Erwin Riess - © Foto: Wikipedia/ C.Stadler/Bwag (cc by-sa 4.0)

Einer, der sich nicht unterkriegen ließ: zum Tod von Erwin Riess

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Mit Humor und Tiefgang überzeugte der Autor Erwin Riess (1957‒2023) seine Leserschaft, ebenso als Behindertenaktivist und kritischer Geist.

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Mit Humor und Tiefgang überzeugte der Autor Erwin Riess (1957‒2023) seine Leserschaft, ebenso als Behindertenaktivist und kritischer Geist.

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Wenn Herr Groll sich anschickte, einen neuen Fall zu lösen, war er im Auftrag seines Verfassers unterwegs. Er hatte den Blick von unten gleich im doppelten Sinn: als Rollstuhlfahrer und als einer, der sich mit den Benachteiligten solidarisierte. Sieben Fälle löste der ausgesprochen unstete Ermittler, der sich in ständiger Bewegung befand, in Krimis, die das gängige Genre nutzten, um vorzuführen, wie arg es um die Lage der Gesellschaft bestimmt war. Für Verbitterung hätte Erwin Riess allen Grund gehabt, nichts davon war in seinen Romanen zu spüren. Stets war zu beobachten, dass es diesem Verfasser um etwas ging. Ein Verbrechen, gut und schön, aber es ereignet sich nicht deshalb, weil ein mieser Charakter seine Triebe nicht unter Kontrolle hat, es erwächst aus der Gesellschaft. Deshalb diese leicht bebende Wut im Untergrund, die überhaupt das Schreiben dieses Unruhegeistes auszeichnete. Dazu kam ein Witz, der einiges an Härte abzufangen hatte.

Intelligenter als die Konfektionsware Krimi waren die Bücher von Erwin Riess sowieso. „Es gibt unter Ermittlern eine Faustregel“, heißt es in „Herr Groll und die Donaupiraten“. „Wenn man nicht weiterweiß, bleibt man dort, wo einem die Ratlosigkeit bewusst wird.“ Das klingt gerade so, als hätte Riess der Politik, die eben Ratlosigkeit nie eingesteht, einen Wink geben wollen.

Die hatte nämlich allen Grund, die Einmischungen dieses kritischen Beobachters der österreichischen Politik zu fürchten. Nicht nur als Kämpfer für die Sache der Behinderten klagte er an, dass Fortschritte ausblieben. In seiner letzten Schrift „Vom Glück auf dem Feldherrnhügel“, in dem optisch der Fackel nachempfundenen Heft Die Sichel, greift Riess auf die Charles Sealfield’sche Methode der Radikalanalyse zurück, um den Weg Österreichs in eine „rechtsradikale Hegemonie“ mit der Wut eines empfindsamen Aufklärers zu verhindern. Selbst war Riess zwischen 1984 und 1994 politisch als wissenschaftlicher Referent für behindertengerechtes Bauen im Wirtschaftsministerium tätig.

In der Nacht auf Samstag ist Erwin Riess unerwartet im Alter von 66 Jahren in Wien verstorben.

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