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Zwischen zwei Welten: Fremde unter uns

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Das Problem der Gastarbeiter in Österreich ist - vor allem menschlich - noch immer ungelöst. Aber schon wird es von einem zweiten, womöglich noch brennenderen überlagert: dem der Polenflüchtlinge. Die FÖRCHE wird auch darauf zurückkommen.

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Das Problem der Gastarbeiter in Österreich ist - vor allem menschlich - noch immer ungelöst. Aber schon wird es von einem zweiten, womöglich noch brennenderen überlagert: dem der Polenflüchtlinge. Die FÖRCHE wird auch darauf zurückkommen.

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Neulich traf ich einen jugoslawischen Gastarbeiter in einem Wiener Park. Er erzählte mir, daß er bei einer Bitte um Auskunft immer zwei Leute fragen müsse, sonst laufe er Gefahr, daß er durch absichtlich falsche Angaben irregeführt werde.

Eine Untersuchung „Gastarbeiter - wirtschaftliche und soziale Herausforderung“, die von einer Gruppe von Soziologen unter Ernst Gehmacher im Jahr 1973 gemacht wurde, zeigt, daß bei 51 % der österreichischen Bevölkerung Gastarbeiter als „dreckig“ gelten. 52 % betrachten sie als primitiv.

In den Gebieten, in denen besonders viele Gastarbeiter wohnen, sind die Vorurteile noch größer. Dort meinten 59 % der Bevölkerung, Gastarbeiter seien schmutzig, und 70 % betrachteten sie als primitiv.’Die Untersuchung ergab, daß Frauen mehr Vorurteile haben als Männer. 39 % der Österreicher wollen keine Gastarbeiter als Nachbarn.

Typische Beschwerden von Gastarbeitern, die ich gehört habe:

• Acht Personen müssen in einem Raum leben.

• Für 20 Bewohner gibt’s nur eine Toilette.

• Hunde haben bessere Behausungen als wir.

• Wir zahlen soviel für ein Bett wie Österreicher für eine ganze Wohnung.

• In einigen Restaurants werden wir sehr unhöflich bedient.

• Unsere Kinder sind in den Schulen isoliert.

• Die meisten Mädchen wollen mit uns nichts zu tun haben.

• In unserer Heimat sind die Menschen meist freundlich - hier treffen wir nur auf Feindschaft.

Neulich sprach ich mit einem neunjährigen Buben, in dessen Klasse auch einige Gastarbeiterkinder gehen. „Wie werden in eurer Klasse die ausländischen Kinder behandelt?“

„Ach, wir kümmern uns nicht viel um sie!“

„Spielst du mit ihnen?“

„Sehr selten.“

„Lädst du sie zu deinem Geburtstag ein?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil sie dreckig sind und einige von ihnen sogar stinken!“

„Versuchen die Lehrer, sie mit euch zusammenzubringen?“

„Nein!“

Noch eine andere typische Einstellung wurde mir in einem Gespräch klar, das ich mit einem Mann in der Straßenbahn führte. Er war ungefähr 40 Jahre alt und Busfahrer von Beruf.

„Was halten Sie von Gastarbeitern?“

„Da gibt’s viel zu viele!“

„Was würden Sie da tun?“

„Sie alle zurück nach Hause schik- ken!“

„Ja, aber was würde da in der österreichischen Wirtschaft passieren?“

„Wir müßten eben mehr arbeiten, das wäre nur gut für uns!“

„Warum mögen Sie die Gastarbeiter nicht?“

„Weil sie nicht zivilisiert sind. Wo sie leben, ruinieren sie alles. Sie sind wie Wilde.“

„Kennen Sie einen Gastarbeiter persönlich?“

„Nein, und ich will auch gar keinen

kennenlernen. Ich habe schon genug, wenn ich/sie sehe und ihr Geschrei höre!“

Ich fragte einen hohen Beamten in Deutschland, ob er für Menschlichkeit sei. Seine Antwort war: „Unbedingt“.

„Würden Sie sich auch für Gastarbeiter einsetzen?“

„Ja, wenn sie es verdienen.“

„Das ist schon eine Einschränkung“, bemerkte ich.

„Wir müssen praktisch sein.“

„Heißt das nicht, daß wir sie als Objekte behandeln? Wenn die wirtschaftliche Lage gut ist, sind sie willkommen, aber sobald eine Rezession kommt, werden sie abgeschrieben. Wie kann man eine solche Haltung mit der Menschenrechtskonvention der UNO vereinbaren?“

„Kein Gesetz ist perfekt. Die ökonomischen Bedürfnisse sind maßgebend.“

„Bedeute das nicht Unmenschlichkeit in der Praxis? Zum Beispiel die Tatsache, daß so viele Gastarbeiterfamilien getrennt sind, daß die Schulbildung so vieler Gastarbeiterkinder minimal ist, daß so viele in der Sonderschule landen und andere überhaupt keine Schule besuchen?“

„Das ist alles wahr, aber was kann ein einzelner tun, um so ein schwieriges Problem zu bewältigen? Wir dürfen nicht vergessen, daß die Gastarbeiter in Europa wie die Neger in Amerika sind. Gesetze allein helfen nicht. Die Haltung der Bevölkerung muß sich ändern, und das wird noch lange dauern.“

Die Demütigungen der Gastarbeiter sind vielfältig. Wenn sie beispielsweise mit einem Amt zu tun haben, werden sie oft geringschätzig behandelt. Wenn

sie ein Dokument benötigen, können sie oft endlos warten. Beamte schreien sie an oder zeigen ihre Feindschaft auf andere Weise.

Wenn Gastarbeiter krank werden, müssen sie oft lange einen Arzt suchen, der sie dann als Menschen zweiter .Klasse behandelt. Sie sind den Sprechstundenhilfen und Krankenschwestern ausgeliefert, deren Haltung ebenfalls oft voll Ablehnung ist.

Ein Gastarbeiter in Deutschland sagte einmal zu mir: „Ich bin jetzt seit fünf Jahren hier und arbeite in einem Stahlwerk. Aber ich habe wenig Kontakt. Seit ich in Deutschland bin, hat mich erst ein einziges Mal ein Kollege nach Hause eingeladen.“

Natürlich darf man nicht verallgemeinern. Die christlichen Kirchen z. B. bemühen sich ständig, Vorurteile abzubauen und die Situation der Gastarbeiter zu verbessern. Großstädte wie Berlin, Wien und Frankfurt waren Wegbereiter auf dem Gebiet der Fremdarbeiterberatung, aber das Problem besteht weiter, wenn auch nur noch teilweise, weil noch nicht genug im Bereich der Erziehung und der Massenmedien getan wird, um die Ursachen des Vorurteils auszurotten.

In der Schweiz besteht dieses Problem genauso wie in Deutschland und Österreich. 1970 ergab ein Volksentscheid, der von James Schwarzenbach initiiert wurde, um die Zahl der Gastarbeiter radikal zu beschränken, 46 % Ja- Stimmen, obwohl alle großen Tageszeitungen und Kommentatoren dazu aufgerufen hatten, Schwarzenbachs Referendum abzulehnen, weil es ein Ausdruck größter Intoleranz sei.

Jugendliche Gastarbeiter haben es besonders schwer. Kürzlich sprach ich mit einem 16jährigen jugoslawischen Lehrling, der schon fünf Jahre in Österreich ist. Meine erste Frage war, ob er hierbleiben oder nach Belgrad zurückkehren wolle. Seine Antwort war: „Mir gefällt es ganz gut, aber ich möchte doch zurück nach Jugoslawien. Hier verdiene ich mehr Geld, aber materielle Sicherheit bedeutet nicht alles.“

„Haben Sie Freunde in Österreich gefunden?“

„Ich dachte einmal, ich hätte einen Österreicher als Freund. Er war im selben Alter wie ich und wir sind zusammen in die Schule gegangen. Aber ich entdeckte, daß er nur etwas .von mir wollte. Wenn wir wohin gingen, mußte ich immer die Rechnung zahlen. Er hatte eine sehr hübsche Schwester, mit der ich ausgehen wollte. Er war dagegen und sagte, daß sie schon einen festen Freund hätte. Die Wahrheit war, er wollte nicht, daß seine Schwester sich mit einem Gastarbeiter einlassen würde.“

