Ugresic - © Foto: imago/gezett

Dubravka Ugrešić: Integrität statt Identität

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Dubravka Ugrešić erhielt 1999 den Österreichischen Staatspreis für ­Europäische Literatur. Am 17. März ist sie in Amsterdam gestorben.

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Dubravka Ugrešić erhielt 1999 den Österreichischen Staatspreis für ­Europäische Literatur. Am 17. März ist sie in Amsterdam gestorben.

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Sie reagiere allergisch auf das Wort „Identität“, schrieb die am 27. März 1949 im heutigen Kroatien geborene Schriftstellerin Dubravka Ugrešić einmal in einem Essay. Vielleicht habe sie diese Allergie von einer Überdosis Identität bekommen. „Denn in meiner einstigen Heimat hat man mit diesem Wort lange und beharrlich meine Gehörgänge und Trommelfelle attackiert und mich damit geprügelt. […] Anfangs dachte ich, lass sie, vielleicht brauchen sie diese nationale, ethnische, staatliche Identität oder wie auch immer, sollen sie sie haben, was ist daran schlecht. […] Dann aber gingen sie im Namen ihrer Identitäten wie die tollen Hunde ­aufeinander los.“

Sie gingen auch auf Dubravka Ugrešić los, die an der Universität Zagreb studiert, über Literaturtheorie und russische Literatur gearbeitet und gelehrt und 1978 mit dem Kurzgeschichtenband „Eine Pose für die Prosa“ als Literatin debütiert hatte. Von den Anhängern Franjo Tuđmans wurde Ugrešić, die stets gegen Nationalismen antrat, zur „Hexe“ erklärt. Kroatien hatte sich zwar als unabhängig erklärt, leider aber nicht die Freiheit des Wortes bekommen. 1993 verließ die Schriftstellerin das Land ihrer Geburt, ging ins Exil, nach Amsterdam, in die USA: „Das Leben ist mein einziges Gepäck.“

In ihren pointierten, auch ironischen und satirischen Essays prangerte sie den Nationalismus und seine Folgen an, sie widmete sich aber nicht nur politischen, sondern auch gesellschaftlichen und kulturellen Themen. „Und wohin gehöre ich?“, fragte sie einmal. „Schwer zu sagen: ich bin ‚drin‘ und ‚draußen‘, eine ‚Einheimische‘ und eine ‚Fremde‘. Vom Honorar für diesen Text werde ich Schuhe kaufen. Ohne mit der Wimper zu zucken. So dreist bin ich inzwischen geworden. Und das entspricht meinem rating auf dem Markt.“

Die im Exil entstandenen Romane thematisieren den Verlust, das Vergessen und die Versuche zu erinnern. Am 17. März ist Dubravka Ugrešić in Amsterdam gestorben. Mit ihren Romanen und Essays hat sie viel hinterlassen. Man sollte, so Ugrešić etwa in ihrem eingangs erwähnten Essay über Identität, statt dieses Worts ein anderes in Umlauf bringen: „Integrität“.

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