Thomas Rammerstorfer: "Staatliche Deckung für graue Wölfe"
Der Publizist Thomas Rammerstorfer über die rechtsextremen Grauen Wölfe, ihre Rolle in Österreich und das Kalkül heimischer Politiker.
Der Publizist Thomas Rammerstorfer über die rechtsextremen Grauen Wölfe, ihre Rolle in Österreich und das Kalkül heimischer Politiker.
Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den Grauen Wölfen. Ein Gespräch über Fantasien eines türkischen Großreichs, politische Morde, das Zusammengehen von religiösen und nationalistischen Rechten und die Parallelen zwischen Rechtsextremismus und Islamismus.
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Die Furche: Herr Rammerstorfer, die Grauen Wölfe sorgten hierzulande zuletzt wieder für Schlagzeilen, als Bilder von Kindern auftauchten, die in Moscheen den Wolfsgruß übten - das Erkennungszeichen der türkischen Ultranationalisten. Wofür steht die Gruppierung ideologisch?
Thomas Rammerstorfer: Es ist eine rechtsextreme, ultranationalistische Bewegung, die die Vereinigung aller Turkvölker in einem großtürkischen Reich anstrebt. Zu den Turkvölkern gehören in der Diktion der Grauen Wölfe etwa auch Usbeken, Aseris und Gagausen.
Die Furche: Neben Kommunisten und Juden sieht die Organisation etwa Kurden, Aleviten und Armenier als politische Gegner. In der Türkei verübten Graue Wölfe in den 1970ern hunderte Morde. Der Anschlag auf Papst Johannes Paul II. 1981 ging ebenso auf das Konto eines Grauen Wolfes wie jener auf die damalige Studentin Seyran Ate¸s, die später eine liberale Moschee in Berlin mitgründete. Hat das Gewaltpotenzial der Organisation seither abgenommen?
Rammerstorfer: Ich fürchte nicht. Es wurde eher in die Sicherheitskräfte integriert. Die Anti-Terror-Spezialeinheiten in der Türkei sind etwa stark von Grauen Wölfen unterwandert. Unter jenen, die gegen die Kurden oder in Syrien an der Front stehen, sind ganze Kompanien von Grauen Wölfen. Viele leben ihre Gewalttätigkeit heute innerhalb der Sicherheitskräfte aus und weniger in bewaffneten Milizen oder illegalen Banden. Damit haben sie staatliche Rückendeckung.
Die Furche: Als die Grauen Wölfe sich in Österreich und Deutschland ausbreiteten, kooperierten sie zunächst auch mit heimischen Rechtsextremen. Wann bekam dieses Verhältnis Brüche?
Rammerstorfer: Im Kalten Krieg, als der Kommunismus noch der gemeinsame Hauptfeind von allen rechts der Mitte war, bestanden starke gemeinsame Bande - auch zu Geheimdiensten und den bürgerlich-konservativen Parteien. Als der gemeinsame Feind wegbrach, war die Zusammenarbeit nicht mehr nötig. Mit dem Erstarken des militanten Rechtsextremismus, insbesondere nach der deutschen Wiedervereinigung, gab es verheerende Brandanschläge wie in Mölln und Solingen. Sie schlugen tiefe Wunden in die türkische Community und verunmöglichten weitere Zusammenarbeit mit Neonazis. Hinzu kommt, dass ab 9/11 der Antiislamismus wuchs und sich die Grauen Wölfe zeitgleich zunehmend islamisierten.
Die Furche: Der politische Arm der Grauen Wölfe ist die rechtsextreme türkische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Während sie heute keine allzu große politische Relevanz mehr hat, finden sich viele türkische Ultranationalisten inzwischen in Recep Tayyip Erdogans AKP wieder, mit der man einst verfeindet war. Wie kam's?
Rammerstorfer: Das Zusammengehen der religiösen und der nationalistischen Rechten wurde schon während der türkischen Militärdiktatur ab 1980 forciert - mit dem Feindbild der linken Separatisten. Einen Turbo hat die nationalistisch-islamische Synthese aber erst in den vergangenen Jahren mit dem Rechtsruck Erdogans bekommen. Die MHP hätte die Zehn-Prozent-Hürde für die große Nationalversammlung höchstwahrscheinlich nicht mehr erreicht. Deshalb hat sie sich Erdogan untergeordnet.
Die Konflikte, die die Grauen Wölfe auch hierzulande mit der kurdischen Community austragen, werden von beiden Seiten oft intern geregelt. Da ruft man nicht unbedingt die Polizei.