„Wie war es in der Schule?“

„Schlecht. Ich hatte zuerst Schwierigkeiten mit der Sprache. Aber ich habe Deutsch relativ leicht gelernt. Jetzt spreche ich die Sprache ganz gut. Das Schlimmste in der Schule war die Isolierung.. Einige Lehrer waren sehr herablassend und ich fühlte, daß sie ein Vorurteil gegen Gastarbeiter hatten. In der Schule war eine Rockerbande, die besonders brutal war. Ich wurde einmal von der Bande überfallen und niedergeschlagen. Danach lernte ich Karate und sie haben mich in Ruhe gelassen.“

„Wie viele Geschwister haben Sie?“ „Einen Bruder. Er ist viel jünger als ich. Er geht noch in die erste Klasse Volksschule. Neulich ist er weinend nach Hause gekommen. Meine Mutter hat gefragt, warum er weinte. Er sagte, jemand in der Schule habe ihn .Tschusch’ genannt. Er wollte wissen, warum er ein .Tschusch ist. Meine Mutter konnte nicht antworten.“

Ich fragte eine 16jährige Türkin über ihre Eindrücke in Österreich. Sie berichtete:

„Ich lebe zwischen zwei Welten. Mein Eltern sind sehr streng. Ich habe viel weniger Freiheit als Österreicherinnen. Zum Beispiel: Ich kann nicht allein mit einem Freund ausgehen. In der Türkei ist die Ehre der Frau besonders wichtig, und sie hat viel weniger Rechte als der Mann … Ich wäre gerne länger zur Schule gegangen, aber meine Eltern waren dagegen. Sie sagten: Warum brauchst du so viel Erziehung? Warum willst du so viele Bücher lesen? Warum bist du so ehrgeizig? Das Wichtigste ist, daß du einen Mann findest und daß du eine gute Hausfrau bist… Ich möchte mehr wie ein österreichisches Mädchen leben und unabhängig sein, aber ich will meine Eltern nicht verletzen.“

„Haben Sie eine österreichische Freundin?“

„Eine Bekannte schon, aber keine echte Freundin.“

„Sind Sie oft bei ihr eingeladen?“

„Nein, wir treffen uns gewöhnlich im Kaffeehaus. Sie will wahrscheinlich nicht, daß ich ihre Eltern treffe.“

„Hat sie Vorurteile gegen Gastarbeiter?“

„Sie sagt immer, daß für sie alle Menschen gleich seien, aber das stimmt nicht. Sie hat mich gern, aber das bedeutet nicht, daß ich von ihr vollständig akzeptiert werde. Es gibt eine gewisse Kluft zwischen uns beiden. Wir sprechen nicht darüber, aber ich fühle es. Sie betont immer wieder, wie wichtig Reinlichkeit für sie sei. Sie fragte mich einmal, warum Gastarbeiter oft so schmutzig sind. Ich erklärte ihr, daß sie meistens die dreckigste Arbeit machen müssen und in Wohnungen leben, wo das WC draußen ist und nur wenig Waschangelegenheiten bestehen. In unserer Familie sind sieben Personen, wir leben in zwei Zimmern. Wir haben kein Badezimmer.“

„Ist sie schon bei Ihnen zuhause gewesen?“

„Nein, meine Eltern wollen nicht, daß ich eine österreichische Freundin habe. Sie glauben, das wäre ein schlechter Einfluß für mich. Aber ich werde meine Bekannte auch nicht einladen. Bei uns sieht es sehr primitiv aus. Die Möbel sind alt, alles müßte neu tapeziert werden. Ich schäme mich, daß wir so leben müssen.“

„Haben Ihre Eltern versucht, eine andere Wohnung zu bekommen?“

„Schon öfter. Aber der Zins ist entweder zu hoch oder man will nicht an Gastarbeiter vermieten. Mit einer kleinen Familie hätten wir es leichter, aber wer will schon eine große türkische Familie in Österreich haben?“

Diese Aussagen sollen uns nicht zur Resignation führen, sondern zum konkreten Engagement für unsere „Gäste“. Was wir für die Schwachen tun, ist Test für unsere Gesinnung und für unsere Lebensqualität.

Der Verfasser ist Erziehungswissenschafter und UNIDO-Konsulent für inteprationale Ausbildungssysteme.

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