Gertraud Jesserer - © Foto: APA / Roland Schlager

Gertraud Jesserer: Mit Abgrund, Kraft, Geheimnis

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Gertraud Jesserer (1943-2021) prägte das österreichische Theater wie kaum eine andere.

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Gertraud Jesserer (1943-2021) prägte das österreichische Theater wie kaum eine andere.

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Immer wieder überraschte sie aufs Neue. Gertraud Jesserers Spiel und Repertoire waren von besonderer Bandbreite: Als abenteuerlustiger Lehrbub Christopherl (an der Seite von Josef Meinrad) machte sie die aufrührerische Kraft Nestroys spürbar, als Frau Schuster brachte sie die Gebrochenheit der Witwe in Bernhards „Heldenplatz“ (2010) zur Geltung, als Madame Pernelle in Molières „Tartuffe“ (2013) die Eiseskälte der Patriarchin.

Schon mit 14 Jahren hatte sie als Romy Schneiders kleine Schwester ersten Erfolg im Film „Die Halbzarte“, danach studierte sie Schauspiel am Max Reinhardt Seminar. Otto Schenk holte sie 1960 ans Theater in der Josefstadt, wo sie in Molnárs „Liliom“ debütierte und bis 1969 engagiert war. Im selben Jahr ging sie ans Deutsche Schauspielhaus Hamburg, 1973/74 kehrte sie nach Wien zurück, wo sie bis zu ihrer Pensionierung Ensemblemitglied des Burgtheaters blieb. Bemerkenswert war Jesserers Darstellung als Marianne in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in der Regie von Otto Schenk, der sie unter anderem als Genia in Schnitzlers „Das weite Land“ und als Mascha in Tschechows „Drei Schwestern“ besetzte.

Ihre besondere Wandlungsfähigkeit und ihr exaktes, subtiles Spiel konnte sie auch in der Regie von Achim Benning entfalten, der unter anderem mit ihr als Kalerija Vasiljevna Gorkijs „Sommergäste“ und Feydeaus „Einer muss der Dumme sein“ inszenierte. Auch spielte sie in Giorgio Strehlers Inszenierung von Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“, in Schillers „Kabale und Liebe“ sowie in Musils „Die Schwärmer“ (1980), was sich als Sensationserfolg erwies.

Jesserers Figurengestaltung war nie eindeutig, abgeschlossen – zwischen Zerbrechlichkeit und innerer Stärke balancierend, vermittelte sie den Eindruck, dass es hinter den Figuren noch etwas gibt, einen Abgrund, eine Kraft, ein Geheimnis.

Neben zahlreichen Auszeichnungen zählte die Kainz-Medaille (1974) zu ihren ersten, 2003 wurde sie mit dem Goldenen Wiener Ehrenzeichen, 2015 mit der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt in Gold ausgezeichnet. Letzten Donnerstag starb sie bei einem Wohnungsbrand, wenige Tage vor ihrem 78. Geburtstag.

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