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Zwischen Strategie und Taktik

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Seit den Kommunalwahlen im Frühjahr dieses Jahres, bei denen Frankreichs vereinigte Linke einen großen Erfolg verzeichnen konnte, schien es für viele politische Beobachter klar zu sein: Die Ära der starken nichtsozialistischen Regierungsmehrheit schien dem Ende zuzugehen, die nächste Regierung Frankreichs würde eine sozialistische sein.

Heute, nur wenige Monate später, scheint die Union der Linken, die durch das Einschwören auf ein gemeinsames Regierungsprogramm für den Fall der Machtübernahme geschmiedet wurde, endgültig zerbrochen zu sein.

Wie ist das alles zu verstehen? Nach 20 Jahren der Regierung einer Koalition zwischen der Rechten und der Mitte und eines Regimes, in dem die Sozialisten und Kommunisten wegen eines mörderischen Mehrheitswahlrechtes auf allen Ebenen weit unter ihrer politischen Bedeutung blieben, nach zwanzig Jahren der Machtlosigkeit also endlich die Chance, die Macht zu übernehmen und all dies in einer Programmdiskussion vertan - ?

Es gleicht einem Treppenwitz: Während das Phänomen des Eurokommunismus in Europa die Gemüter bewegt, während der Internationale Sekretär der Italienischen Kommunistischen Partei, Segre, verkündet, daß die Kommunisten in Italien Verstaatlichungen ablehnten und sich zum marktwirtschaftlichen Prinzip bekennten, gerade jetzt also scheitert eine Volksfront kurz vor dem Erreichen des Ziels daran, daß Einigkeit über die Ausmaße einer allfälligen Verstaatlichung nicht erzielt werden konnten?

Als politischer Beobachter hat man den Eindruck, daß der Bruch zwischen den Partnern der Volksfront einfach kommen mußte, zu jedem Preis und unter jedem Vorwand, daß die Verstaatlichungsfrage eben nur ein Prätext war, um an einer Frage strategischerer Natur aus taktischen Gründen wieder den getrennten Weg gehen zu können.

Vielfach hat man die vordergründige Erklärung gehört, Moskau habe seinen kommunistischen Freunden in Paris die Weisung erteilt, sich aus der Volksfront zurückzuziehen, da es nicht im Interesse der Sowjetunion liege, in Frankreich eine kommunistische Regierung an der Macht zu sehen. Natürlich hat Moskau die Volksfront in Frankreich nicht ermutigt, aber es scheint dieses Argument nicht entscheidend gewesen zu sein: Moskau hat sicherlich keinen so weitgehenden Einfluß auf den französischen Kommunismus. Es scheint ausge- schlössen zu sein, daß eine kommunistische Partei an der Schwelle zur Macht diese Schwelle nicht überschreitet, wenn £j įicht andere, wesentlichere Gründe gäbe.

Dip Erklärung für den Bruch liegt offenbar nicht in der Strategie, sondern in der Taktik. In Frankreich werden die politischen Karten derzeit neu gemischt, oder sind bereits gemischt und verteilt worden. Staatspräsident Giscard d’Estaing hat seit Regierungsantritt immer danach getrachtet, seine Mehrheit nach links zu erweitern. Diese Zielsetzung hat er mit wechselndem Erfolg praktiziert, er hat sie aber nie aufgegeben.

Es scheint nun ziemlich klar zu sein, daß für die Kommunistische Partei Frankreichs bestimmend gewesen sein könnte, daß in zahlreichen Wahlkreisen nach dem ersten Wahlgang zu den Parlamentswahlen kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, die für diesen Wahlgang vorgeschrieben ist. Im zweiten Wahlgang geht es darum, jeweils den stärksten Kandidaten der Linken, einem Mann der Regierungsmehrheit gegenüberzustellen. Das würde bedeuten, daß in zahlreichen Wahlkreisen der sozialistische Kandidat als der stärkere von den Kommunisten unterstützt werden würde, daß also zahlreiche Sozialisten mit Hilfe der Kommunisten ins Parlament einziehen würden. Das Resultat des gemeinsamen Programms und des damit verbundenen Wahlbündnisses wäre es dann gewesen, daß diß sozialistische Partei Mitterrands als stärkste Linkspartei ins Parlament eingezogen und zur Führungskraft der Linken geworden wäre. Zur Zeit der Annahme des gemeinsamen Programmes war das Gegenteil der Fall. Damals waren die Sozialisten eine kleine Minderheit gegenüber dem großen monolithischen Block der Kommunisten.

