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Das Grab von Monte Cassino

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Der unselige Tag des Jahres 1944, an dem die ehrwürdige Benediktinerabtei Monte Cassino in Trümmer sank, wird in der Geschichte des Abendlandes für alle Zeiten gezeichnet bleiben. Aus dem Bombenhagel aber kam nicht nur Tod und Vernichtung: er brachte auch die Reliquien des heiligen Benedikt ans Licht, die hier seit dem Jahre 543 ruhen. Wenn die Nachricht von der Wiederauffindung der sterblichen Reste des großen Ordensgründers seinerzeit m der ganzen christlichen Welt Aufsehen erregte, so verdient jetzt die Dokumentation, die soeben von den Mönchen des Klosters Monte Cassino der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, vom wissenschaftlichen Standpunkt die höchste Würdigung. Denn durch diese sorgfältige und sachlich unantastbare Arbeit ist der unwiderlegliche Beweis geliefert worden, daß St. Benedikt seit seinem Tode in den Mauern des von ihm gegründeten Klosters begraben lag, denn die unter dem Hochaltar der Klosterkirche aufgefundenen sterblichen Überreste sind ohne Zweifel die wirklichen Gebeine des Heiligen.

Die Darstellung der Auffindung des Grabes von St. Benedikt unter dem Hochaltar der Klosterkirche in dem mehrere hundert Seiten umfassenden und durch zahlreiche Photographien erläuterten fend des Dokumentwerkes ist von vorbildlicher Klarheit. Zuerst wird eine lebendige, alle einzelnen Phasen mit genauen zeitlichen Angaben verzeichnende Schilderung der Freilegungsarbeiten gegeben, die in Anwesenheit des Abtes von Monte Cassino, von Wissenschaftern aus dem Kreise des Benediktinerordens und Vertretern der italienischen Universitäten am 1. August 1950 begannen. Besondere Zeugen, Sachverständige, Photographen und Spezialarbeiter waren bei diesen Arbeiten zugegen, die streng nach den kanonischen und wissenschaftlichen Vorschriften vor sich gingen. Von dem Augenblick der Entfernung der ersten Steinplatte vom Altar der Kirche folgt man der Darstellung mit immer größerer Spannung. Es kommen zunächst Mosaiken aus der unter dem Abt Desiderius errichteten ersten Klosterkirche zutage, dann werden mehrere leere Sargnischen aufgedeckt, dann stößt man auf eine schwere Marmorplatte, die, wahrscheinlich unter der furchtbaren Gewalt der rings umher einschlagenden Bomben in vier Teile geborsten ist. Es ist genau 18 Uhr dieses ersten Ausgrabungstages, als der Abt durch eine Öffnung unter dieser Platte das Vorhandensein eines sargartigen GetofMes feststellt. In ihr einem Metei

Entfernung von der Platte steckt ein Blindgänger — explodierte damals dieser Sprengkörper, so wäre auch an dieser Stelle alles vernichtet worden, was sich nun den andächtig erschauernden Blicken der kleinen Gruppe offenbarte. Die Bruchstücke der Marmorplatte wurden abgehoben, und vor ihren Augen lag in einer Sargnische, kaum einen halben Meter unter dem Boden des Presbyteriums, eine unversehrte Urne von Alabaster. Auf der Unterseite der Marmorplatte aber kündeten die ersten Worte einer lateinischen Inschrift aus dem Jahre 148:

IN HAC SEPULTURA IACENT CORPORA BEA / PATRIS SCTI BENEDICT! ET SCOLASTICA EIUS SORORIS

Danach konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß man vor dem Grabe des heiligen Benedikt und seiner Schwester, der heiligen Scholastika, stand, das durch die Jahrhunderte hindurch unangetastet geblieben war. Nun erklärten sich auch die anderen, leeren Grab- nisehen daneben: hier waren die Heiligen Constantinus, Simplicius, Carloman- nus, Guinizzone und Januarius bestattet, ehe man ihre Reliquien nach anderen Orten der Verehrung brachte.

Die Alabastemrne wurde nun herausgehoben, versiegelt und in feierlichem Geleit bei nächtlichem Fackelschein nach dem Kapitelsaal in dem neuaufgebauten Teil der Abtei gebracht und dort unter strenger Bewachung bis zum nächsten Tag verwahrt.

Am 2. August wurde die wissenschaftliche Untersuchung des kostbaren Fundes fortgesetzt. Knapp nach der Mittagsstunde — das Protokoll verzeichnet mit peinlicher Genauigkeit Stunde und Minute jedes einzelnen Vorgangs — konnte man nach schwieriger Lösung der Lötsiegelung den Deckel des Alabastergefäßes abheben, auf dessen Innenseite mit deT Jahreszahl 1659 folgende Worte zu lesen waren:

SS“1 P. BENEDICTI ET SCHOLAST / SACRA OSSA ET CINERES

In der Alabasterurne kam nun eine recht gut erhaltene Kassette aus Zypressenholz zum Vorschein, welche eine Bleikassette barg, deren Deckel die Inschrift zeigte:

.SS P. P. BENEDICTUS ET SCHOLASTICA und in der Metallkassette befanden sich, durch eine Querwand aus Blei geschieden, gut erhaltene Skeletteile und Aschenreste. Noch am selben Abend machte der Abt des Klosters dem Papst von der Bergung der Reliquien Mitteilung.

