Reisen  - © Foto: Pixabay

Wolfgang Schallenberg über Reisediplomatie: "Abwesende haben immer Unrecht"

19451960198020002020

Wir dürfen nicht glauben, dass andere Regierungen Tag und Nacht an Österreich denken. Wir müssen vielmehr immer wieder sagen: Hier sind wir, das können wir, wir wollen mitspielen.

19451960198020002020

Wir dürfen nicht glauben, dass andere Regierungen Tag und Nacht an Österreich denken. Wir müssen vielmehr immer wieder sagen: Hier sind wir, das können wir, wir wollen mitspielen.

Werbung
Werbung
Werbung

Reisen ins Ausland sind ein unverzichtbares Mittel der Außenpolitik. Sie dienen dazu, die Position eines Staates international zu verankern, die eigenen Interessen zu wahren, das gegenseitige Verständnis zu erhöhen und die Beziehungen zu anderen Staaten zu pflegen. Ein französisches Sprichwort sagt: Die Abwesenden haben immer Unrecht. Ein Staat muss auf der Welt präsent sein, auch physisch, sonst geht die Entwicklung über ihn hinweg.

Politische Entscheidungen werden nach wie vor von Menschen gefällt und nicht von Computern. Sachliche Informationen sind nur eine der Entscheidungsgrundlagen. Die Erfahrung zeigt und die Memoiren von Politikern bestätigen, dass zum Zeitpunkt notwendiger Entscheidungen der Wissensstand oft unvollständig ist. Politische Entscheidungen basieren weitgehend auch auf Intuitionen, Emotionen, Vorurteilen, subjektiver Einschätzung der Sachlage und des Partners, der eigenen Persönlichkeitsstruktur, auf Sympathien und Antipathien. Auch auf den höchsten Ebenen der Macht geht es sehr menschlich zu. Es ist daher nützlich, ja erforderlich, dass politische Entscheidungsträger ihre Partner persönlich kennen und möglichst eine Vertrauensbasis aufgebaut haben.

"Die beste Diplomatie beginnt damit, dass man einander kennenlernt"

Um sich zu kennen und gut zusammen arbeiten zu können, muss man sich, so oft als möglich persönlich begegnen. Einen Menschen kann man nicht durch Briefe, Telephonate, Boten, E-Mail oder Videokonferenzen erfassen. Man muss sich die Hand gegeben, unverbindlich geplaudert und eine Mahlzeit gemeinsam eingenommen haben. Das gilt ja auch für das Geschäftsleben. Nur so kann man den Anderen richtig einschätzen. US-Präsident George W. Bush sagte dieser Tage, im Zusammenhang mit dem Besuch Putins in Texas: "Die beste Diplomatie beginnt damit, dass man einander kennenlernt." Die guten persönlichen Beziehungen und häufigen Begegnungen zwischen Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt sowie zwischen Mitterrand und Kohl haben Wesentliches zur Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland und zum Aufbau Europas beigetragen. Ohne das Vertrauensverhältnis zwischen Kohl und Gorbatschow wäre die Vereinigung der beiden Deutschlands nicht so glatt über die Bühne gegangen. Als Diplomat habe ich bei vielen Verhandlungen erlebt, dass auch schwierige Probleme nach dem ersten gemeinsam verbrachten Abend und einem Glas Wein leichter zu lösen sind. Der zweite Verhandlungstag, an dem sich die Partner persönlich näher gekommen sind, ist oft erfolgreicher als der erste.

Nichts ersetzt also persönliche Begegnungen politischer Entscheidungsträger. Auch ein Telefongespräch ist leichter mit jemandem zu führen, dem man schon persönlich begegnet ist. Diese Begegnungen sind auf allen Ebenen sinnvoll: Beamte und Vertreter von Kultur und Wirtschaft, Regierungsmitglieder, Außenminister, Regierungschef und Staatsoberhaupt. Jeder Funktionsträger hat seine spezifischen Partner und Themen, sodass auch mehrfache Reisen in das gleiche Land keine Konkurrenz bedeuten müssen, vielmehr eine Ergänzung und Bereicherung sein können. Natürlich ist interne Koordination erforderlich, damit alle mit der selben Zunge sprechen.

