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Denkmal - wörtlich

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Die Anregung liegt eineinhalb Jahre zurück. Bischof Reinhold Stecher dachte im Dezember 1995 in der Innsbrucker Frauen-Kopf-Klinik bei einem Wortgottesdienst mit anschließender Gedenkfeier für psychisch Kranke und Behinderte, die zwischen 1939 und 1945 Opfer der NS-Ideologie wurden, laut über ein Denkmal für Euthanasie-Opfer nach. Psychiatrie-Chef Hartmann Hinterhuber und Dozent Ullrich Meise griffen die Idee auf. Eine Bausteinaktion wurde ins Leben gerufen.

Am 26. Juni konnte Stecher auf dem Innsbrucker Klinikareal ein Denk- und Mahnmal einweihen, das nach einer Originalvorlage von Kokoschka-Preisträger Oswald Tschirtner in Eisen gefertigt wurde. Tschirtner ist seit 1947 selbst Patient im „Haus der Künstler” in Gugging, dem psychiatrischen Krankenhaus bei Wien. Die NS-Diktion hätte ihn zum „unwerten Leben” und zur „Ballastexistenz” gestempelt.

Mit dem unübersehbaren, etwa 4,5 Meter hohen Figuren-Denkmal stellen sich die Universitätskliniken und das Landeskrankenhaus in Innsbruck ihrer Verstrickung in ein dunkles Geschichtskapitel. Schon vor eineinhalb Jahren hatte Professor Hinterhuber seine Neuerscheinung „Ermordet und Vergessen” über NS-Verbrechen an psychisch Kranken und Behinderten in Nord- und Südtirol präsentiert, eine

Studie, die überregionale Bedeutung hat und Licht bringt in die Medizin-und Zeitgeschichte Österreichs.

In Anwesenheit von Oswald Tschirtner, Vertretern des Landes Tirol, von Stadt, Kirchen und Universität wurde den psychisch Kranken und Behinderten, die das NS-Regime nicht überlebt haben, in einer bewegenden Feier - in der auf Bitten von Dozent Meise auf jeden Applaus für die verschiedenen Gedenkworte verzichtet wurde - nun jene öffentliche Erinnerung zuteil, die sie einem zweiten Tod entreißt: dem Vergessen. Das Denkmal ist nicht Behübschung, sondern Mahnmal. Ein Denkmal somit im wörtlichen Sinn: Anregung, sich an wehrlose Menschen zu erinnern, die sterben mußten, weil Hitler auch in der Ärzteschaft und im Krankenhauspersonal „willige Helfer” gefunden hat.

Die Erinnerung geht nicht nur in die Vergangenheit, sie weist auch mahnend nach vorn: Angesichts geringer werdender Budgets ist die Gefahr fragwürdiger Einsparungen und Kosten-Nutzen-Überlegungen im klinischen Bereich nicht von der Hand zu weisen. Eine Zwei-Klassen-Medizin beruht auf dem (unausgesprochenen) Prinzip, menschliches Leben nach Kriterien einzuteilen, die auch in der NS-Zeit eine Rolle spielten.

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