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mozaik

DISKURS
Nikolo - © llustration: Rainer Messerklinger

Nikolo mit Marlboro

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Der Krampus mit den spitzen Zähnen, aus dessen Maul eine lange Zunge hing, grinste mich so seltsam an. Hoffentlich beißt er mir nicht den Kopf ab, dachte ich, obwohl ich gleichzeitig Mitleid für diese seltsame Kreatur empfand.

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Der Krampus mit den spitzen Zähnen, aus dessen Maul eine lange Zunge hing, grinste mich so seltsam an. Hoffentlich beißt er mir nicht den Kopf ab, dachte ich, obwohl ich gleichzeitig Mitleid für diese seltsame Kreatur empfand.

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Es war wieder so weit, der Nikolo und sein humpelnder zotteliger Gefährte schlurften über die Schulgänge und verbreiteten fürchterliche Vorfreude. Endlich betraten sie auch unser Klassenzimmer. Der Nikolo rief hüstelnd unsere Namen auf. Der Reihe nach hüpften wir nach vorne, um die kleinen roten Krepppapiersäckchen abzuholen, die der Nikolo aus seinem großen braunen Jutesack holte. Auf die Braven wartete im Säckchen ein Schokonikolo, auf die Schlimmen ein Schokokrampus. Als mein Name erklang, betrat ich nur zögerlich die Bühne. Der Krampus mit den spitzen Zähnen, aus dessen Maul eine lange Zunge hing, grinste mich so seltsam an. Hoffentlich beißt er mir nicht den Kopf ab, dachte ich, obwohl ich gleichzeitig Mitleid für diese seltsame Kreatur empfand. Als sich der Nikolo zu mir herabbeugte, um mir ein Säckchen in die Hände zu drücken, roch sein aufgeklebter Bart nach Zigarette. Das beruhigte mich, erinnerte mich an meinen Vater. Zu Hause leerte ich die Beute aus meinem Beutel. Die Mandarinen und Walnüsse schenkte ich Mutter. Sie waren zu gesund für mich. Genüsslich biss ich dem Schokonikolo den Kopf ab und dachte an den armen Krampus. Vielleicht gierte er gar nicht nach meinem Kopf, sondern wollte nur eine Marlboro vom Nikolo. Irgendwie war er gar nicht zum Fürchten, sondern bloß ein dunkelhaariger Außenseiter mit schwarzen Zähnen wie ich. Erst kürzlich erfuhr ich jedoch, dass der Krampus, ein alpenländischer Vorweihnachtsdämon, quasi ein Einheimischer ist, wohingegen der Heilige Nikolaus aus Myra, der Stadt Demre in der heutigen Türkei, stammt. Der Nikolo, ein Gastarbeiter, der blieb.

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Möchten Sie mozaik abonnieren und das neueste Stück digital lesen? furche.at/newsletter

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