Die Furche: Auch hierzulande sind die Grauen Wölfe bestens vernetzt. Ihr Österreich-Ableger, die Türkische Föderation, betreibt Moscheevereine im ganzen Land und sitzt gemeinsam mit Atib und Millî Görü¸s unter dem Dach der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Deren Generalsekretär Baki Uslu zeigte selbst offen den Wolfsgruß.
Rammerstorfer: Die Grauen Wölfe haben natürlich gewissen Einfluss in der Glaubensgemeinschaft, sie betreiben rund 25 Moscheen. Damit sind sie im Vergleich zu Atib oder Millî Görü¸s zwar kleiner, für ein paar Posten reicht es aber. Der Gruß ist natürlich kritisch zu sehen. Allerdings gibt es nicht nur bei den Grauen Wölfen, sondern auch in den anderen religiösen Richtungen sehr weit rechts stehende Tendenzen.
Die Furche: Die heimische Politik hat zur guten Vernetzung der Organisation beigetragen. Innsbrucks ehemalige Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer etwa lud noch im Frühjahr zu einer Wahlkampfveranstaltung in ein Vereinslokal der Grauen Wölfe, die Linzer SPÖ pflegte gute Beziehungen zu den Nationalisten. Dass die Politiker nicht wussten, mit wem sie es zu tun haben, lässt sich ausschließen, oder?
Rammerstorfer: Bei Oppitz-Plörer, der Linzer SPÖ oder auch einigen in Vorarlbergs ÖVP, die enge Kontakte pflegen, würde ich das ausschließen. Der Linzer Bürgermeister wusste ohnehin seit zehn oder zwölf Jahren, um wen es sich handelt. In kleineren Orten kommt es natürlich vor, dass Bürgermeister zu Festen eingeladen werden und eher aus Ahnungslosigkeit mit dabei sind. Bei vielen ist es aber Kalkül. Man will sich Wählerpotenzial unter den Türkei-Stämmigen sichern. Auch Ex-Kanzler Christian Kern hat seine letzte Wahlkampfveranstaltung nicht umsonst bei AKP-Anhängern abgehalten.
Die Furche: Warum tauchen die Grauen Wölfe in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes kaum auf?
Rammerstorfer: Darüber kann man nur spekulieren. Man berücksichtigt aber wohl auch gewisse Wünsche der türkischen Regierung, nach dem Motto: Ihr könnt doch nicht eine unserer zentralen Stützen in ein extremistisches Eck stellen. Dazu gab es beim Verfassungsschutz in den letzten Jahren einen starken Fokus auf Salafisten. Und die Grauen Wölfe verfolgen auch keine Österreich-spezifische Agenda. Für sie ist hier eher ein Rückzugsgebiet, in dem man Geld sammelt und Wahlkämpfe organisiert. Die Konflikte mit der kurdischen Community, die man auch hierzulande austrägt, werden von beiden Seiten oft intern geregelt. Da ruft man nicht unbedingt die Polizei.
Die Furche: Welche Parallelen sehen Sie grundsätzlich zwischen Rechtsextremismus und Islamismus?
Rammerstorfer: Da gibt es viele Überschneidungen. Vom Männer-und Frauenbild über die Gewaltbereitschaft bis zur Glorifizierung von Kampf, von Heldentum und Märtyrertod. Dazu kommt das autoritäre Denken, die Ablehnung von Demokratie, von Diskurs und Diskussion und der Glaube an Verschwörungstheorien, die oft antisemitisch verklausuliert sind. Man übernimmt zum Teil ja auch Propagandamethoden des jeweils anderen, wie das Aufbringen von Fake News.
Die Furche: Zu welchem Umgang mit den Grauen Wölfen würden Sie heimischen Behörden raten?
Rammerstorfer: Ich bin meistens eher gegen Gesetzesverschärfungen. Denn ich glaube nicht, dass sich die Demokratie verteidigen lässt, indem man sie immer mehr einschränkt. Wichtig wäre aber erstens, die Organisationen nicht zu unterstützen: dass keine Steuergelder in solche Einrichtungen fließen, dass Politiker ihnen keine Legitimation geben, indem sie sich mit ihnen ablichten lassen. Zweitens sollte man auch bei Verhetzungsdelikten, die nicht in deutscher Sprache passieren, genauer hinschauen. Grundsätzlich halte ich aber einen positiven Ansatz für wichtiger: die demokratischen Kräfte unter Türkei-stämmigen Menschen stärker zu unterstützen.