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Requiem für eine mythische Stadt

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Der frühere Bürgermeister von Belgrad, Bogdan Bogdanivic, orakelt über Ursprung, Mythos und Ermordung Sarajewos.

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Der frühere Bürgermeister von Belgrad, Bogdan Bogdanivic, orakelt über Ursprung, Mythos und Ermordung Sarajewos.

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Mensch — Stadt — Kosmos“ — das ist die Trias, unter die Bogdanovic seine Überlegungen über die mythischen Ursprünge der Stadt stellt. Sie zeichnet sich nicht durch ein bloßes Zusammenwohnen von Menschen in einem geographisch separierten Raum aus, sondern vielmehr durch eine „magisch-energetische“ Zone der Sicherheit, in der sich die Bewohner in einer kosmischen Eizelle urbaner Geborgenheit wiegen dürfen. Eine Vision, die sich nicht nur in uralten Schöpfungsmythen wiederfmdet, sondern ihren Widerhall auch in den Entwürfen griechischer Baumeister und Philosophen findet. So schließt er den Beitrag zum Streit zwischen Platon, Aristoteles und Hyppodemus über die vollkommene Polis mit dem Satz: „Wir alle tragen, noch immer, die unsterblichen Städte in uns.“

Den Kernpunkt des Buches bilden aber die Essays über die Zerstörung der Städte Vucovar, Mostar und Sarajewo, die mit der ethischen Trennung begründet wird. Insbesondere in Sarajewo haben sich für Bogdanovic, der seit 1987 als Dissident lebt, „Sequenzen aus kondensierter Zeit und Raum miteinander verflochten, haben sie die intimen Momente des menschlichen Individuums durchdrungen, haben sie sich als flimmernde Teilchen einer geahnten Unsterblichkeit verströmt. Und jetzt soll all das, durch die Präpotenz eines Wilden, definitiv im Chaos der Nichtexistenz untergehen“. Er verschweigt nicht, daß er damit den selbsternannten Serbenführer Radovan Karadzic meint.

Entsprechend seiner Deutung der Stadt befürchtet Bogdanovic daher mehr noch als die Zerstörung dieser Städte deren Ermordung und meint damit deren endgültige kulturelle Vernichtung, vor der er ausdrücklich mahnt und den Westen zum Eingriff aufruft. Dieser Mahnruf, aber auch die eindrücklichen historischen Ausführungen von Bogdanovic machen das Buch zu einer intelligenten Lektüre, die eine äußerst vitale und bedeutungsreiche Sichtweise der urbanen Natur des Menschen eröffnet.

ARCHITEKTUR DER ERINNERUNG

Fon Bogdan Bogdanovic.

Wieser Verlag, Klagenfurt!Salzburg 1994. 139 Seiten, öS 198, -.

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