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Zwischen Unkunst und Provokation

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Versehen mit einer Reihe neuer und -interessanter Schwerpunkte und dem Globalangebot an den Kulturkonsumenten, selbst mitzumachen, statt einen Frontaluritefrieht über' sich ergehen zu lassen, öffnet am 9. Oktober das weiß-grüne Avantgarde-Festival ,jSteirischer Herbst“ seine Pforten zum neunten Male. Und schon jetzt verspricht das Programm, das nach seiner Gründungsidee sozusagen die Selbstdarstellung der steirischen Künstler mit dem Prinzip der Internationalität unter einen Hut bringen soll, eine seiner wesentlichsten Funktionen zu erfüllen: Es, birgt kulturpolitische Brisanz in sich, wird begeisterte Anhänger und Sympathisanten gegen Entrüstete, Enttäuschte und Geprellte loslassen. Und umgekehrt. Abgesehen von allen wertvollen Einrichtungen des Steirischen Herbstes, die vielleicht irgendwo unter dem Schutt der Demagogie begraben liegen, wird es eine Diskussion geben über Maßstäbe und Orientierungspunkte des schillernden Wortes Kultur. Schon von der „Impulswirkung“ her dürfte also der Steirische Herbst seinen Platz haben

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Versehen mit einer Reihe neuer und -interessanter Schwerpunkte und dem Globalangebot an den Kulturkonsumenten, selbst mitzumachen, statt einen Frontaluritefrieht über' sich ergehen zu lassen, öffnet am 9. Oktober das weiß-grüne Avantgarde-Festival ,jSteirischer Herbst“ seine Pforten zum neunten Male. Und schon jetzt verspricht das Programm, das nach seiner Gründungsidee sozusagen die Selbstdarstellung der steirischen Künstler mit dem Prinzip der Internationalität unter einen Hut bringen soll, eine seiner wesentlichsten Funktionen zu erfüllen: Es, birgt kulturpolitische Brisanz in sich, wird begeisterte Anhänger und Sympathisanten gegen Entrüstete, Enttäuschte und Geprellte loslassen. Und umgekehrt. Abgesehen von allen wertvollen Einrichtungen des Steirischen Herbstes, die vielleicht irgendwo unter dem Schutt der Demagogie begraben liegen, wird es eine Diskussion geben über Maßstäbe und Orientierungspunkte des schillernden Wortes Kultur. Schon von der „Impulswirkung“ her dürfte also der Steirische Herbst seinen Platz haben

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Nach all den Szenen im Gefolge der „Gespenster“-Aufführung Wolf-gang Bauers im Rahmen des letzten Herbstes und nach dem unausgesprochenen, aber in der Luft hängenden Pauschalvorwurf, alles, was die Punze des Steirischen Herbstes trage, sei perverse Unkunst, drängt sich die Frage nach Idee und Zielsetzung des steirischen Festivals der Moderne auf. Kulturlandesrat Prof. Kurt Jungwirth sieht die Eckpfeiler des Herbstes so: Selbstdarstellung von Kunst und Wissenschaft, Einbindung der internationalen Dimension (das heurige Programm wagt einen weiten Sprung über den Großen Teich bis Japan und in die USA) und schließlich noch das Motto der Modernität.

Am Anfang des Steirischen Herbstes stand 1968 Universitätsprofessor Dr. Hanns Koren, heute Präsident des Steiermärkischen Landtages. Er hob das Kind aus der Taufe, zählt selbst übrigens schon fast zum Inventar der steirdschen Kulturlandschaft und führte als Präsident des Herbstes acht Jahre dessen Geschicke. Im März dieses Jahres legte er aber seine Funktion als „Herbsf'-Präsi-dent zurück. Grund: Gegen ihn gerichtete Animositäten, Enttäuschung und persönliche Kränkungen.

Mit dem nötigen zeitlichen Abstand wagt Koren heute einen Blick zurück ohne Zorn: „Worum geht's -denn im Steirischen Herbst? Die Steiermark ist ein Land mit einem starken, ausgeprägten Landesbewußtsein. Der Steirer ist ein eigenständiger Mensch. Und dann schöpft er aus einem tiefen Traditionsbewußtsein. Das sind aber beides Dinge, die eine ungeheure Gefahr in sich birgen. Die Gefahr eines eingeengten Lokalbewußtseins und eines versteinerten Kulturdenkens.“ Die beste Versicherung gegen die genannten Gefahren ist nach Koren das, was er als „die Tore aufstoßen“ bezeichnet: „Wir müssen uns die Freiheit nehmen, alles hereinzulassen. Wir müssen schauen, was in der Welt geschieht. In dieser Konfrontation können wir die Maßstäbe suchen, die heute in der Welt gelten.“

