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DISKURS
Uhr - © Illustration: Rainer Messerklinger

Stress

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Furche-Redakteurin Manuela Tomic über den „Vater der Stressforschung“ – und die eigenen Nerven.

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Furche-Redakteurin Manuela Tomic über den „Vater der Stressforschung“ – und die eigenen Nerven.

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Wenn ich gestresst bin, sagt Mutter immer, ich solle meine Nerven schonen. Als ich gerade mein Studium in Mindestzeit abgeschlossen und ein Dutzend Praktika bestritten hatte, bemerkte sie: „In deinem Alter hatte ich einen Beruf und ein Kind, aber keinen Stress.“ Dann begann Mutter, von Ex-Jugoslawien zu erzählen. Nach getaner Arbeit setzten sich alle in die Cafés. Kinder spielten zwischen den geparkten bunten Kleinwägen, den fićos, Ball. Die Alten saßen den ganzen Tag auf den Bänken und aßen geröstete Sonnenblumenkerne. Unter ihren Füßen türmten sich die Schalen, die sie mit den Zähnen knackten und im Takt ausspuckten. Ich kenne den Klang der Entspannung aus meiner Kindheit. Das Wort „Stress“ hat Mutter zum ersten Mal in Österreich gehört. Kein Wunder: Der „Vater der Stressforschung“, Hans Selye, ist in Wien geboren. 1936 entwarf der Biochemiker das erste „Stresskonzept“. Die ex-jugoslawischen Gastarbeiter brachten das Wort über die deutsche Sprache als stres mit nach Hause. Ein eigenes Wort gibt es auf dem Balkan bis heute nicht. Das türkisch-bosnische frka kommt dem Begriff am nächsten. Es kann „Stress“ bedeuten, aber auch „Party“. Ich habe nie gelernt, meine Nerven zu schonen. Darum ist mein Kopf ein bisschen kaputt. Das macht aber nichts, sage ich oft zu Mutter. Wenn man für gar nichts mehr gut ist, dann wenigstens fürs Schreiben.

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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