Nach den Wahlen könnte sich aber zeigen, daß die Franzosen ihre alte Wahltradition nicht vergessen haben: Das Herz ist auf der linken Seite, die Brieftasche auf der rechten, sodaß also auch eine vereinigte Linke keine Mehrheit der Abgeordneten erzielen könnte, was durch die Gegebenheiten des französischen Wahlrechtes mit seinen oft bizarren Wahlkreisgrenzen wahrscheinlich wäre. Das Resultat der Wahlen wäre demnach für die Kommunisten gewesen, daß mit ihrer Hilfe zwar die Sozialisten zur stärksten

Partei geworden wären, daß aber infolge der fehlenden Mehrheit im Parlament das gemeinsame Programm in Hinkunft unverbindlich bliebe.

Alles weitere erschiene dann klar: Die Sozialisten hätten freie Hand gehabt, mit einem nichtlinken Partner eine Koalition der Mitte, ein Centro- Sinistra, zu bilden. Und alle Wahrscheinlichkeiten sprechen dafür, daß die Karten in diesem Sinne bereits verteilt sind: im Sinne einer Regierungsmehrheit zwischen Mitterrand und den Unabhängigen Republikanern des Staatspräsidenten.

Seit dem Auszug Chiracs aus der Regierung, wobei er die Türe lautknallend hinter sich zuschlug, ist das Verhältnis zwischen den Führern der beiden großen Parteien der Regierungsmehrheit gestört. Die Gaullisten anerkennen die Führungsrolle der Republikaner nicht, im Gegenteil, sie empfinden sich als die eigentlichen Träger der Mehrheit. Auch dürfte klar sein, daß Chirac nach dem Ablauf der ersten Amtsperiode Giscard d’Estaings nach - dessen Amt trachten und ein zweites Septennat Giscard’s verhindern will.

So zeigt heute die politische Szene Frankreichs ein Dilemma. Ohne Bruch innerhalb der Linken wäre es vielleicht dazu gekommen, daß die KP den Sozialisten zu einer Regierung verholfen hätte, an der die Kommunistische Partei nicht beteiligt gewesen, hingegen an den linken Flügel gedrängt und weiter von den Sozialisten aufgesaugt worden wäre. Diese Absicht hatten die Kommunisten natürlich keineswegs. Sie wollen die stärkste Partei sein, sie wollen regieren. Besser noch: stärkere Partei sein und nicht regieren… Daraus erklärt sich das Interesse der Kommunisten, Differenzen zur Sozialistischen Partei aufzuzeigen, darzutun, daß sie die einzigen Vertreter der Arbeiterklasse seien. Das setzt Profilierung gegenüber den Sozialisten Mitterrands voraus und erklärt den Bruch.

Eine eigenartige Position nehmen in diesem Spiel die Gaullisten ein: sie sind Teil der präsidentiellen Mehrheit und sind im Parlament mit den Republikanern des Präsidenten verbunden. Sie erkennen natürlich die Gefährlichkeit von möglichen Alternativen nach einer Wahl, in der niemand die absolute Mehrheit im Parlament erringen wird. Sie wissen, daß es Tendenzen gibt, sie von der Regierungsverantwortung auszuschliessen und in die Opposition zu drängen. Sie führen daher einen Kampf nach zwei Richtungen: einen offenen Kampf gegen die Linke und einen versteckten gegen die ihnen verbündeten Republikaner. Sie müssen erreichen, daß ohne sie keine Regierung gebildet werden, daß ohne sie der Präsident nicht regieren kann.

So zeigt sich heute, ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen in Frankreich die bizarre Situation, daß taktische Überlegungen den Sieg über eine Strategie davontragen. Die .Taktik zwingt die Linke, sich selbst zu zerfleischen, während die gleiche Taktik eine ähnliche Situation auch im bürgerlichen Lager erzwingt. In Frankreich werden die politischen Karten neu gemischt; sind sie schon verteilt?

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