Koren-Nachfolger Kurt Jungwirth sieht sich als Verfechter der „Definition des Herbstes im Sinne von Koren“. Die Grundidee, meint Jungwirth, ist nach wie vor richtig und gültig, sie müsse aber ständig weiterentwickelt werden: „Das Programm heuer ist schon charakteristisch 'dafür.“ So gibt es erstmals ein Vor- und Informationsprogramm, das von 9. September bis 8. Oktober läuft und einem Teil der Herbst-Kritiker („Zuwenig Information“, „Friß Vogel oder stirb!“) entgegenkommen soll. Aufgeschlossenheit und Informationsbereitschaft des Publikums soll durch Ausstellungen, Kinderaktionen und Veranstaltungen in steirischen Bezirksstädten sowie durch Diskussion in Arbeitsgruppen aufgelockert und gefördert werden.„Die Leute sind interessiert“, ist sich Jungwirth sicher, „sie wollen nur entweder eine Information vor der eigentlichen Veranstaltung oder eine anschließende Diskussion.“ Jungwirth beruft sich hier auf eine im vorigen Sommer vom Fessel-Institut in ganz Österreich durchgeführte Erhebung über das KulturVerständnis, die rund 2000 Personen erfaßt hat. Eine eigene Frage sollte auch die gefühlhafte Haltung gegenüber moderner Kunst ausloten helfen. Das Ergebnis: 48 Prozent erklärten, „moderne Kunst“ sei ihnen „unverständlich“, 37 Prozent werteten sie als „interessant“, und weitere 33 Prozent meinten auch, sie „rege zur Diskussion an“. Negative Wert-einstellungien rangierten erst viel weiter hinten („Primitiv“ 17 Prozent, „Abstoßend“ 14 Prozent, „Ärgerlich“ 11 Prozent).

Jungwirth hofft, dieses Signal richtig aufgenommen zu haben. Nun werden Mittel und Wege gesucht, dem Konsumenten das Angebot an moderner Kunst zu verdolmetschen: „Wir haben heuer Informations- und Demonstnationsveranstaltungen in und außerhalb von Graz.“ Wesentlichstes Ziel ist dabei, Kunst nicht „ex cathedra“ zu verkünden.

Der Versuch der permanenten Diskussion zwischen Künstlern und Publikum ist übrigens auch ein seit Anbeginn der Idee des Steirischen Herbstes innewohnendes Kriterium. Denn in Anbetracht mancher Mißgriffe und Ausrutscher — zuletzt Bauers „Gespenster“ — verteidigen die Verantwortlichen des Steirischen Herbstes ihr Produkt auch als „Festival der 1. Chance für junge, un-entdeckte Talente“. Herbst-Generalsekretär Dr. Paul Kaufmann gibt zu, „daß bei diesen Dingen vieles danebengeht, das ist einkalkuliert“. Denn, so argumentiert Kaufmann ganz logisch, bei klassischen Werken wie z. B. von Mozart gehe man nur noch das Risiko der Interpretation ein. Das Werk selbst aber ist längst keine Unbekannte mehr.

Einer der heiklen Punkte ist nun die Frage der Selektion. Wenn schon ein Überblick über die moderne Kunst gegeben werden soll, dann stellt sich die Frage: Wer wählt die exemplarischen Werke aus, und welche Werke sind exemplarisch? Dazu der Generalsekretär: „Das geht natürlich nicht wie im Warenhaus. Die Kriterien sind vielmehr: Neuheit, Originalität, künstlerische Qualität und das Bestreben, neue Wege aufzuzeigen.“<

Welche Rolle spielt das Publikum, sein Geschmack, seine zu erwartenden Reaktionen, in der Selektion der Werke? Kurt Jungwirth: „Dem Kulturpolitiker geht es hier wie dem Künstler. Wenn er sich am Publikum orientiert, dann ist er am falschen Weg. Immer nach dem Publikum zu schielen, ist wirklich schlecht. Wenn man den persönlichen Geschmack hintanstellt, heißt das ja nicht, daß man keine Meinung hat. Ich bin ein entschiedener Verfechter der offenen Gesellschaft,dazu gehört auch der Pluralismus in der Kunst.“

Jetzt zu Wolfgang Bauers „Gespenster“: Sie haben mit ihren Nak-kedei- und Vergewaltigungsszenen auf der Bühne stupide Maßstäbe für eine entflammte Kulturdiskussion, die immer mehr an Eigendynamik gewann, gesetzt Das Stück selbst war es sicher nicht wert, zum Anlaß für eine Existenz-Diskussion des Steirischen Herbstes genommen zu werden. Immerhin steht außer Zweifel, daß Bauer schon „bessere“ — soferne solche Wertungen in der Kunst überhaupt legitim sind — Stücke geliefert hat als die „Gespenster“.

