Ostdeutschland: „Die AfD ist auf dem Weg zur Macht“
In Thüringen und Sachsen sind viele davon überzeugt, dass antirussische Politik Schaden anrichtet, sagt der Soziologe Klaus Dörre. Warum sich der Unmut über die Ampel-Koalition im Osten (zuerst) Bahn bricht.
In Thüringen und Sachsen sind viele davon überzeugt, dass antirussische Politik Schaden anrichtet, sagt der Soziologe Klaus Dörre. Warum sich der Unmut über die Ampel-Koalition im Osten (zuerst) Bahn bricht.
Friedensgespräche statt „Kriegstreiberei“ – sowohl die in Teilen rechtsextreme AfD als auch das neue Bündnis von Sahra Wagenknecht, BSW, punkteten bei den Wahlen in Ostdeutschland mit dieser populistischen Forderung. Überraschend war das nicht. Vor allem im Osten wird die Ukraine-Politik der Ampel skeptisch gesehen. Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre über die spezielle ostdeutsche Position und darüber, warum er das als Vorboten für den Westen begreift.
DIE FURCHE: Herr Dörre, glauben Sie, dass das Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen anders aussehen würde, wenn es den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende deutsche Positionierung nicht gäbe?
Klaus Dörre: Es würde zwar nicht völlig anders aussehen, denn die AfD war in beiden Bundesländern schon vorher stark und hat eine Stammwählerschaft, die sie aus inhaltlicher Überzeugung wählt. Die Hauptthemen, die zur Zustimmung für die AfD sorgen, sind Migration, innere Sicherheit sowie soziale Absicherung. Das Thema Krieg kommt für die AfD-Anhänger auf Rang drei. Doch es gibt einen Zusammenhang mit dem Krieg, der von der Ampel, insbesondere von den Grünen, unterschätzt wurde: Der Krieg als solcher, aber auch die intensive Aufrüstung in Deutschland tragen dazu bei, dass Argumente zur ökologischen Nachhaltigkeit für viele Menschen unglaubwürdig werden. Dieser Krieg sowie die deutsche Beteiligung in Form von Waffenlieferungen stoßen in großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung auf Ablehnung, auch wenn diese Position in der medialen Öffentlichkeit kein Gehör findet.
DIE FURCHE: Wie hängen ökologische Transformation und der Krieg zusammen?
Dörre: Die Streichung der Umweltprämie beim E-Auto-Kauf oder die Verschiebung der Einführung des Klimageldes durch die Regierung in Berlin – das hat viel mit dem Ukrainekrieg zu tun. Der Widerspruch, den die Menschen sehen, ist schlicht: Ihr liefert Patriot-Raketen, die eine Million Euro pro Stück kosten, doch die Emissionen, die dabei entstehen, spielen offenbar keine Rolle. Viele fragen sich daher, warum ausgerechnet ihr Leben und ihre Wirtschaft verändert werden sollen. Vor allem die Grünen und die FDP erscheinen den Leuten als Kriegstreiber, die kein Wort zu Friedensverhandlungen oder auch zu den ökologischen Folgen des Krieges äußern. Der Philosoph Günther Anders (1902–1992) sagte vor Jahrzehnten: Die Rüstungsindustrie ist eine Doppelindustrie, die zum Konsum ihrer Güter tendiert und damit potenziell kriegstreibend ist.
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