Wir müssen, im eigenen Interesse, solidarisch sein und konstruktiv mitarbeiten, vor allem innerhalb der Europäischen Union.

Wolfgang Schallenberg

Noch etwas kommt dazu. Gegen 190 Staaten dieser Welt wetteifern um Sympathie und Aufmerksamkeit. Wir dürfen nicht glauben, dass andere Regierungen Tag und Nacht an Österreich denken und uns ständig lieben oder uns auslachen. So wichtig sind wir nicht. Wir müssen vielmehr immer wieder aufzeigen und sagen: hier sind wir, das können wir, wir wollen mitspielen. In internationaler Isolation kann ein Staat nicht lange existieren. Einen kleinen Vorgeschmack davon haben wir schon bei den sogenannten Sanktionen der 14 EU-Mitglieder erlebt. Wir müssen, im eigenen Interesse, solidarisch sein und konstruktiv mitarbeiten, vor allem innerhalb der Europäischen Union. Dies gerade jetzt um so mehr, als durch außenpolitisch unverantwortliche Positionen, wie sie vor allem die FPÖ vertritt, neuerlich die Gefahr einer Isolierung unserer Republik nicht auszuschließen ist.

Offizielle Besuche veranlassen Regierung und Medien des besuchten Landes, sich mit dem Land des Besuchers zu beschäftigen. Ich war österreichischer Botschafter in Spanien zum Zeitpunkt des ersten offiziellen Besuches eines österreichischen Staatsoberhauptes, Bundespräsident Kirchschläger, seit den Jahrzehnten des Franco-Regimes. Dieser Besuch war ein ungeheurer Auftrieb für uns. Plötzlich stand Österreich, zum ersten Mal, einige Tage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dies hatte langfristige Auswirkungen für unser Image und für die Zusammenarbeit. Dass solche Besuche meist auch positive wirtschaftliche Folgen haben, ist bekannt. Als Botschafter in Indien in den siebziger Jahren hatte ich mir hochrangige Besuche aus Österreich ersehnt. Sie blieben aber aus,was ein Nachteil für unsere Interessen war.

Die Kosten für die Steuerzahler sind voll gerechtfertigt

Besuchsdiplomatie ergänzt die ständige Präsenz durch diplomatische Vertretungen, kann diese aber nicht ersetzen. Die Einleitung von Besuchen, die Information über das Gastland und des Gastlandes, die Organisation der Besuche sind Sache der Botschaft. Besonders wichtig ist das "follow up", das heißt darauf zu achten, dass das, was die hohen Herren und Damen vereinbaren, wirklich geschieht. Die Wahrnehmung unserer Interessen bedarf eines koordinierten Zusammenspiels der fallweisen, in überseeischen Ländern ohnehin meist zu seltenen, offiziellen Besuche mit der ständigen Vertretung an Ort und Stelle. Die durch die Reisen entstehenden Kosten für die Steuerzahler sind voll gerechtfertigt. Die Kosten der Zusammenarbeit sind immer wesentlich geringer als die Kosten von Spannungen. Offizielle Reisen sind übrigens weder Spaß noch Erholung, sondern harte Arbeit.

Die furche rief im "Anno Dazumal" einer ihrer letzten Nummern in Erinnerung, dass sie 1976 die Zahl der offiziellen Auslandsreisen während der Kreisky-Zeit kritisiert hat. Als Mitte der sechziger Jahre der erste offizielle Besuch des schweizerischen Außenministers in Wien stattfand, gab es Stimmen in der Schweiz die meinten, ein Außenminister solle nicht reisen sondern zu Hause seine Akten erledigen. Die Zeiten haben sich geändert. Heute sollten wir wissen, dass die Reisediplomatie der eigenen Bevölkerung zu Gute kommt.

Der Autor ist Botschafter in Ruhe.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung