Die Einheit Deutschlands – verlorene Liebesmüh?
Vor 75 Jahren, am 7. Oktober 1949, wurde mit Gründung der DDR Deutschland geteilt. Wie kam es 1990 zur Wiedervereinigung, die heute wieder so brüchig scheint? Eine Analyse auf Basis des nun erschienenen Tagebuchs von Helmut Kohls Berater Horst Teltschik: „Die 329 Tage zur deutschen Einigung“.
Vor 75 Jahren, am 7. Oktober 1949, wurde mit Gründung der DDR Deutschland geteilt. Wie kam es 1990 zur Wiedervereinigung, die heute wieder so brüchig scheint? Eine Analyse auf Basis des nun erschienenen Tagebuchs von Helmut Kohls Berater Horst Teltschik: „Die 329 Tage zur deutschen Einigung“.
Im Jahr 1949 hatten sowohl Deutschland als auch Österreich vier Jahre Besatzung hinter sich. Doch die Verhältnisse unterschieden sich deutlich. In Österreich bestand im Dezember 1945 – nach den Nationalratswahlen im November – eine demokratisch legitimierte Bundesregierung. Kanzler Leopold Figl konnte trotz beschränkter Souveränität des Landes in seiner Weihnachtsansprache im Radio einen Appell an die gesamte Bevölkerung richten: „Glaubt an dieses Österreich!“
Im Frühjahr 1949 gab es freilich noch immer kein Deutschland als völkerrechtliches Subjekt. Es existierten eine sich vereinheitlichende westliche Besatzungszone unter den Mächten USA, Vereinigtes Königreich und Frankreich – sowie eine östliche unter der Herrschaft der Sowjetunion. Die beiden Staaten „Bundesrepublik Deutschland“ und „DDR“ entstanden – am 23. Mai beziehungsweise 7. Oktober – letztlich auf Betreiben der Besatzungsmächte.
Die Entstehung der deutschen Teilung
In der Bundesrepublik betonte man den provisorischen Charakter des eigenen staatlichen Gebildes. Daher war Bonn nur als vorübergehender Regierungssitz gedacht. Ebenso vermied man den Ausdruck „Verfassung“ und wählte die Formulierung „Grundgesetz“. Dieses enthielt ein „Wiedervereinigungsgebot“. Mit der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurde de facto die Trennung Deutschlands besiegelt. Es war ein gegenüber 1937 flächenmäßig verkleinertes Deutschland, denn Polen wurde von den Alliierten Mächten des Zweiten Weltkriegs nach Westen verschoben, die sogenannte „Oder-Neiße-Linie“ bildete die zunächst provisorische und letztlich endgültige Westgrenze Polens. Wenn man will, kann man also den 7. Oktober 2024 als den 75. Jahrestag der Teilung Deutschlands sehen.
Fast 40 Jahre lang wurden diese Grenzziehungen als unabänderlich angesehen. Es stellte sich nur mehr die Frage, wie man damit umgehen sollte. In der Bundesrepublik bestand der Widerstreit zwischen jenen, die die Prinzipien des Provisoriums und der Hoffnung auf Wiedervereinigung nicht aufgeben wollten, und jenen, die an diese nicht mehr glaubten und die Prioritäten auf menschliche Erleichterungen setzten – etwa verbesserte Besuchsmöglichkeiten in die und Ausreiseoptionen aus der DDR.
Die Rolle westlicher Politiker und die Wende 1989
Rückblickend erscheint es unverständlich, dass westliche Politiker – und zwar nicht nur Verfechter der sogenannten Entspannung wie Willy Brandt (SPD), sondern auch als „Kalte Krieger“ verrufene wie Franz Josef Strauss (CSU) – sich für Kredite an die DDR einsetzten und so vielleicht das Leben einer kommunistischen Diktatur verlängerten. Sie glaubten wohl, dies zur Erhaltung der Stabilität tun zu müssen. Doch der wirtschaftliche Zusammenbruch des Ostblocks und die Entscheidungen zu mehr Freiheit durch den 1985 an die Macht gekommenen Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, eröffneten für Deutschland ein Window of Opportunity zur Vereinigung. Das historische Verdienst, diese Gelegenheit erfasst zu haben, wird allgemein Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zugeschrieben.
Aber auch bedeutende Politiker brauchen maßgebliche Mitarbeiter und Berater, die die entscheidenden Hinweise in kritischen Momenten geben. Im Fall von Kohl war dies Horst Teltschik, dessen vollständiges Tagebuch nun unter dem Titel „Die 329 Tage zur deutschen Einigung“ mit Nachbetrachtungen, Rückblenden und Ausblicken in Buchform erschienen ist. Herausgeber Michael Gehler bietet darin zunächst eine weltgeschichtliche Einordnung der Ereignisse des knappen Jahres 1989/90. Anschließend geben die von ihm detailliert annotierten Tagebucheintragungen Teltschiks Einblicke in den Maschinenraum der politischen Abläufe.
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