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Zwischen Teil- und Mißerfolg?
Kein Zweifel: Zur goldenen Hochzeit mit dem Schilling hätten sich die Österreicher ein passenderes Geschenk gewünscht als eine — zumindest nahezu — zweistellige Inflationsrate. Ob das „nahezu“ am Platz ist, hängt davon ab, wann das fünfzigjährige Jubiläum des Schillings begangen wird. Wartet man damit bis zum Jahrestag der gesetzlichen Einführung der Schillingwährung im Dezember des Jahres 1924 zu, könnte — wenn wir Glück haben — das „nahezu“ schon wieder stimmen.
Kein Zweifel: Zur goldenen Hochzeit mit dem Schilling hätten sich die Österreicher ein passenderes Geschenk gewünscht als eine — zumindest nahezu — zweistellige Inflationsrate. Ob das „nahezu“ am Platz ist, hängt davon ab, wann das fünfzigjährige Jubiläum des Schillings begangen wird. Wartet man damit bis zum Jahrestag der gesetzlichen Einführung der Schillingwährung im Dezember des Jahres 1924 zu, könnte — wenn wir Glück haben — das „nahezu“ schon wieder stimmen.
Von Glück reden könnte die österreichische Stabilisierungspolitik, wenn sich drei Hoffnungen erfüllen:
• die Hoffnung, daß die Importpreise für Rohstoffe und Energie wenn schon nicht spürbar sinken, so doch nicht weiter steigen, so daß der für die Inflationsrate maßgebende Abstand zum Preisniveau zwölf Monate vorher immer geringer wird;
• die Hoffnung, daß es im OECD-Bereich zu der prognostizierten Kon-junkturabschwächung kommt, damit der Versuch, die Inlandnachfrage zu dämpfen, nicht durch eine überbordende Auslandnachfrage konterkariert wird; und
• die Hoffnung, daß sich die nächste Lohnwelle mit der Lohnsteuersenkung soweit synchronisieren läßt, daß nicht die Einrechnung auch der Progression in die Lohnerhöhungen zu einer Lohnkostenexplosion führt.
Was die ersten beiden Hoffnungsquellen betrifft, kann die österreichische Wirtschaftspolitik nur die Daumen drücken. Ob die dritte Hoffnung in Erfüllung geht, müßte dagegen nicht unbedingt dem Schicksal überlassen werden: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt — lies: wenn es dem ÖGB nicht gelingt, die Fachgewerkschaften auf ein mehrmonatiges Hinausschieben der nächsten Lohnrunde zu vergattern und/ oder die betriebliche Lohnbewegung, auf gewerkschaftsösterreichisch aus-
gedrückt, „zu derbremsen“ —, müßte sich eben der Prophet zum Berg bemühen.
Einer Vorziehung des lohnsteuerrechtlichen Teiles der für den 1. Jänner 1975 angesetzten Einkommensteuerreform etwa auf den 1. Oktober 1974 steht steuertechnisch nichts im Wege, und wenn sich das — nicht unrealistische — stabilitätspolitische Ziel des Finanzministers, 1975 die Inflationsrate auf etwa sieben Prozent zu reduzieren, erreichen läßt, stünde einer zeitlichen Abstimmung der Lohnsteuersenkung mit dem Beginn der herbstlichen Lohnwelle auch politisch kaum etwas im Wege: Bei einer zumindest der Tendenz nach sinkenden Inflationsrate käme es zu der nächsten stärkeren Lohnbewegung, die auch diese angebliche Progressionsmilderung als Progressionsverschärfung entlarven würde, nicht vor den Nationalratswahlen.
Das — wohl bewußte — Ubersehen der Schlüsselrolle, die dem einkommenspolitischen „timing“ der Steuersenkung gerade in der jetzt beginnenden Phase vier der Stabilisierungspolitik zukommt, ist deren bedenklichste Schwachstelle. Dies nicht nur wegen der Gefahr, daß eine aus der Kumulierung von derzeit nicht bloß hohen, sondern zu annähernd einem Drittel (öl- und Importrohstoff Verteuerung!) nicht wirklich abgeltbaren Teuerungsraten,
einer zumindest vorübergehenden Progressionsverschärfung und der Arbeitszeitverkürzung vom Jahresbeginn an resultierende Lohnkostenexplosion alle Stabilisierungsbemühungen zunichtemachen könnte, sondern auch wegen der viel weiterreichenden Gefahr, daß in einer solchen Konstellation die Sozialpartnerschaft in Brüche gehen könnte, böte sich doch einer vor Neuwahlen stehenden Regierung als (höchst populäres) Instrument zur „Bewältigung“ dieser Lohnkostenexplosion eine möglichst totale Preiskontrolle an.
