6863563-1977_46_10.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Teilnahme und Distanzierung

Werbung
Werbung
Werbung

Das Verhältnis der Kirche zu den politischen Parteien ist, genau betrachtet, nur ein besonderer Aspekt eines umfassenderen Problems, welches sich in die Frage bringen laßt: Welchen Ort will die Kirche überhaupt im Verhältnis zur Gesellschaft, zum politischen System und zu den hierin maßgeblichen Institutionen und Kräften einnehmen. Der im Herbst 1977 vorgelegte „Fünfjahresbericht über den Stand der Gesellschaftlichen Wirksamkeit der Kirche“ spricht das aus: „Soll die Kirche sich als Teilhaberin am Konzert der gesellschaftlichen Machtträger ansehen oder betrachten lassen, (zugespitzt gesprochen: als Teilhaberin am Machtkartell), also gewissermaßen die Rolle einer (vierten, fünften…) Partei oder die Rolle einer weiteren ,Kammer’ (neben Wirtschaft, Gewerkschaft, Landwirtschaft usw.) übernehmen? Oder soll sie sich stärker aus dem Prozeß der gesamtgesellschaftlichen Willensbüdung und Machtverwaltung herauslösen?“

Die Frage stellt sich grundsätzlichtheologisch; sie stellt sich des weiteren im Hinblick auf die Art und die Richtung kirchlicher Beiträge zum politischen Geschehen, sowohl was die politische Selbstverständigung der Gesellschaft (etwa im Rahmen der „Grundwertdebatte“) betrifft, wie auch angesichts der Überlegung, wie weit die Kirche sich mit bestimmten konkreten Interessen (der Besitzenden; der Arbeiter; der Benachteiligten und Mißachteten) identifizieren soll; und sie stellt sich nicht zuletzt da, wo Konsequenzen sich etwa in rechtlichen Regelungen niederschlagen (wo die Kirche in offizielle Gremien entsenden kann oder soll, wo sie öffentlich-rechtliche Positionen oder Sicherungen in Anspruch nimmt oder zur Disposition stellt).

In einem Verband von Menschen, für dessen Selbstbewußtsein und Aufgabenverständnis der Geist („Pneu- ma“) und das Wort („Logos“) so entscheidende Größen sind, darf man das sehr „theoretisch“ und „geistlich“ klingende Ringen um die theologische Grundorientierung nicht gering schätzen, auch was seine politischen Implikationen und Folgen anlangt (auch wenn anderswo in unserer Gesellschaft politisch relevante Auseinandersetzungen ganz anders, und auf einer unterschiedlichen Sprachebene, ablaufen). Wesentliche Entscheidungen über die kirchliche Politik kündigen sich seit jeher in Bekundungen und Wandlungen der „Spiritualität“, der Geisteshaltung, des Selbstverständnisses und der Weltdeutung an.

Anderseits hängt die Wirkchance geistiger Bewegungen in einer Großorganisation wie der Kirche trotz alledem auch von „vested interests“, von „irdisch“ faßbaren strukturellen Be dingungen ab, von der Sichtweite und dem „Lebenswissen“ derjenigen, die an den kirchenpolitischen Entscheidungen Anteil haben, von den milieubedingten Betrachtungsperspektiven der Gruppen und Schichten, die das kirchliche Leben im wesentlichen tragen, und auch von mehr oder weniger handfesten, greifbaren Interessen, die auch in der Kirche, wie in allem menschlichen Zusammenleben, das Situationsbüd und das Handeln mitbestimmen.

Es würde zu weit führen, hieraus im Blick auf die Soziologie der Kirche Österreichs konkrete Folgerungen zu ziehen, in Gestalt bedingter Prognosen zum Beispiel. Eines aber drängt sich in jedem Falle auf: die Einsicht, daß bereits im Felde innerkirchlicher Meinungs- und Willensbildung eine Pluralität solcher Sichtweisen gegeben ist.

