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Zwischen Zirkus und Museum

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Das Theater soll ein „Kommunikationsort für Menschen in einer Welt der immer verzweifelteren Vereinsamung“ werden — so meinte kürzlich der neue Bochumer Intendant Peter Zadek. Die Kulturtempel West-Berlins aber sind weiterhin nur für die kleine Schicht der Gebildeten da. Dabei zeigen linke Amateurtheatergruppen und Festwochen-Gastspiele aus dem Ausland seit Jahren, daß und wie Kommunikation im Theater funktionieren kann.

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Das Theater soll ein „Kommunikationsort für Menschen in einer Welt der immer verzweifelteren Vereinsamung“ werden — so meinte kürzlich der neue Bochumer Intendant Peter Zadek. Die Kulturtempel West-Berlins aber sind weiterhin nur für die kleine Schicht der Gebildeten da. Dabei zeigen linke Amateurtheatergruppen und Festwochen-Gastspiele aus dem Ausland seit Jahren, daß und wie Kommunikation im Theater funktionieren kann.

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Im Jahre 1970 hatte Luca Ronconis „Orlando Furioso“, im vergangenen Herbst das Pariser „Theatre du So-leil“ mit der Revolutionsshow „1789“ viele Theatermüde angelockt, bei den diesjährigen Festwochen bereitete der Pariser „Grand Magic Circus“ von Jeröme Savary den überwiegend jungen Zuschauern, auch wenn sie kein Französisch verstanden, ein Fest. Zwischen 75 Pappalmen, mit vielen unechten Affen, Tigern, Elefanten und einer echten Henne, mit künstlichen Nebeln und Wunderkerzen wurde die naiv-natürliche Schaulust befriedigt. Das 20-Perso-nen-Ensemble tollte mit viel Artistik und fröhlichem Sex, mit Musik und immer neuen parodistischen Einfällen zwischen den Zuschauern herum und lud sie am Ende — mit Erfolg — zum Tanz in die Arena.

Daß es in „Zartan, der ungeliebte Bruder Tarzans“ um koloniale Ausbeutung, in „Die letzten Tage der Einsamkeit des Robinson Crusoe“ um die Einsamkeit des modernen Menschen gehen sollte, geriet zwar im Laufe des Abends in Vergessenheit, doch hier zählte etwas anderes: hier wurden Abend für Abend 500 Menschen auf die Spuren ihrer durch falsche Erziehung und zermürbende Arbeit verlorengegangenen Natürlichkeit und auf ihre Fähigkeit zu naiver Freude zurückgeführt, wurde ein wenn auch ganz geringer Beitrag zu ihrer Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen geleistet. *

Was dagegen an den Berliner Theatern über seichte und konventionelle Boulevardunterhaltung hinausreicht, ist in den Bereichen kritisch-intellektuellen und antiquiert-klassischen Theaters angesiedelt.

Die „Schaubühnen am Halleschen Ufer“ zeigt Horväths „Geschichten aus dem Wienerwald“. Der Autor machte an den Verhaltens- und Sprachmustern seiner Personen deren Deformierung durch eine Gesellschaft deutlich, in der Menschlichkeit zur Konvention erstarrt, in Wirklichkeit einfach unnütz ist, und er zeigt die hoffnungslose Sehnsucht der Menschen nach einem glücklichen Leben durch Verwirklichung der in ihnen angelegten besseren Möglichkeiten. An der „Schaubühne“ werden nun Horvaths deformierte Menschen — losgelöst von ihrem sozialen Milieu — zu vollständigen Kunstfiguren. Eine unkritische Betrachtung durch das Publikum wird dabei zwar glücklicherweise unmöglich gemacht, doch aus des Autors spezifischer Art von Volksstück wird ein intellektuelles „Kunststück“. Durch die szenische Phantasie des Regisseurs Klaus Michael Grüber und des Bühnenbildners K. E. Hermann in Verbindung mit der hohen Schauspielkunst von Jutta Lampe, Edith Clever, Elfriede Irrall, Bruno Ganz, Dieter Laser u. a. bleibt die Lektion zwar Theater, aber sie ist am Ende doch nur wenigen verständlich. Die „Schaubühne“ macht, was sie als „linkes“ Theater vermeiden möchte: elitäres Theater.

Daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, wenn Peter Stein demnächst Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ inszenieren und damit in Konkurrenz zu Hans Lietzau treten wird, der das Spiel um individuelle Freiheit und Staatsraison zur Saisoneröffnung im Schiller-Theater auf die Bühne brachte. Der neue Intendant kam dabei leider über die bildungsbeflissene Reproduktion eines Klassikers nicht hinaus, vielmehr schienen seine Schauspieler wie Helmut Griem (Homburg), Heidemarie Theobald (Natalie) und Bernhard Minetti (Kurfürst) jeder eigene Auffassungen von Rolle und Stück zu spielen. So fügte sich nicht einmal das Museumsstück zu einer Einheit, nicht zu reden von der doch zu erwartenden historischen Reflektion des Schauspiels aus Preußen im Jahre 1811 und seiner Beziehungen zu West-Berlin im Jahre 1972.

Zeitgenössisch dagegen begann die Saison auf Lietzaus kleinerer Bühne, dem Schloßpark-Theater. Nach dem Skandal um die Salzburger Uraufführung wurde hier erstmals Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ nachgespielt. In dieser neuen Variation von Bernhards beharrlich einzigem Grundthema, dem an krankhaften Symptomen sichtbar gemachten Verfall der Menschheit, sind es zwei hervorragende Bereiche menschlicher Kultur, nämlich Wissenschaft und Kunst, genauer Medizin und Musik, deren zunehmende Entfernung vom Menschen zum Ausdruck kommt. Das Stück, viel Text und wenig Theater, verlangt nach einer mitschöpferischen Regie. Hier kam jedoch Dieter Dorn mit seinen Darstellern Stefan Wigger, Lieselotte Rau und Wilhelm Bordiert über ein Arrangement nicht sehr weit hinaus.

Was Regie leisten kann, demonstrierte dagegen das Festwochengastspiel der Madrider „Compania Nuria Espert“ mit Federico Garcia, Lorcas „Yerma“ in der Inszenierung des Brasilianers Victor Garcia. Dieses Drama der Frau in Spanien, der ihr einziger von der Gesellschaft akzeptierter Lebenszweck, das Empfangen, Gebären und Erziehen von Kindern, durch die Unfruchtbarkeit ihres Mannes vorenthalten wird, wurde von allem, sonst bei Lorca üblichen folkloristischen Beiwerk befreit. Nuria Espert in der Titelrolle und ihr Ensemble konzentrierten sich ganz auf die körperliche Krea-türlichkeit der Figuren und machten so erst deutlich, wie wenig die gesellschaftlichen und privaten Verhaltens- und Denkweisen mit den Sehnsüchten und Möglichkeiten der Menschen übereinstimmen. Hier zeigte das Theater, was es leisten kann. Der überwältigende Publikumserfolg in Spanien und die Schwierigkeiten mit der dortigen Zensur waren die logische Folge.

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