Müßte die Regierung bei der Abstimmung ihrer Steuerpolitik auf die Einkommenpolitik, die heuer in eine kritische Phase zu kommen droht (selbst wenn die Verteilungsrechnung 1973 durch zwei steuerbedingte Sondereinflüsse verzerrt worden ist: die die Unternehmereinkommen aufblähende Vorratsentlastung anläßlich der Mehrwertsteuereinführung und die durch das neue Steuerrecht provozierte Umstufung vieler Unternehmerfrauen aus der Gruppe der selbständig in die der unselbständig Erwerbstätigen); müßte also die Regierung bei der Abstimmung ihrer Steuer- auf die Einkommenpolitik nur über den wahltaktischen Schatten springen, so würde die Sanierung der zweiten Schwachstelle in den Stabilisierungsbemühungen einer sozialistischen Regierung den Sprung über den ideologischen Schatten zumuten: die Preisgabe der Überbeschäftigung (oder zumindest des Dogmas, daß jener augenblicklich herrschende Zustand, der auch einer höheren Stabilität zuliebe keinesfalls beeinträchtigt werden dürfe, nicht etwa bedenkliche Uber-, sondern wünschenswerte Vollbeschäftigung sei).
So fragwürdig — und zwar nicht
bloß wirtschaftspolitisch, sondern auch wirtschaftstheoretisch — die Primitivformel wäre, daß Vollbeschäftigung und Währungsstabilität einander ausschließende Ziele seien, so unstreitig ist die Tatsache, daß noch so verantwortungsbewußte Gewerkschaften mit ihrer Lohnpolitik keinen Beitrag zur Stabilisierung leisten können, wenn die von ihnen nicht beherrschbare „Lohndrift“ außer Rand und Band gerät, weil in Ermangelung auch geringster Arbeitsmarktreserven die Betriebe dringend benötigte Arbeitskräfte nur durch Lohnlizitation einerseits anwerben, anderseits vor Abwerbung bewahren können. Den engen Zusammenhang zwischen der (durch die Kollektivvertragspolitik der Gewerkschaften häufig nur noch nachvollzogenen) Lohn- und der Preisbewegung nur deshalb leugnen zu wollen, weil sich in einer überbeschäftigten Wirtschaft Lohnerhöhungen überwälzen und dabei auch die (Nominal-)Ge-winne auf fetten lassen, heißt mit Absicht den Kopf in den Sand stecken.
Schließlich noch eine bittere Wahrheit Allen Stabilisierungsbemühungen werden solange bestenfalls Teil-und häufig sogar Mißerfolge beschieden sein, wie es für die Politiker jeder Couleur stimmenträchtiger ist, stabilitätswidrige Versprechen zu machen und inflationsfördernde Maßnahmen zu setzen, als die Zustimmung des Wählers für eine konsequente Anti-Inflationspolitik zu fordern, und weil, das für alle Länder mit demokratischer Regierungsform gilt, schaukeln sich die hausgemachten Inflationen aller Staaten zu einer internationalen Inflation auf, die ihrerseits das Alibi abgibt für den Verzicht auf eine drastische Bekämpfung der jeweiligen „autochthonen“ Teuerung.
Im Lichte dieser Fakten hat sich, objektiv betrachtet, die österreichische Stabilisierungspolitik nicht gar so schlecht geschlagen, auch wenn sie der Inflation bisher nur Rückzugsgefechte liefern konnte. Im Lichte dieser Fakten stellt sich aber auch die Frage, ob „Stabilisierung“ nicht eigentlich ein irreführender Ausdruck
ist, weil er entweder zuwenig oder zuviel enthält.
• Zuwenig, wenn mit „Stabilisierung“ unausgesprochen bloß gemeint ist, daß sich die Teuerung nicht noch weiter beschleunigen soll, denn eine „Stabilisierung“ der Inflationsraten auf dem Niveau, das sie heute überall erreicht haben, wäre keine Dauerlösung, sondern der Anfang vom Ende nicht nur unseres Währungs-, sondern wohl auch unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems;
• oder aber zuviel, falls „Stabilisierung“ auf die Wiederherstellung der Währungsstabilität hindeutet, denn jenen Grad von Kaufkraftstabilität, den der Schilling in den ersten vierzehn Jahren seiner Geschichte hatte
— von 1924 bis 1937 lag die mittlere Inflationsrate (gemessen am volkswirtschaftlichen • Preisniveau) bei 0,25 Prozent pro Jahr —, wird er nie wieder erreichen, und angesichts der (nur teilweise vermeidbaren) „Kosten“ einer so hochgradigen Stabilität sollte er das auch nie wieder tun.
Daher dürfte auch eine Stabilisierungspolitik ohne Glacehandschuhe
— wie sie sich als harte Notwendigkeit für die nächste Zukunft abzeichnet, falls die eingangs genannte dreifache Hoffnung unerfüllt bleiben sollte, nicht als Deflationspolitik verteufelt werden: Nicht um ein Defla-tionieren bis zur Dauerkrise und zur Massenarbeitslosigkeit geht es, sondern bloß um ein schrittweises Des-inflationieren etwa auf den in den Jahren 1952 bis 1970 erreichten Stabilitätsgrad (Inflationfrate durchschnittlich 3,78 Prozent).
Daß das zu einem Fernziel geworden ist, dessen Erreichung auch die nächste Legislaturperiode beanspruchen dürfte, sollte eigentlich Grund genug sein, die Stabilisierungspolitik dem Parteikader zu entziehen. Ohne Härten, Opfer und Verzichte, aus denen keine Partei und keine Interessenvertretung Kapital schlagen dürfte, geht es nämlich nicht ab, wenn auf den geordneten Rückzug aus der Stabilität die Gegenoffensive einer durchschlagskräftigen A.ntiinflationspolitik folgen soll.
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