Heute steht fest, daß der ganze Wolfi-Bauer-Skandal den Bekannt-heitsgirad des steirischen Herbst-Festivals nur in die Höhe getrieben hat. „Mehr als alle anderen künstlerischen Werke“, weiß Kaufmann, „leider!“ Der von Bauer-Freund Gerhard Roth als „Klosettfliege“ abqualifizierte Tagespost-Kulturredakteur Wolfgang Arnold machte sich nicht nur zum Sprecher der AntiGespenster-Kämpfer, er hängte Gerhard Roth auch einen Ehrenbeleidigungsprozeß an, den er souverän gewann. Arnold in der Tagespost: „Ich beherrsche Roths Sprache nicht, „Klosettfliegen' habe ich bisher: erst einmal gelesen: 1938, im .Stürmer', auf die Juden gemünzt.“ Auf die sachlichen Einwände Arnolds gegen die Gespenster — „daß der dramaturgische Aufbau fehlerhaft, daß die Clique die gleiche sei wie in .Magic afternoon' “ — gingen die Bauer-Verteidiger nicht ein.

Letztlich war die Diskussion total mißraten: Die einen waren finstere Reaktionäre, Faschisten, Neonazis, die anderen sah man als Perverse, Linke (radikale, versteht sich!) und sonstiges Ungeziefer.

Das Prinzip, man dürfe sich nicht an Publikumsmehl heiten orientieren, gilt bei Landesrat Jungwirth auch für den Fall „Gespenster“. Hätte er die Gespenster aufführen lassen, wenn er die Publikumsreaktionen vorausgeahnt hätte? Jungwirth: „Ja, warum denn nicht? Die Frage ist nur, ob so ein Stück überhaupt in den Steirischen Herbst paßt. Es ist ein sehr konservatives Stück. In den .Gespenstern' wird mit recht altbackenen Mitteln Theater gemacht.“ In der Tat würde die Literaturgeschichte kein Loch haben, wären Wolfgang Bauers „Gespenster“ ungeschrieben geblieben. •

Anstoß erregen immer wieder auch verschiedene Beiträge aus dem Ausland. Etwa das Thema „Körpersprache“, das nach den breitgefächerten Publikumsreaktionen irgendwo zwischen Ballett und Nightclub-Strip angesiedelt ist. Das recht sachlich klingende Argument Arnolds gegen diesen Programmpunkt: „Die Körperkunst kommt aus dem amerikanischen Underground. Sie ist Ausdruck der anti-sexuellen Provokation, gewachsen im typisch amerikanischen Puritanismus. Dieses Thema paßt gar nicht in unsere Situation, weil die Voraussetzungen nicht die gleichen sind wie in den USA.“

Landeskulturchef Jungwirth hingegen möchte die internationale Komponente des Herbstes durch nichts eingeschränkt wissen: „Wir müssen die Kunst dort abholen, wo sie stattfindet. Es ist ja eine wirklich österreichische Funktion, daß wir eine Plattform bieten für die Konfrontation. Das ganze ist aber keine Einbahnstraße: Wir müssen Kunst auch ,exportieren'. Die Talente liegen ja auch bei uns auf der Straße herum. Wo haben wir denn die Chance, eine Großmacht zu sein, wenn nicht in der Kunst und in der Wissenschaft?“

Was sich die Verantwortlichen des Steirischen Herbstes für die Zukunft wünschen? Paul Kaufmann würde ein Abgehen von Pauschalkritik und generellen Urteilen am meisten freuen: „Was uns so stark fehlt, sind Toleranz und ein natürliches Maß an Liberalismus.“ Doch Pauschalurteile werden weiter gedeihen. Leider. Denn nichts ist ja leichter, als sich auf diese Art an einer substantiellen Auseinandersetzung vorbeizuturnen. Pauschalurteile signalisieren ebenso Unvermögen und mangelnde Sachkenntnis wie etwa das permanente Schüren von Personaldiskussaonen in der Politik oder das Zündeln mit dem Neiidkomplex, wenn es gut, den „steinreichen Ärzten“ eins auszuwischen.

„Der Steirische Herbst soll dazu beitragen, das Verhältnis zwischen Tradition und Moderne zu entkrampfen“, meint Jungwirth, der sich im klaren ist, daß dieser Entkrampfungsprozeß auch im heurigen Herbst so manchem Kulturträger einen Krampf verschaffen wird. Doch Kulturkrampf ist offenbar unerläßlich, will man weitverbreiteter Ignoranz und versteinerten Fronten den Boden unter den Füßen wegziehen. Auch „Herbat“-Vater Koren denkt nicht daran, von dieser Grundidee des Steirischen Herbstes nur einen Millimeter abzurücken: „Das ist die Grundidee, das Geistige in diesem Land stets in Bewegung zu halten.“

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