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Kara Mustafa vor Wien

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Die türkische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683, verfaßt vom Zeremonienmeister der Hohen Pforte. Uebersetzt, eingeleitet und erklärt von Richard F. Kreutel. Verlag Styria, Graz. 194 Seiten

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Die türkische Tagebuch der Belagerung Wiens 1683, verfaßt vom Zeremonienmeister der Hohen Pforte. Uebersetzt, eingeleitet und erklärt von Richard F. Kreutel. Verlag Styria, Graz. 194 Seiten

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Als ersten Band eines höchst begrüßenswerten Unternehmens, einer deutschen Uebertragung os-manischer Geschichtsschreiber, hat der Turkologe Richard Kreutel das nur in zwei Kopien des verlorenen Originals erhaltene Tagebuch eines Ungenannten herausgegeben, der sich aus dem Text als Protokollchef (Zeremonienmeister) des Sultans erweist, vermutlich als ein Ahmed, dessen Sohn Mehmed Terifatizade eine wichtige Schrift über das Hofzeremoniell unter Mustafa II. hinterlassen hat. Eine zweite türkische Quelle, die berühmte „Geschichte des Silihdai“ Mehmed Aga, die, wie sich jetzt gezeigt hat, aus dem Tagebuch des Zeremonienmeisters schöpfte, wird von Kreutel in ihren die zweite Wiener Türkenbelagerung betreffenden Stellen ebenfalls abgedruckt, und zwar nach einer den letzten, 1928 zu Istanbul gedruckten Text aus einer Handschrift der Oesterreichischen Nationalbibliothek korrigierenden Fassung, dargeboten. Zu diesen beiden Berichten hat der Uebersetzer wertvolle erläuternde Anmerkungen, eine gute, freilich in manchem zu ergänzende Einleitung und ein vorzügliches, viel weiteres Material enthaltendes Register beigesteuert. Die Bedeutung der neuen Veröffentlichung beruht zunächst darauf, daß sie, neben einer Fülle abendländischer Schilderungen mitkämpfender Augenzeugen, nach dem 1824 von Hormayr deutsch gebrachten Abschnitt aus Räjids Türkischer Geschichte die zweite osmanische Darstellung eines Zeitgenossen ist, die in einer westlichen Sprache zugänglich gemacht wurde und die nicht nur auf Originalquellen aus der muselmanischen Perspektive gründet, sondern auf Autopsie. Allerdings müßte man dem die von Kreutel nicht zitierte rumänisch-fanariotische (griechische) Erzählung hinzufügen, die Alexandros Mavrokordatos gegeben hat (Documente privitoare la istoria Romänilor 1911, III, S. 1 ff.). An diesen Bericht hätte, unseres Erachtens, Kreutel ebenso erinnern sollen wie an die vielleicht interessantesten Schilderungen von christlicher Seite — Sobieskis Briefe an seine Gattin Maria Kazimiera, die Aufzeichnungen des lothringisch-irischen Grafen Taaffe und endlich die Relation des Grafen Francesco Pro-vana, die der ungarische Historiker Marczali in der Revue de Hongrie (1909, S. 3, 34 ff. und 169 ff.) publiziert hat. Das Tagebuch des Zeremonienmeisters wäre endlich nicht nur mit den Werken Camesinas, V. Renners, Toifels, Onno Klopps und R. Lorenz' zu vergleichen gewesen, sondern weit mehr mit den aus umfänglicher Kenntnis, auch der orientalischen Literatur, schöpfenden Monographien polnischer Autoren, wie Otton Laskowskis, und mit der so wichtigen „Unbekannten Relation über die Schlacht bei Wien“, abgedruckt und kommentiert von F. Friedmann im „Przeglad Historycgno-Wojskowy“ (Band 7, 1934, S. 133 ff.). Unter den erstrangigen Quellen wären endlich noch eine polnische, der Notizkalender Jan Sobieskis aus dem Jahre 1683 (bei J. Kallenbach, Czasy i ludzie 1905, S. 339 ff.), und die türkische Urkunden enthaltende Abhandlung von Jan Grzegorczyk (Z sidzillatöw rumelijskich epoki wyprawy wiedenskiej 1912) zu nennen. Das Verdienst Kreuteis wird durch derlei kleine Hinweise keineswegs beeinträchtigt. Es wurzelt nicht nur darin, daß seine Veröffentlichungen sehr viele unbekannte Einzelheiten über die zweite Türkenbelagerung aufdeckt, daß sie zur Charakteristik der leitenden Männer im osmanischen Lager — Kara Mustafas, des Tatarenchans, mehrerer Beylerbeyi und Janitscharenaga — beiträgt, sondern auch, und vor allem, im Bilde naiver Unmittelbarkeit einer nicht nur für den damaligen Islam typischen Geisteshaltung, das wir diesem Tagebuch entnehmen. Da empfängt der durch allerlei Heuchelei an ähnlicher Auffassung verhinderte fanatische Parteimensch, Nationalist oder Rassist ein Muster der Denkensart, die im eigenen Lager nur Tugend, Weisheit, Recht und Schönheit, beim Gegner, ja beim irgendwie Vom orthodoxen Standpunkt Abweichenden, eitel Verbrechen, Dummheit, Bosheit und Widerlichkeit erschaut. Wie einfach stellt sich da jeder Vorgang dar. Man schleppt etwa einen Giaur herbei, der bei einem Gefecht gefangengenommen wurde; er wird verhört, sagt, was der arme Tropf in seinem Schrecken zu erzählen vermag, und „nun, da erschien es angebracht, diesen Mann, statt ihn noch weiter so benommen und kopflos herumlaufen zu lassen, von den Banden dieses Erdenlebens zu befreien; man ließ den Schurken kurzerhand ins Gras beißen“. Der kaiserliche Gesandte ist „ein hoffärtiger Schurke“; als er auf dem Weg von Raab nach Wien die Festungen, Palanken, Dörfer und Städte sah, die von den Tataren und der „in ihrer unendlichen Zahl dem Sternenmeer vergleichbaren Streitmacht des Islam eingeäschert“ worden war, „da schmorte sein Herz vor Reue in den Flammen des Höllenfeuers“. Zu spät, denn „der Allmächtige ließ die Flammen seines Zornes hell lodern und kannte weder Milde noch Erbarmen“. Die Giauren, „Schurken“ in einem „Schweinestall“ werden Allah zur Ehre hingemetzelt, ihre Frauen und Töchter als Sklavinnen weggeführt. Und bei allen diesen Greueln regt sich dem frommen, tugendhaften Zeremonienmeister kein Mitleid. Derlei warnendes Nachtstück ist vielleicht das Lehrreichste an diesem Tagebuch aus einer gar nicht guten alten Zeit. Univ.-Prof. Dr. Otto F o r s t d e B a 11 a g 1 i a *

Auf fremden Straßen. Von Franz Theodor Cso-kor. Verlag Kurt Desch, Wien-München-Basel. 317 Seiten.

Was Franz Theodor Csokor während des letzten Krieges auf den Straßen Polens, Rumäniens und Jugoslawiens erlebte, das vertraute er seinerzeit den Büchern „Als Zivilist im Polenkrieg“ und „Als Zivilist im Balkankrieg“ an. Letzteres haben wir 1947 durch den Ullstein-Verlag, Wien, kennengelernt, die eisten Aufzeichnungen blieben jedoch in der Heimat des Dichters bis heute so gut wie unbekannt. Der Kurt-Desch-Verlag hat nun beide Berichte in einem Band vereinigt. Die Aufzeichnungen über das Jugoslawien des Krieges weisen nur geringe Kürzungen auf, im polnischen Tagebuch scheinen w leider — stärkere Striche vorgenommen worden zu sein.

Ueber zehn Jahre ist es nun her, daß der große Krieg zu Ende ging, mehr als sechzehn Jahre trennen uns bereits von jenem Tag, an dem die deutschen Stukas über Warschau ihre schaurige Ouvertüre anstimmten, aber noch immer packt Csokors Bericht. Das kommt daher, weil Csokors Aufzeichnungen eben — wie der Ullstein-Verlag 1947 im Klappentext mit gutem Grund behauptete — „kein Kriegsbuch im üblichen Sinne, sondern ein Dokument der Menschlichkeit, ein Buch vom Ringen und Leiden eines verfluchten und gesegneten Geschlechts“ ist.

Der Schutzumschlag des Desch-Verlages — er zeigt Faksimiles aller Pässe, Permits, Passierscheine und Identitätskarten, die Csokor während seiner Wanderung „auf fremden . Straßen“ kostbare Begleiter waren — verdient erwähnt zu werden. Leider erfahren wir nicht den Namen des Graphikers, der ihn gestaltet hat.

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