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Zwischen zwei Stühlen

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Das Schicksal hat es mit so manchen Menschen in den letzten vierzig Jahren nicht sehr gut gemeint. So mancher wurde wie von einem Wirbelwind erfaßt and in der Luft herumgeschleudert. Das Schicksal eines solchen Menschen erzählt Jan Martinec in seinem Roman „Held zwischen zwei Stühlen“. '

Es ist die Geschichte eines Mannes, der im ersten Weltkrieg in Prag geboren wurde. Sein Vater, ein Kaufmann, war Jude und seine Mutter war die Tochter eines Professors der deutschen Universität in Prag. Wie so viele Juden Böhmens bekannte sich auch der Vater des Helden zum

Deutschtum, weshalb denn auch der Sohn selbstverständlich deutsche Schulen besuchte, die es ja in der tschechoslowakischen Republik in genügender Anzahl, auch in Prag, gab. Selbstverständlich lernte er aber von Kindheit an auch Tschechisch. In der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre geht das Geschäft seines Vates immer schlechter. Es ist die Zeit, da im benachbarten Deutschland die gleiche Wirtschaftskrise viele Menschen in die Arme Hitlers treibt, bis er schließlich die Macht erlangen kann. Der Talmi-Glanz des Dritten Reiches strahlt auch nach Böhmen hinüber und verwirrt viele deutschböhmische Geister. Erst in diesem Augenblick beginnen viele Juden sich vom Deutschtum, dem sie so wertvolle Dienste geleistet haben, abzuwenden. Unser Held wird nach Absolvierung der Matura Schmierenschauspieler, zuerst auf deutschböhmischen, dann auf tschechischen Bühnen. Aus Haß gegen Hitler wird er Kommunist. In dieser Zeit, da die große Tragödie Mitteleuropas und Europas beginnt, beginnt auch seine persönliche Tragödie. Denn für die Tschechen ist er trotz allem ein Deutscher, für die Deutschen ist er ein Jude und für die Juden selbst wiederum ist er ein Goj. Ein Schicksal, das vielen Juden und „Mischlingen“ Böhmens zu einem besonderen Verhängnis wurde. Denn als Hitler Böhmen besetzte, kamen sie als Juden in die KZ's und nach 1945, als sie zurückkehrten, galten sie als Deutsche und kamen neuerlich ins Gefängnis.

Aber dieses Schicksal bleibt unserem Helden erspart. Als Hitler einmarschiert, gelingt ihm eine abenteuerliche Flucht nach Palästina. Aber auch hier ist er verdächtig. Teils, weil er nur Halbjude ist, teils weil er sich lange zum Deutschtum bekannt hat. Seine Rettung ist schließlich der Eintritt in die tschechoslowakische Auslandsarmee. Über Nordafrika kommt er nach Westeuropa und nimmt 1944 an der Landung der Alliierten teil. Als Befreier kehrt er in die Heimat zurück. Aber wiederum wird er verdächtigt. Denn er hat als Soldat, ja im Westen gedient und gilt für das neue kommunistische System als mit westlichen Ideen verseucht. Mühsam bringt er sich wieder als Schauspieler, Regisseur und Propagandist durch, bis der Prager Frühling für kurze Zeit einen Sonnenschein in dieses traurige Leben bringt. Aber auch diese Sonne geht bald unter. Und der Held fristet sein Leben weiter, ständig geplagt von der Angst, wieder einmal zwischen zwei Stühlen durchzufallen.

Hervorragend in dem Roman ist die Schilderung der Prager Verhältnisse zwischen 1930 und 1939. Uber Böhmen lag damals eine Wolke, die eine merkwürdige Mischung aus Verzweiflung, geboren aus der Wirtschaftskrise, und aus Hoffnung auf irgendeine Erlösung darstellte. Die einen erhofften die Erlösung von Deutschland, die anderen von Rußland. Die offizielle tschechoslowakische Politik wiegte sich in Illusionen der Sicherheit auf Grund der Bündnisse des Landes mit Frankreich, Rußland und der Kleinen Entente, die sich aber im Zeitpunkt der Krise als wertlos erwiesen haben. Hervorragend ist auch die Schilderung der Flucht nach Palästina auf einem uralten Donaudampfer, der völlig mit Flüchtlingen überladen ist, die sich alle auf die Nerven gehen. Erschütternd ist die Schilderung der Jahre nach der Heimkehr nach Prag mit ihren begrabenen Hoffnungen, mit ihren kleinen Freuden und mit ihrer einzigen Sehnsucht, alles zu überstehen.

Die letzten vierzig Jahre haben es mit so manchen Menschen nicht gut gemeint. Stellvertretend für alle diese Menschen, die immer wieder zwischen allen Stühlen hindurchfielen, beschreibt dieser Roman von Martinec das Schicksal eines solchen geschlagenen Helden. Die Älteren von uns haben alle diese letzten vierzig Jahre bewußt miterlebt und für alle waren diese Jahre irgendwann einmal schwer. Daß sie noch unendlich viel schwerer hätten sein können, zeigt dieser Roman.

HELD ZWISCHEN ZWEI STÜHLEN. Roman von Jan Martinec. Ehrenwirth-Verlag, München. 296 Seiten, DM 26.—.

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