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Sieg und peinliche moralische Fragen

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Die Amerikaner schwelgen im D-Day-Fieber. Seit Wochen schon sind die Titelgeschichten großer Wochenmagazine wie „Newsweek” und „U.S. News & World Beport” der historischen Erinnerung an die Landungen in der Normandie gewidmet. Es vergeht kein Tag, an dem nicht einer der Fernsehkanäle eine „exklusive” D-Day-Dokumentation spielt.

Der Historiker Stephen E. Ambrose, Professor an der Universität von New Orleans und Direktor des dortigen Eisenhower Centers, steht als D-Day-Experte auch im Mittelpunkt des jetzigen Medieninteresses. Er hatte vor zehn Jahren die Idee, eine Sammlung von Zeitzeugenberichten anzulegen, die jetzt in jeder Dokumentation zitiert werden. Als offizieller Biograph von Dwight D. Eisenhower ging er davon aus, daß die Geschichte der großen strategischen und operativen Entscheidungen zum D-Day geschrieben sei.

Jetzt galt es noch die „Alltagsgeschichte ' des kämpfenden Soldaten, seine Todesängste, seine Gefühle, eben seine Erinnerungen an diesen entscheidenden Tag zu schreiben. Auf der Grundlage von mehr als 1.300 Zeitzeugenberichten legt Ambrose nun seine Ergebnisse vor: „D-Day: The Climactic Battie of World War II”.

Die russischen Historiker würden dieser Einschätzung des „D-Days” als der entscheidenden Schlacht nicht zustimmen, bestehen sie doch darauf, daß im Vergleich zu den Schlachten an der Ostfront die Normandieinvasion „ein zweitrangiges Ereignis” war.

Angereichert mit dem neuesten Forschungsstand zu Fragen wie dem großen geheimdienstlichen Täuschungsmanöver („Operation Forti-tude”) schildert Ambrose den historischen Kontext des „längsten Tages” präziser als dies Cornelius Ryan tat, ist aber zur deutschen Seite weit weniger aufschlußreich wie Paul Carrells Klassiker „Sie kommen” aus den sechziger Jahren. Das hat auch damit zu tun, daß für eine ausgiebige Befragung deutscher D-Day-Sol-daten keine Forschungsgelder aufzutreiben waren. Die alten Landser, die oft auf einem Vulkan von Erlebnissen und Erinnerungen sitzen, müssen mit ihrer Vergangenheit selbst fertig werden. Im Gegensatz zu den siegreichen Amerikanern ist für den deutschen Landser dieser Tag mit dem schrecklichen Stahlgewitter der Alliierten verbunden, das schließlich zur Niederlage des Dritten Reiches geführt hat. Auch muß er sich peinlichen moralischen Fragen stellen, ob er mit seinem Einsatz nicht die Lebensdauer eines verbrecherischen Schreckensregimes verlängert hat.

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