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In einem Land, dessen Politik aus Gerüchten und Intrigen, aus Geheimabkommen und Winkelzügen besteht, wird die politische Berichterstattung zum Ratespiel. Ägypten bietet dafür derzeit ein eindrückliches Beispiel, wo seit einem turbulenten politischen Wochenende eine Spekulation über die Machtverhältnisse im Land die andere jagt.

Hat in Kairo nun der neue Präsident Mohammed Mursi das Sagen oder doch die bekannten Generäle, die das Land nun seit mehreren Jahrzehnten unter Kontrolle haben?

Das Vertrackteste an dieser Frage ist aber nicht, dass die Antwort darauf derzeit kaum möglich erscheint, sondern dass diese Antwort eigentlich auch unerheblich ist, solange der folgende Satz als wahr gelten muss: Ägypten ist keine Demokratie. Es ist bestenfalls auf dem Weg dorthin oder vielleicht auch schon wieder auf dem Weg, sich davon zu entfernen. Gerade an den Aktionen oder taktischen Entscheidungen des neuen Präsidenten zeigt sich dieses Dilemma.

Mohammed Mursi hat mit Feldmarschall Mir Hussein Tantawi den vermeintlich mächtigsten Mann Ägyptens abgesetzt. Aber es steht bis heute noch nicht fest, ob der Präsident dazu - juristisch gesehen - ermächtigt war. Diese Frage mag gemessen an den massiven antidemokratischen Kräften im ägyptischen Militär wie eine Spitzfindigkeit anmuten. Aber der Akt ist bezeichnend dafür, was allen Beteiligten in diesem Machtkampf die Rechtsstaatlichkeit, auf die sie sich berufen, wert ist: Null und nichts, sobald sie den eigenen Interessen zuwiderläuft.

Vage Möglichkeiten

Wie es derzeit steht, kann sich die Bevölkerung aussuchen, ob sie ihr Leben nach den Gesetzen des Präsidenten oder nach jenen des Militärs ausrichten will. Damit gilt für Ägypten exemplarisch, dass das Recht schlicht vom Stärkeren ausgeht und das Volk in keiner derzeit möglichen Konstellation dieser Stärkere ist. Das ist das Tragische an der aktuellen Lage. Die Entwicklung geht in eine - von der Demokratie aus gesehen - allenfalls falsche Richtung: Gewinnt Mursi das Spiel um Macht und Einfluss, dann geht die Islamisierung über seine Minister und seine Muslimbrüderpartei im Parlament weiter.

Die eben erfolgte Einsetzung eines Verteidigungsministers, der vor Kurzem Jungfräulichkeitstests für Demonstrantinnen verteidigt hatte, und sie unter den Vorwurf der Prostitution stellte, kann als ernste Vorwarnung dafür gelten, was da politisch auf Ägypten zukommt.

Gewinnt aber das Militär, dann wird es die Reste der Demokratiebewegung endgültig zerstören. Wirtschaftlich schrecken beide Entwicklungen Investoren ab, die das Land so dringend nötig hätte, vor allem aber auch Zehntausende Touristen.

Die Schlechteste der Möglichkeiten

Das führt uns zu der dritten und wahrscheinlichsten Möglichkeit - einer Synthese, die das Schlechteste aller Möglichkeiten in sich vereint. Die ganze bejubelte Postenscharade könnte nichts sein als der Beginn einer unheilsamen Harmonie zwischen Muslimbrüdern und dem Militärrat. Sie könnte ein System ankündigen, das diesen beiden Apparaten - und sonst niemandem - die Macht im Land sichert.

Die Politik gehörte demnach den Muslimbrüdern, die Wirtschaft - wie schon bisher dem Militär. Keine dieser beiden Kräfte hat den Wunsch, das Land zu öffnen oder demokratisch zu gestalten.

Es wird eine Stabilität gegenseitiger Lähmung entstehen und nichts, was die Frühlingstage 2011 versprachen, wird Wirklichkeit werden: Nicht die Freiheit, nicht die Gleichberechtigung und vor allem nicht die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Es ist dieses Versagen, das Ägypten auf Dauer vor eine neue zerstörerische Wahl stellen wird: Diktatur oder erneut Revolution - diesmal aber nicht demokratisch, sondern nach Art der Salafisten.

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