Widerstand gegen NS-Regime: Wie Partisanen in die Pedale treten
Ein Projekt der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl folgt den Fahrradrouten von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern in der NS-Zeit im Salzkammergut – und über die Grenze nach Salzburg.
Ein Projekt der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl folgt den Fahrradrouten von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern in der NS-Zeit im Salzkammergut – und über die Grenze nach Salzburg.
Als Achtjähriger beschloss Thomas Bernhard auf einem Steyr-Waffenrad, seiner Existenz eine Wendung zu geben und „die beliebte Schnitzel backende Tante Fanny“ in Salzburg aufzusuchen. Die Tour endete recht schnell mit einem Sturz, heißt es in der Erzählung „Ein Kind“. Was bei Bernhard aber einen bleibenden Eindruck hinterließ, war die „Glückseligkeit des Triumphators“, einen zweirädrigen Fluchthelfer aus der Enge entdeckt zu haben.
In seiner gut 200-jährigen Geschichte erwies sich das Fahrrad in unzähligen Gelegenheiten und für unzählige Menschen als Starkmacher, Selbstermächtiger, Freiheitswerkzeug, Emanzipationsinstrument oder Unabhängigkeitskrücke.
FAHRRAD ALS FLUCHTHELFER
Eine besondere Erinnerung an das Fahrrad als Fluchthelfer und Widerstandsvehikel hat Johannes Staudinger recherchiert und mit neuem Leben erfüllt. Der Oberösterreicher war in seiner Jugend Rennradfahrer, gründete den Verein Velodrom Linz und organisiert als dessen Vorsitzender jedes Jahr unter anderem eine Radfahrt von Linz zur Befreiungsfeier nach Mauthausen. Seit einigen Jahren erforscht und befährt er zudem im Widerstand gegen den Nationalsozialismus genützte Radstrecken. „Ich möchte damit einen einfachen Zugang zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte schaffen, indem man quasi in die Geschichte hineinradelt und auf diesen Fahrradstrecken selber eine Idee davon bekommt, was die Menschen damals auf sich genommen haben“, erklärt Staudinger im Gespräch mit der FURCHE sein Anliegen. Wobei er damit durchaus die Erwartung verbindet, dass sich diese Radler auf historischen Routen des Widerstands auch über die aktuelle Politik Gedanken machen und die Verpflichtung des „Niemals vergessen!“ mit jedem Tritt in die Pedale bekräftigen.
Die Ergebnisse von Staudingers Recherchen sind auch das Kernstück eines Projekts der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl–Salzkammergut mit dem Namen „Touren von Willy-Fred, Fahrradpartisan*innen im Salzkammergut“. Mithilfe einer eigens entwickelten App lassen sich sowohl Geopunkte zur Orientierung als auch historische Informationen auf das Smartphone herunterladen – und machen so die Geschichte der ersten Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus im Salzkammergut anhand von fünf Radtouren lebendig.
Konkreter Anlass zur Gründung der Gruppe Willy-Fred war die Organisation der Flucht des Widerstandskämpfers Sepp Plieseis im Herbst 1943 aus Hallein, einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Plieseis verwendete „Willy“ als seinen ersten Decknamen. Nach dessen Bekanntwerden nannte er sich fortan „Fred“. Die Kombination aus beiden Decknamen dient bis heute als gängige Bezeichnung für diese Partisanengruppe.
Wobei bei der Beschreibung der Gruppe Willy-Fred immer auch von Partisaninnen gesprochen werden muss. Denn es waren vor allem Frauen, die großteils auf Fahrrädern die Flucht von Plieseis aus Hallein im Salzburger Tennengau über die Berge in sein heimatliches Salzkammergut vorbereitet haben. „Die Frauen waren zentral in der ganzen Geschichte“, sagt Staudinger, „denn die Männer waren entweder gar nicht daheim oder mussten sich verstecken und konnten sich generell im öffentlichen Raum weniger frei bewegen, ohne sich damit verdächtig zu machen.“ Frauen hingegen fuhren regelmäßig mit ihren Rädern zu verschiedenen Arbeitsstätten, um dort zu putzen oder anderen Tätigkeiten nachzugehen; sie konnten sich damit unauffällig bewegen und waren somit entscheidend, um ein Widerstands- Netzwerk zu knüpfen.
NACHTFALTER-PARTISANIN
Eine herausragende Stelle nahm dabei die Ischlerin Resi Pesendorfer ein, der Staudinger auch die Tour 1 mit dem Titel „Wie so ein Nachtfalter“ gewidmet hat. Die Radroute folgt den Wegen der Partisanin durch Bad Ischl. Der Vergleich mit einem Nachtfalter ist stimmig, da Pesendorfer oft in der Nacht unterwegs war, um geheime Nachrichten weiterzugeben oder Treffen und Verstecke zu organisieren. Dabei war sie immer der Bedrohung durch die Gestapo ausgesetzt. Staudinger erzählt: „Einmal wurde sie von Nazi-Wachleuten angehalten, die sie aber schnell wieder weiterfahren ließen, mit dem abfälligen Kommentar: ‚Die schaut eh so behindert aus!‘“ Frau Pesendorfer hatte eine magere, ausgezehrte Erscheinung, die die „umtriebigste und fleißigste aller Widerstandkämpferinnen jedoch als perfekte Tarnung nützte“. Ihre Netzwerktätigkeit führte sie bis nach Salzburg, Hallein, Gmunden, Vorchdorf, zum Attersee oder ins Ausseerland.