierigkeiten verbunden, da die heimischen Schriftsteller ihre Werke vielfach in deutschen Verlagen edieren und am französischen Markt so gut wie keine österreichischen Zeitungen aufliegen. Dies ist für die Propagierung des österreichischen Kulturideals ein Handikap. Dazu kommt, daß die österreichische anläßlich des Jonas-Besuches pointiert — in der Regel durch bundesdeutsche Korrespondenten vertreten ist, die mit dem österreichischen Kulturproblemen selten vertraut sind.

Betrachtet man allerdings die seit 1950 in Frankreich erschienenen Übersetzungen österreichischer

Autoren, findet man alle namhaften Persönlichkeiten, von Ilse Aichinger über Hermann Broch und ödön von Horväth bis zu Stefan Zweig. Das Pariser Theater entdeckte mit Uber-raschung die dramatische Kraft eines ödön von Horväth, während der „Mann ohne Eigenschaften“ als eine wichtige literarische Tat gefeiert wurde. Einzelne österreichische Schriftsteller, in erster Linie Rainer Maria Rilke, Franz Werfel und Kafka, nehmen hervorragende Plätze in der französischen Literatur-Palette ein.

Schwerpunkt Musik

Was wäre eine Programmierung der österreichischen Kultur in Frankreich ohne jene Sprache, die alle begreifen und verstehen — die

Musik? Die Konzerte, vom Institut veranstaltet, oft wegen Raummangels begrenzt, richten ihr Augenmerk auf zwei Gesichtspunkte: Hauptwerke neuer österreichischer Musik und unbekannte Werke bekannter Meister. Das Institut strebt auch in diesem Sektor keinen kommerziellen Massenbetrieb an, sondern legt Wert auf die Vorstellung junger qualifizierter Künstler, die dadurch mit Plattenfirmen, internationalen Managern und dem ORTF in Kontakt treten. Einzelnen kleineren österreichischen Orchestern gelang über das Kulturinstitut der Sprung in die internationale Musikwelt. Nicht nur einmal wurde das Institut von Frankreichs Rundfunk und Fernsehen ersucht, Künstler ziu nominieren oder ein dem österreichischen Musikschaffen gewidmetes Programm zusammenzustellen. Seit 1969 finden jedes Jahr im Jänner Professor Schilhawskys Kurse für fortgeschrittene und fertige Sänger statt. Unvergessen bleibt ein uruguayaniseher Bariton, dei eigens nach Paris kam, um mit Schilhawsky zu arbeiten. Verschiedenen Schülern des Meistern wurden dank dieser Kurse die Tore zu einer internationalen Karriere geöffnet.

Uber die Musik wird die bildende Kunst keineswegs vom Institut vernachlässigt. Seit Jänner 1971 wandert die Ausstellung österreichischer zeitgenössischer Graphik vor Bourges nach Paris, von Brest über

Rouen nach Marseille und Nimes Auch die Darstellung der österrei chischen Architektur von 1960 bi 1970 fand in der Fachwelt gebührend Aufmerksamkeit. Die Erfassung de Besucherzahl bei Ausstellungen is in Frankreich fast unmöglich. An geblich leisten in der Regel bis zi zweihundert Personen bei Er Öffnungen den Einladungen folge.

Als das Institutsgebäude gekaui wurde, erwarben die weitsichtige; Planer ein Terrain, auf dem ein Stu dentenheim mit 30 Plätzen errichte wurde. Die Studentenwohnunge; sind komfortabler eingerichtet als i; gewöhnlichen Heimen. Sie bieten mi ihren kleinen Wohnungen (mi Küche und Bad) auch Ehepaare: Arbeitsmöglichkeiten. Die Hälfte de Plätze wird Franzosen im Austausc mit der Cite Universitaire zur Ver fügung gesteilt. Die Bewohner sin nicht nur Studenten, sondern teil weise graduierte PersönJichkeiter die ihre Habilitationsarbeiten vorbe reiten, darunter vorwiegend Natur Wissenschaftler. „Wir kennen kein kontestierenden Studenten“, lächel Ministerialrat Brummayr und Her Schuschnigg, „die Heiminsassen sin zu reif, um sich mit Rauschgift ode der extrem Linken zu befassen“.

Nur auf einem Gebiet stagniert di Kulturarbeit — und zwar auf der Sektor des Theaters, erklärlich au der Barriere, welche die Sprache bil det. Dabei erscheinen französische Theaterfachleuten und Germaniste die Werke Nestroys als überau zeitnahe. Es wäre jedoch unreali stisch, selbst in Übersetzung die ge nialen Possen dem Publikum näher bringen zu wollen.

Vom unverstandenen Bruckner bi zum Mahler-Enthusiasmus der letz ten Jahre spannt sich ein weite Bogen kultureller Berührungen zwi sehen Frankreich und österreiel Das Kulturinstitut in Paris kann mi Recht den Titel beansprucher Frankreich von der Sissd-Romanti; zu einer klareren Beurteilung öster reichischer kultureller Vorgänge ge bracht zu haben. Lauten die wirt BchaftMchen. Austauschprognose zwischen Paris und Wien nicht ge rade optimistisch, nähern sich dd beiden Nationen wieder politisch, s sind doch die positivsten Element des französisch-österreichischen Dia logs auf dem kulturellen Sektor z vermerken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung