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Eine gezielte Indiskretion?

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Christoph Schönborn stehe als nächster Erzbischof von Wien so gut wie fest, meldete „Die Presse“ am 21. Oktober auf Seite 1. Grund für die Spekulation: Eine Indiskretion aus dem Wiener Rathaus besagte, Nuntius Donato Squicciarini habe Bürgermeister Helmut Zilk und dessen designierten Nachfolger Michael Häupl von diesbezüglichen Absichten des Vatikans unterrichtet und bei beiden Herren volle Zustimmung gefunden. Kardinal Hans Hermann Groer werde aber voraussichtlich noch bis zum geplanten Papstbesuch im Jahr 1996 im Amt bleiben.

Faktum ist, daß es nur ein Indiz und rechtlich völlig belanglos ist, wenn der Nuntius die Meinung des Wiener Bürgermeisters zu einem Erzbischof-Anwärter einholt (vielleicht holt er sie in ein paar Wochen zu einem anderen Kandidaten ein). Helmut Zilk hat das Gespräch mit dem Nuntius jedenfalls nicht dementiert, wohl aber Unmut darüber geäußert, daß so Vertrauliches an die Öffentlichkeit gelangte. Denn wem nützt eine solche Indiskretion? Cui bono?

Der an Kirchenfragen interessierten Öffentlichkeit ist längst klar, daß der aus dem Dominikanerorden kommende Christoph Schönborn, derzeit Wiener Weihbischof für Kunst und Wissenschaft, Redakteur des „Weltkatechismus“, sehr gute Aussichten hat, Nachfolger von Kardinal Groer zu werden. Und da ein in Rom angesehener Erzbischof üblicherweise über den 75. Geburtstag, zu dem jeder Bischof seinen Rücktritt anbieten muß, hinaus im Amt belassen wird, ist ein Wechsel vor dem Papstbesuch unwahrscheinlich.

Daß just knapp nach Groers 75. Geburtstag und mitten im Disput um den Wiederverheirateten-Text aus Rom öffentlich über die Nachfolge des Erzbischofs spekuliert wird, kann weder im Interesse des Kardinals noch in jenem von Weihbischof Schönborn liegen. Angesichts der zunehmenden Polarisierung in der katholischen Kirche verwundert aber kaum, wenn eine Zeitung und/oder ihr Informant versucht, mit solchen Meldungen Kirchenpolitik zu machen. Zum Verlust der Autorität kirchlicher Amtsträger wird jedenfalls derzeit „von oben“ zumindest ebenso eifrig beigetragen wie „von unten“.

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