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Zypern: Die Insel der Sackgassen

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Bei einem Besuch auf Zypern gewinnt man den Eindruck, daß der Status quo allmählich legalisiert wird. Die Wiedervereinigung der Insel rückt in immer weitere Ferne.

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Bei einem Besuch auf Zypern gewinnt man den Eindruck, daß der Status quo allmählich legalisiert wird. Die Wiedervereinigung der Insel rückt in immer weitere Ferne.

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In Nikosia, der geteilten Hauptstadt des geteilten Zyperns, möchte man es am liebsten den Schwalben nachmachen, die über die Demarkationslinie hinweg von einem Stadtteil zum anderen fliegen. Ebensowenig kümmern sich Katzen um die Mauer aus Fässern, aufgeschichteten Steinen und Stacheldraht.

Aber für die Menschen auf Zypern werden die meisten Straßen Nikosias zu Sackgassen, an deren Ende bewaffnete Wachtposten stehen. Auch auf Uberlandfahr-ten stößt man wiederholt an die sogenannte „grüne Linie", die seit 1974 die Insel in einen griechischen und einen türkischen Landesteil aufteilt.

Auf Zypern ist der Besucher besonderen Gesetzen unterworfen. Die international allein anerkannte, jetzt nur den Südteil Zyperns verwaltende griechisch-zypriotische Regierung hat die Einreise in den türkisch-zypriotischen Nordteil für illegal erklärt. Wer via Istanbul oder Ankara auf dem Ercan-Flughafen bei Nikosia eintrifft, darf nicht in den Südteil der Insel überwechseln.

Zypern war seit altersher ein Kreuzpunkt zwischen Ost und West, strategisch bedeutend sowohl in der Antike wie nach der Eröffnung des Suez-Kanals. Die Insel sah Hethiter, Assyrer, Phönizier, Ägypter, Perser, Griechen, Römer, Byzantiner, Araber, Tempelherren, Venezianer, Osmanen und Briten.

Von 1571 bis 1914 war sie ein Teil des türkischen Reiches. Nicht nur die Briten, auch die Griechen machten sich den Niedergang des türkischen Osmanenreiches zunutze: Großbritannien annektierte 1914 Zypern, während Griechenland die anatolische Westküste besetzte.

Nach jahrhundertelanger Türkenherrschaft in Griechenland standen die Griechen unter der Idee der Wiederbegründung des hellenischen Großreiches. Atatürk, der „Vater der modernen

Türkei", stellte sich dem griechischen Expansionsdrang entgegen; er bereitete den griechischen Truppen eine Niederlage und ließ mehr als eine Million Volksgriechen aus Kleinasien vertreiben.

In jenen Feindseligkeiten hat der Zypernkonflikt unserer Zeit seine Wurzeln. Vorher waren Griechen und Türken auf Zypern leidlich miteinander ausgekommen. Jede Volksgruppe hat ihr

Heimatrecht auf der Insel. Je näher die Unabhängigkeit Zyperns heranrückte, desto stärker erwachten die nationalen Gegensätze.

1960 wurde die Insel nach dreieinhalbtausendjähriger Fremdherrschaft in die Selbständigkeit entlassen. Es dauerte nicht lange, bis sich die beiden Volksgruppen in die Haare gerieten: auf die griechischen Enosis-Forderungen, das Drängen nach Anschluß an Griechenland, reagierten die Türken mit Gegendruck.

Griechen und Türken auf Zypern vermochten sich nicht zu einer Nation zu finden. Statt der zyprischen Flagge zeigen sie heute noch vorzugsweise die Farben Griechenlands und der Türkei.

Der Verfassung gemäß sollen 70 Prozent der Parlamentsabgeordneten griechischsprechende und 30 Prozent türkischsprechende Zyprioten sein. Von den 700.000 Inselbewohnern sind 79 Prozent griechischer und 21 Prozent türkischer Abstammung. Aber eine demokratische Verfassung hat nicht viel Wert, wenn der Wille zur Zusammenarbeit fehlt.

Die griechischen Zyprioten verstanden es, ihre Mehrheit auszuspielen, und den türkischen Zyprioten widerstrebte es, die Staatsführung von Erzbischof Makarios anzuerkennen. Schikane, Verleumdungen, Attentate steigerten das gegenseitige Mißtrauen, den Haß.

Am 15. Juli 1974 kam es in Nikosia mit massiver Unterstützung der Athener Obristen zu einem Staatsstreich. Fünf Tage später landeten türkische Interventionstruppen an der Nordküste Zyperns. Sie brachten nahezu 40 Prozent der Insel unter türkische Militärkontrolle. Ein Drittel der Inselbevölkerung wurde zu Flüchtlingen und Vertriebenen.

Heute leben nur noch einige

Dutzend Türken auf griechischer und rund 1500 Griechen auf türkischer Seite. 1975 proklamierten die Politiker im Norden Zyperns einen „Föderativen türkisch-zypriotischen Staat". Raouf Denk-tasch wurde zum Regierungschef gewählt.

Auf griechischer Seite übernahm Spyros Kyprianou nach dem Tode von Erzbischof Makarios das Amt des Staatspräsidenten. Von den türkischsprechenden Zyprioten wird Kyprianou als Oberhaupt eines gesamtzypriotischen Staates abgelehnt. Indessen wettern die griechischspr^chen-den Zyprioten gegen die „systematische Türkisierung" des Nordens. Dort haben sich mindestens 35.000 Türken vom Festland angesiedelt.

Trotz einer Resolution der Vereinten Nationen machen die türkischen Truppen von annähernd 23.000 Soldaten keine Anstalten, die Insel zü verlassen. Die griechischen Zyprioten drängen auf die Schaffung eines Bundesstaates mit starker Zentralregierung und auf das Recht aller Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre ehemaligen Wohngebiete.

Die türkischen Zyprioten wünschen ein föderatives System mit weitgehender Eigenständigkeit der Teilgebiete. Sie drohen mit einer Unabhängigkeitserklärung, falls sich die Gegenseite nicht zu Kompromissen bereit erklärt.

Die seit 1978 zwischen Kyprianou und Denktasch geführten Gespräche über eine Wiederannäherung und eventuelle Wiedervereinigung der beiden Inselteile blieben bisher erfolglos. Beide Seiten haben bisher nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, was sie eigentlich wollen.

Bestenfalls könnte aus den Verhandlungen eine Bundesrepublik Zypern hervorgehen, aber bei verhärteten Fronten könnten auch zwei separate Staaten entstehen.

Derzeit sehen sich die Vereinten Nationen noch nicht ermutigt, die 2300 UNO-Soldaten aus Dänemark, Kanada, Schweden, Großbritannien und Österreich von der Insel abzuziehen. Bereits seit 1964 wird das Mandat dieser Friedenstruppe halbjährlich verlängert. Ausländische Beobachter könnten den Eindruck gewinnen, daß sich Griechen und Türken im Schutz der UNO-Soldaten nicht gedrängt fühlen, ihre Probleme endlich zu lösen.

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