
Worte, die štimen
Meine Muttersprache ist ein kaputtes Instrument mit schiefen Tönen, unsere Worte wie im Transit.
Meine Muttersprache ist ein kaputtes Instrument mit schiefen Tönen, unsere Worte wie im Transit.
Die Klavier-Štimer haben Belgrad gerettet. Der serbische Schriftsteller Bora Ćosić erzählt in seinem Roman „Wie unsere Klaviere repariert wurden“, wie sie in den Kellern die kaputten Instrumente ausgegraben, neue Saiten aufgezogen und die Klaviere lackiert haben. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg. Beim Lesen dieser Zeilen starrte ich auf die Buchseite. Ich konnte meine Augen nicht mehr vom Wort Klavier-Štimer abwenden. Darin spiegelte sich die Tragikomödie meiner Muttersprache, eines kaputten Instruments mit schiefen Tönen. Serbokroatisch, nach dem Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren als offizielle Amtssprache abgeschafft, wirkt heute wie aus der Zeit gefallen, unsere Worte wie im Transit. Die Sprache war mit uns gereist. Und nun štime auch ich jeden Tag Worte, mache sie passend, fülle Lücken. Doch eines ließ mich beim Lesen nicht los. Ausgerechnet für die Štimer, den Inbegriff der Hochkultur, brauchten wir ein deutsches Lehnwort. Klaviere štimen konnte man im Serbokroatischen also nur auf Deutsch. Hatte es etwas mit der Präzision zu tun, die dieses Handwerk erforderte? Wäre alles anders gekommen, wenn wir für Tätigkeiten der Hochkultur eigene Worte hätten?