Damit ist ein Problem angesprochen, das für die Gegenwart und die Zukunft kirchlicher Teilnahme am politischen Geschehen von Bedeutung ist: Der Pluralismus der Standpunkte und Anliegen, dessen Legitimität auch in politischen Dingen seit dem II. Vaticanum nicht mehr recht bestreitbar ist. Die katholische Kirche in Österreich hat sich zu dieser Legitimität bekannt. In der Praxis ergeben sich dadurch freilich Erschwernisse des politischen Agierens, mit denen man sich noch nicht durchweg abgefunden hat. Wenn es allerdings in der Kirche Menschen und Gruppen gibt, die innerhalb der Gesellschaft bestimmte Standorte innehaben, aus denen sich unterschiedliche Interessenslagen ergeben, dann ist es kaum vermeidbar, daß sich das auch in verschiedenen Auffassungen über die wünschenswerte oder angemessene Stellungnahme der Kirche zu entsprechenden Problemen niederschlägt. Die Vorstellung, zwischen dem Verband christlicher Unternehmer und der Katholischen Arbeiterjugend müsse es in allen interessierenden Fragen auf Grund der gleichen „weltanschaulichen“ Grundausrichtung identische Auffassungen geben, wäre naiv. Zwar ist auch ein Gemeinbestand an Überzeugungen, Intentionen und an Interpretationsmu- stem wirksam, und es war etwa möglich, daß Unternehmer- und Arbeitnehmergruppen miteinander ein Mitbestimmungskonzept erarbeitet haben. Aber in dem Augenblick, da die Kirche sich nicht nur für die Geltung allgemeiner Prinzipien einsetzt, sondern zu konkreten gesellschaftspolitischen Optionen Stellung nimmt, kann man nicht voraussetzen, eine Formierung aller aktiven Kräfte zu einer „acies bene ordinata“ sei ohne Schwierigkeiten möglich, wenn diese Kräfte im gesellschaftlichen Interessensfeld unterschiedlich situiert sind. Insbesondere wäre es naiv, aus „Christlichkeit“ als solcher eine be stimmte Stellungnahme zu „konservativen“ oder „progressiven“ Grando-’ rientierungen abzuleiten.

So hat man in den letzten Jahren zur Kenntnis nehmen müssen, daß es gleichzeitig innerhalb der Kirche Vertreter von „rechten“ und von „linken“ Positionen gibt; letztere wurden insbesondere von der Katholischen Sozialakademie und von der Katholischen Arbeiterjugend Österreichs vertreten.

Einen Pluralismus der Auffassungen gibt es im übrigen nicht nur in der Dimension „rechter“ und „linker“ Orientierung, sondern auch anderweitig, in Beziehung auf Dimensionen, in denen die Kirche ebenfalls ihren Bezug zur Gesellschaft definieren kann und muß, etwa in der Spannung zwischen c-inem intensiven „gesellschaftspolitischen Engagement“ hier und der Idee einer eher spirituellen, „metapolitischen“ Präsenz der Kirche (wie sie etwa von Traditionsträgem der „Liturgischen Bewegung“ oder von „spirituellen Bewegungen“ vertretbar wird) dort.

In einer hierarchisch geordneten Organisation ist die offene Erörterung der damit verbundenen Probleme und der freie Wettbewerb der Orientierungen eine relativ neue Erfahrung, an die man sich erst gewöhnen muß. Wie angesichts dessen die Chancen einer gesellschaftlichen Wirksamkeit der Kirche wahrgenommen und optimal genutzt werden können, ist ein Problem für sich; es hängt mit der Gewährleistung von „Einheit in der Vielfalt“ zusammen. Daß das Problem die Beteiligten bewegt, erhellt aus dem jüngst unterbreiteten Vorschlag, ein „Nationalkomitee der Katholiken Österreichs“ ins Leben zu rufen, als eine Plattform der gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung der kirchlich orientierten Kräfte und Gruppen, und wohl auch als eine Körperschaft, die in eine produktive Partnerschaft zur Bischofskonferenz treten sollte. Für ein solches Vorhaben spricht manches. Die Errichtung derartiger Gremien wird den verschiedenen Anliegen und Positionen Artikulationshilfe bieten, aber sie nicht notwendigerweise zur Konvergenz bringen können - schon deshalb, weil man, will die Kirche sich überhaupt mit Gesellschaft und Politik einlassen, keine völlige Abschirmung der innerkirchlichen Selbstverständigung von den Kräften gewährleisten kann, die im Umfeld der Kirche wirksam sind. Die Spannung von Engagement und Distanz wird auch in diesem Sinne ertragen und bewältigt werden müssen.

je mehr die Kirche sich dabei bemüht, ihrer zentralen Aufgabe (der Verkündigung der Botschaft Christi) zu entsprechen, desto mehr wird sie zugleich einen Sachverhalt zu bedenken haben, der vom österreichischen Synodalen Vorgang in Worte gefaßt wurde:

„Wenn die Kirche zu… gesellschaftlichen Fragen Stellung nimmt, so weiß sie, daß sie in einem Statt, der keiner bestimmten Weltanschauung verpflichtet ist, und in einer pluralistischem Gesellschaft nur in dem Maße Einfluß auf die Meinungs- und Willensbildung gewinnen kann, wie sie ihre Anliegen einsichtig macht, sachlich fundiert vorträgt und in ihrer eigenen Gemeinschaft möglichst modellhaft vorlebt.“

(Auszug aus einem Beitrag im „österreichischen Jahrbuch für Politik“, das als Handbuch für den Politikwissenschaftler von der Politischen Akademie der ÖVP herausgegeben und im Frühjahr 1978 erscheinen wird. Beachten Sie bitte auch den der heutigen Nummer beiliegenden Prospekt.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung