cerha - © Foto: APA / AFP / Joe Klamar

Friedrich Cerha: die Avantgarde als Lebensinhalt

19451960198020002020

Der österreichische Komponist und Dirigent ist kurz vor seinem 97. Geburtstag verstorben.

19451960198020002020

Der österreichische Komponist und Dirigent ist kurz vor seinem 97. Geburtstag verstorben.

Werbung
Werbung
Werbung

Wer hat die Klangflächenkomposition erfunden: Krzysztof Penderecki, György Ligeti oder Friedrich Cerha? An solchen Spielchen hat sich Friedrich Cerha nie beteiligt. Selbst wenn er mitunter schmunzelnd erzählte, dass ihm sein lebenslanger Freund Ligeti einst über die Schulter geschaut und gemeint habe, er komponiere gerade sein Stück. Cerha ging stets seinen eigenen Weg. „Was ich angestrebt habe, ist eine in sich möglichst homogene Sprachwelt bei möglichster Vielfalt der Aussageweisen“, erklärte er gegenüber dem besten Kenner seines Œuvres, Lothar Knessl, die Grundintention seines Schaffens.

Eine Komponistenkarriere strebte Cerha nicht an. Aber einige für sein Instrument (Geige hatte er bei einem der großen Violinisten seiner Zeit, Váša Příhoda, an der Wiener Musikakademie studiert) komponierte Stücke gefielen so, dass er nach neuen Werken gefragt wurde. So verschob sich der Fokus des promovierten Germanisten, der seine Berufslaufbahn als Lehrer an Wiener Musikschulen begann, bald in Richtung Komposition, Programmgestalter, Ensembleleiter.

1958 zählte er zu den Mitbegründern des Ensembles „die reihe“, deren Konzerte er jahrzehntelang leitete und mit deren Programmen die Neue Musik hierzulande erst ihren Einzug hielt. Mit den üblichen Schwierigkeiten, denen sich Pioniere wohl überall konfrontiert sehen. Gegen diese musste sich der damals längst arrivierte Wiener Hochschulprofessor auch wehren, als er sich an die Fertigstellung des dritten Aktes von Alban Bergs „Lulu“ machte. Spätestens nach der glanzvollen Premiere dieser nunmehr dreiaktigen Oper, 1979 an der Pariser Oper, war Cerha weltweit zum Begriff geworden. Selbst wenn der damalige Dirigent Pierre Boulez – auch er ein enger Cerha-Weggefährte –, später zuweilen darauf hinweisen musste, dass Cerha schon vor diesem Berg-Projekt eine Größe der Gegenwartsmusik war, dabei stets eigene Vorstellungen konsequent verwirklicht hat. Und zwar egal, ob in seiner Vokal- oder Kammermusik, in seinem Orchesterschaffen, wovon eines seiner prägnantesten Beispiele, „Spiegel I-VII“, über ein Jahrzehnt der Uraufführung harren mussten, oder in seinem Opernschaffen: Uraufführungen fanden an so prominenten Orten wie den Wiener Festwochen („Netzwerk“), den Salzburger Festspielen („Baal“), der Grazer Oper („Der Rattenfänger“), der Wiener Staatsoper („Der Riese vom Steinfeld“) oder dem Münchner Prinzregententheater („Onkel Präsident“) statt.

Nicht zuletzt geprägt durch seine Erfahrungen im NS-Regime, die ihn in den Widerstand trieben, bildete das vielschichtige Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, wie es sich auch in seinen Opern-Libretti dokumentiert, das philosophische Leitmotiv des hochgebildeten Friedrich Cerha. Neben dem Komponieren widmete er sich an seinen beiden Wohnsitzen, in Wien und in Maria Langegg, auch dem Zeichnen, Malen und der Skulptur. Am 14. Februar ist er, bis zuletzt ungebrochen neugierig und ein tatkräftiger Förderer junger Talente, in Wien gestorben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung