6584077-1951_35_05.jpg
Digital In Arbeit

Piazza della Minerva, 74

Werbung
Werbung
Werbung

Kein Besucher Roms versäumt es, nach der Besichtigung von Sant' Ignazio zum Pantheon hinüber zu gehen und dann noch einen Sprung auf die Piazza Minerva zu machen. Sein Blick gleitet über die Fassade der Kirche Santa Maria sopra Minerva, die über einem römischen Tempel erbaut wurde und in ihrem Innern das Grabmal der hl. Katharina von Siena sowie die Grabmäler der beiden Mediceerpäpste Leo X. und Clemens VII. birgt. Sein Blick gleitet über die Fassade des anschließenden Dominikanerkonvents, hinter dessen Mauern einst der Prozeß gegen Galilei abrollte. Gleitet über den entzückenden Elefanten, der vor der Kirche steht und einen Obelisken trägt. Gleitet vielleicht noch flüchtig über den Palazzo, der sich gegenüber der Kirche erhebt, ohne von ihm näher Notiz zu nehmen. Warum auch? Er sieht aus wie hundert andere römische Palazzi.

Palazzo Severoli ist sein Name, der Österreichern, die historisch bewandert sind, nicht fremd sein sollte. Besonders jetzt im Hofbauer-Jahr. Denn ein Mitglied dieser berühmten, aus Faenza stammenden Juristenfamilie war zur Zeit Hofbauers päpstlicher Nuntius in Wien gewesen. Ein großer Freund und Förderer des Heiligen, und mit ihm ein Feind des Josephinismus — was ihm die österreichische Regierung nie verzieh, denn als er — schon Bischof von Viterbo und Kardinal — im Konklave von 1825 zu den aussichtsreichsten Papstkandidaten zählte, traf ihn die „Exklusive“ des österreichischen Kaisers. An seiner Stelle wurde ein anderer Kardinal Papst: Annibale della Genga, ehemals Nuntius in Deutschland.

*

Aber nicht nur Österreicher sollten diesem Palazzo mehr Beachtung schenken, sondern alle Katholiken. Denn dieses Palais birgt eine der berühmtesten päpstlichen Hochschulen: die päpstliche Hochschule für Diplomatie, die „Ponti-ficia Accademia Ecclesiastica“, wie sie heute offiziell heißt, die „Adeligenakademie“, wie sie inoffiziell nach ihrem alten Titel „Pontificia Accademia dei Nobili Ecclesiastici“ genannt wird. Vor 250 Jahren, im Jahre 1701, wurde sie von Papst Klemens XI. gegründet, gerade als der spanische Erbfolgekrieg begann, Europa zu zerstören. Wer glaubt, diese Akademie, von der sowenig gesprochen wird, habe in der Kirche keine besondere Bedeutung, der irrt. Denn es genügt, darauf hinzuweisen, daß von den letzten acht Päpsten vier ehemalige Nuntien waren: Leo XII. war Nuntius in Deutschland gewesen, Leo XIII. Nuntius in Brüssel, Pius XI. Nuntius in Warschau und Pius XII. in München und Berlin. Benedikt XV. war Uditore, also Legationssekretär an der Nuntiatur in Madrid gewesen. Zwei andere Nuntien wären fast Papst geworden: Kardinal Severbli, ehemals Nuntius in Wien und Petersburg, im Konklave von 1825, und Kardinal Rampolla, ehemals Nuntius in Madrid, im Jahre 1903. Leo XIII. war „Zögling“ dieser Akademie gewesen, ebenso Benedikt XV. Pius XII. hatte von 1910 bis 1914 als Professor für Kirchenrecht an ihr gewirkt. Rampolla, Staatssekretär Leos XIII., und Merry del Val, ehemals Delegat in Kanada und mit 38 Jahren Kardinalstaatssekretär Pius' X., waren ihre „Absolventen“ gewesen. Diese Fakten allein würden wohl schon ihre Bedeutung demonstrieren, und es wäre nicht notwendig, darauf hinzuweisen, daß seit ihrem Bestehen fast hundert .Absolventen“ die Kardinalswürde er-