Obwohl diese einwandfreien Inschriften keine Zweifel über die Echtheit der Reliquien ließen, trat am 5. August 1950 in Monte Cassino eine Kommission von medizinischen Sachverständigen zusammen, welcher auch die Professoren Luigi Olivieri \md Domenico Catalano von der Universität Neapel sowie Professor Mario Mazzeo vom Hygienischen Universitätsinstitut in Neapel angehörten. Die Untersuchungen ergaben eindeutig, daß die Knochenreste von zwei Skeletten stammen, einem männlichen und einem weiblichen, welche sich, von den genau nachgewiesenen Reliquienentnahmen abgesehen, vollständig erhalten hatten. Die Ergebnisse der anatomisch-radiologischen Untersuchungen sind im zweiten Teil des Dokumentwerks niedergelegt und sowohl für die Gebeine des hl. Benedikt als auch der hl. Scholastica in sorgfältig zusammengestellten Tabellen, anatomischen Zeichnungen und Photographien festgehalten worden. Hiebei gelang es nicht nur, die Gestalt des Heiligen in ihren genauen Maßen zu rekonstruieren, sondern es wurde auch festgestellt, daß die Reliquien, die außerhalb der Aschen- ume verwahrt wurden, präzise zu den wiederaufgefundenen Skelettresten passen. Dies gilt sowohl für den Armspeichenknochen, der im 7. Jahrhundert vom Kloster Monte Cassino nach Leno gegeben worden war und 1878 wieder nach dem Stammhaus zurückkam, als auch für die Reliquie der Armelle von Brescia und des Armknochenstücks, das sich in der Abtei von Augsburg befindet.

Die archäologische Kommission, bestehend aus den Professoren Corrado Venanzi, Angelo Pantoni sowie den Jesuitenp?tern Antonio Ferrua und Engelbert Kirschbaum von der Gregorianischen Universität in Rom, bestätigt ebenfalls, daß „die Echtheit des Grabes von Monte Cassino auf Grund der angestellten Forschungen nicht angezwei- felt werden kann“. Unmittelbar unter dem Hauptaltar und der Fundstätte der Reliquienurne wurden Mauerreste aus vorchristlicher Zeit festgestellt. Die Grabungen haben den untrüglichen Beweis erbracht, daß St. Benedikt seine Kapelle unmittelbar auf den Resten eines verfallenen Apollo - Heiligtums errichtet hatte und daß seine Beisetzung in diesem Oratorium erfolgte, dessen Lage auf Grund der Ausgrabungen mit unbedingter Sicherheit identifiziert werden konnte.

Die geschichtswissenschaftliche Beweisführung für die Authentizität des Grabes wird von Tommaso Leccisotti, dem Historiker und Archivar des Benediktinerordens, scharfsinnig und unanfechtbar im letzten Abschnitt des Dokumentarwerkes unternommen. Auch dieser Gelehrte läßt nur Tatsachen und nüchterne Beweise sprechen. Er widerlegt die Behauptungen, die Reliquien seien angeblich in frühester Zeit von Monte Cassino an einen anderen Ort gebracht worden, als nicht bestätigte Gerüchte. Die Zeugnisse, die Leccisotti anführt, gehen durch viele Jahrhunderte: von Überlieferungen aus dem 7. Jahrhundert bis zur Zerstörung der Abtei im Jahre 1944, Mit unparteiischer Sachlichkeit des Historikers zitiert der Bericht des Benediktinermönches sowohl die Aussagen des französischen Generals J u i n, wonach die Verantwortung für die Katastrophe allein den neuseeländischen General Freyberg trifft, als auch die Zahlen des Zerstörungsaktes selbst, die hier in ihrer grauenhaften Tragik geschichtlich festgehalten sind: .152 Fliegende Festungen warfen auf die geheiligte Stätte des Klosters Monte Cassino folgende Bombenlasten ab:

287 Tonnen zu 500 lbs, 66,5 Tonnen Brandbomben zu 100 lbs, 47 Bomben zu 25 lbs, 40 Bomben 26 lbs und 100 Tonnen H.-E.-Bomben.“

Ist es nicht ergreifend, daß gerade da Ereignis, das die Stätte des hohen Wirkens des heiligen Benedikt vom Erdboden austilgen sollte, seine letzte Ruhestätte dem Lichte wiedergegeben hat? Als wissenschaftliche Ergebnisse sind vor allem die Erkenntnisse festzustellen, daß die Reliquien vom Orte ihrer ursprünglichen Beisetzung niemals weggebracht worden waren und daß sie in jenem Raume ruhten, der von St. Benedikt selbst die erste christliche Weihe empfangen hatte. Die Wiederauffindung der sterblichen Reste des Gründers der abendländischen Mönchsorden in Monte Cassino ist eine Tatsache von größter religiöser, aber auch von historischer Tragweite.

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