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Die Vereinten Nationen haben dem iranischen Präsidenten in New York eine Plattform geboten. Das war richtig - wie und wo sollte man sonst seinen falschen Argumenten entgegnen.

Die New Yorker hätten dem iranischen Präsidenten ruhig den Besuch von Ground Zero erlauben können - bei der sprichwörtlichen Orientierungslosigkeit der Iraner wäre Mahmud Ahmadinedschad sowieso nie hingekommen. Wahrscheinlich macht dieser Scherz schon als SMS in Teheran die Handy-Runde: Die Iraner lassen keine Gelegenheit für einen Witz aus, nehmen bevorzugt ihren Präsidenten auf die Schaufel und lieben es, über ihre Eigenheiten zu lachen. So wie über die angeblichen Beweise dafür, dass keine Iraner bei Planung und Durchführung der 9/11-Anschläge beteiligt gewesen sein können: Die hätten weder ihr Ziel gefunden, noch sich zuvor schon jemals auf ein solches geeinigt.

Ein - schlechter - Witz war für viele auch Ahmadinedschads Wunsch am Ground Zero der Terroropfer zu gedenken; eine "Farce" nannte es US-Außenministerin Condoleezza Rice, gerade denjenigen an Amerikas schwärende Wunde zu lassen, "der vermutlich der größte Sponsor des Staatsterrorismus ist, der den Holocaust leugnet und der davon spricht, andere Länder von der Landkarte zu radieren". Wenn man die Logik "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" gelten lässt - dann ist auch schwer verständlich, warum Ahmadinedschad um die 9/11-Opfer trauern und damit die 9/11-Täter verurteilen wollte.

Die Antwort darauf ist jedoch leicht, wenn man die erwähnte Logik umdreht. Der Freund meines Feindes ist mein Feind: Für den iranischen Präsidenten ist der Al Kaida-Chef Osama bin Laden ein Freund der Amerikaner, weil er ihre strategischen Interessen bedient. Verwirrend? Ganz normal, wenn man an die Verschwörungstheorie glaubt, dass "in Wahrheit" die USA selbst hinter 9/11 stecken, Bin Laden friedlich in Amerika lebt und Bush & Co vor nichts zurückschrecken, um ihre Weltherrschaft auszubreiten. "Die 9/11-Opfer sind Opfer wie wir, Opfer wie die ganze muslimische Welt, Opfer wie alle, die sich gegen die USA stellen", diese Botschaft wollte Ahmadinedschad vom Ground Zero aussenden. Und er konnte sich sicher sein, dass sie nicht nur im Iran offene Ohren und gläubige Herzen gefunden hätte. Der Westen macht sich keine Vorstellung darüber, wie sehr im Nahen und Mittleren Osten diese und andere Verschwörungstheorien (für uns) wahr gehalten werden. Kaum eine Konferenz über diesen Raum, wo nicht Wissenschafter, Korrespondenten auf diese völlig andere Welt- und Wirklichkeitssicht hinweisen. Einzige Reaktion darauf bleibt aber meist ein belustigtes, bemitleidendes, verständnisloses Kopfschütteln und der Vorwurf, mit dem auch Ahmadinedschad regelmäßig bedacht wird: "Spinner!"

Ganz sicher ist Ahmadinedschad kein Dummkopf, das sagen nicht nur seine früheren Studenten an der Teheraner Universität, die ihn als engagierten Dozenten beschreiben. Und sicher ist er auch kein zweiter Hitler, wie New Yorker Demonstranten glauben machen wollten - dazu ist er viel zu wenig mächtig. Der iranische Macher ist Revolutionsführer Ayatollah Chamenei, und Ahmadinedschad ist sein oberster Sekretär. Aber Ahmadinedschad ist vor allem eines: Sprachrohr, nicht nur für Iranerinnen und Iraner, sondern generell für sehr viele Menschen in dieser Region.

Ahmadinedschad ist kein Einzeltäter, wenn er die Frage stellt, warum die Palästinenser heute dafür leiden müssen, dass Europa seine Juden damals vernichtet und den Rest nach Palästina verschickt hat. Ahmadinedschad ist kein Einzeltäter, wenn er fragt, warum alle UN-Resolutionen gegen Israel mit einem US-Veto abgeschmettert werden oder warum jegliche technologische Errungenschaft des Iran als eine Bedrohung dargestellt wird. Ahmadinedschad spricht für sehr viele in der Region - und weltweit noch mehr applaudieren ihm. Dabei vermischt Ahmadinedschad berechtigte Fragen mit unberechtigten Forderungen - das macht ihn gefährlich. Wirksam entgegnen kann ihm nur, wer seine Forderungen zurückweist, seine Fragen aber zu beantworten versucht. Dafür braucht es ein Forum, und das hat ihm die UNO zurecht gegeben. Auch wenn Israels Außenministerin schimpfte: "In einer gerechten Welt wäre ein derartiger Besuch nie autorisiert worden." Wir leben in keiner gerechten Welt - aber sie und der Iraner könnten viel dazu beitragen.

wolfgang.machreich@furche.at

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