reichten, hunderte die Bischofswürde und jeder mindestens die Würde eines päpstlichen Hausprälaten. Dennoch wird sie in der Literatur kaum genannt: der sonst so verläßliche Pastor erwähnt in seiner vielbändigen „Geschichte der Päpste“ ihre Gründung mit keinem Wort. Der „Große Herder“ weiß über sie nichts zu belichten. Und auch das „Lexikon für Theologie und Kirche“, der „Buchberger“, spricht im Artikel über „Klemens XI.“ kein Wort von ihr und erwähnt sie nur kurz in der Reihe der päpstlichen Akademien. Ihr Name verblaßt — vollkommen mit Unrecht — neben den andern päpstlichen Hochschulen und .Instituten, wie der „Gregoriana“, dem „Angelicum“, dem „Bibelinstitut“, der Benediktinerhochschule „Sanf Anselmo“, dem „Germanicum“ und „Santa Maria dellÄnima“.

' Diese Akademie wurde von Klemens XI. gegründet als Hohe Schule für die angehenden Diplomaten der Kurie und geistlichen Beamten des Kirchenstaates. Der letztere Zweck ist mit dem Untergang des Kirchenstaates weggefallen. Heute dient sie fast ausschließlich der Ausbildung der päpstlichen Diplomaten.

Wer in diese Akademie, deren Protektor nach einer Bestimmung Pius' XI. der jeweilige Kardinalstaatssekretär ist, eintreten will, muß das Studium der Theologie bereits absolviert haben und dazu noch den Doktor aus dem Kanonischen Recht besitzen, der von dem Kandidaten meist an der „Gregoriana“ erworben wird. Dann muß er sich noch einer schweren Aufnahmeprüfung unterziehen, und erst, wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, wird er Mitglied der „Accademia“. Zwei Jahre lang nun wird der künftige Diplomat geschult, muß Vorlesungen über Internationales Recht, Nationalökonomie, Geschichte der päpstlichen Diplomatie, Geschichte hören und lateinische Stilkunde, Französisch, Spanisch, Deutsch oder Englisch lernen. Nach zwei Jahren folgt das schwere Schlußexamen. Und dann treten die Absolventen hinaus in das Leben, kommen in das Statssekretariat oder schon zu den einzelnen Nuntiaturen.

Einstmals war es Voraussetzung, daß derjenige, der sich um Aufnahme in diese Akademie bewarb, ein Adeliger sei. Eine Bedingung, die längst fallen gelassen worden ist. Aber eine andere gilt, wenn auch nicht ausgesprochen, so doch stillschweigend: daß der Kandidat Italiener sei. Eine Voraussetzung, von der nur selten abgegangen wird — wenn sich nicht in dieser Beziehung, wie auf so vielen Gebieten, unter dem jetzigen Pontifikat auch hier ein grundlegender Wandel vollziehen wird.

Das heißt aber nicht, daß im päpstlichen diplomatischen Dienst nur Italiener vertreten sind. Denn nur zu oft kommt es vor, daß ein Papst, aus persönlichen oder sachlichen Gründen, einen „Outsider“ auf einen diplomatischen Posten beruft. Einer der bekanntesten Fälle ist derjenige des Msgr. Ratti, ehemaligen Prä-fekten der mailändischen „Ambrosiana“, dann Präfekten des vatikanischen Archivs, der sich plötzlich von Benedikt XV. zum Nuntius in Warschau ernannt sah. Dieser Msgr. Ratti ernannte seinerseits, als er als Pius XI. den päpstlichen Thron bestiegen hatte, den mailändischen Domherrn Cesare Orsenigo, den er aus seiner Mailänder Zeit noch kannte und dessen wissenschaftliche Arbeiten über Lacor-daire, Lamennnais und Carlo Borromeo er sehr schätzte, zum Internuntius in Hol-

land, dann zum Nuntius in Budapest und schließlich zum Nachfolger Pacellis in der deutschen Reichshauptstadt. Auf welch schwierigem Posten er bis zu seinem Tode im Jahre 1945 blieb. Der Vorgänger Pacellis als Nuntius in München war ebenfalls ein „Outsider“ und außerdem Nichtitaliener. Nämlich der österreichische Dominikaner Frühwirth. Bis vor' kurzem wirkte als Nuntius in Bukarest ein Amerikaner: Patrick O'Hara, Bischof von Savannah. In Jugoslawien ist ebenfalls ein amerikanischer Bischof als Nuntius tätig: Msgr. Hugues, Bischof von Jamestown, während in Deutschland ein Deutschamerikaner, Msgr. Münch, auf den Posten des Nuntius berufen wurde. Für Mexiko ernannte Pius XI. einmal einen Mexikaner, für die Tschechoslowakei einen Schweizer. Der letzte Nuntius in Polen war ein Engländer, der Delegat für Großbritannien ist ebenfalls ein Brite und ebenso der Nuntius für Ägypten, während der Delegat in Persien ein Franzose ist.

Zum Unterschied von dem diplomatischen Dienst der weltlichen Staaten ist der des Vatikans sehr klein. Schon das Staatssekretariat, das neben andern Aufgaben auch die Funktionen eines päpstlichen Außenministeriums versieht, ist im Dachgeschoß des Damasushofes untergebracht. Bis 1870 allerdings hatte es das schöne Palais der Consulta besessen, als aber Rom von den Piemontesen besetzt wurde, hatte man es schnell in ein paar leerstehenden Räumen untergebracht, in der Hoffnung, daß die Besetzung Roms nur vorübergehend sein werde. Die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Rom blieb besetzt. Und das Staatssekretariat in den provisorischen Räumen. Nur der Kardinalstaatssekretär besitzt eine Amtswohnung im ersten Stock des vatikanischen Palastes, direkt unter der Wohnung des Papstes.

Die päpstlichen Gesandtschaften selbst sind alle sehr klein. Während die Botschaften und Gesandtschaften der weltlichen Staaten oft zehn und mehr Personen umfassen, bestehen die Nuntia-

turen meist nur aus drei Mitgliedern: dem Nuntius, dem Uditore (einem Legationssekretär) und dem Nuntiatursekre-tär. Auch die Gehälter der päpstlichen Diplomaten sind wesentlich geringer als jene der Vertreter weltlicher Staaten.

In stärkstem Gegensatz zum geringen Umfang dieses päpstlichen diplomatischen Korps steht seine Bedeutung. Eine Bedeutung, die äußerlich nicht ohne weiteres sichtbar ist. Jeder der Nuntien, die fast immer den Rang eines Erzbischofs haben, ist ja nicht nur diplomatischer Vertreter des Apostolischen Stuhles bei der weltlichen Regierung, sondern auch eine Art Aufsichtsorgan über das kirchliche Leben des betreffenden Landes. Vor allem werden fast immer die sogenannten Informativprozesse für kommende Bischöfe von ihnen geführt. Daneben besitzen sie auch weitgehende Dispens- und Absolutionsvollmachten. Neben den Bischöfen, die regelmäßig Berichte über den Stand ihrer Diözese an die Kurie senden müssen, sind auch sie verpflichtet, regelmäßige Berichte dem Apostolischen Stuhl zukommen zu lassen. Diese „Nuntiatur-berichte“, die für frühere Jahrhunderte der Forschung bereits zugänglich gemacht wurden, gehören zu den wertvollsten Quellen der Geschichtswissenschaft überhaupt.

In manchen Ländern, wie in den USA, besteht keine Nuntiatur, da diese Länder nicht in diplomatischen Beziehungen zum Vatikan stehen. Hier wird jeweils ein Delegat ernannt, dessen Aufgabe „nur“ die Aufsicht über die Kirche des betreffenden Landes ist. ;

Gertrud von Le Fort hat in ihrem Buch „Das Schweißtuch der Veronika“ die Piazza della Minerva in einmaliger Weise beschrieben. Doch auch sie erwähnt das Palais der „Nobelakademie“ mit keinem Wort. Wie auch die meisten Besucher dieses Platzes nur ihre Augen flüchtig über die Fassade der Akademie gleiten lassen. Nicht ahnend, daß sich hinter ihren Mauern eine der wichtigsten päpstlichen Hochschulen befindet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung