Albanien - Land zwischen Kreuz und Halbmond

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Kulturreportage aus dem Land der Skipetaren

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Kulturreportage aus dem Land der Skipetaren

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Bei jedem Schritt knirscht der steinige Boden unter den Wanderschuhen. Der Schweiß rinnt über die Stirn bei 40 Grad Hitze und dem steilen Aufstieg auf die Sebaste, den heiligen Berg Nordalbaniens. Überall an den Macchia-Sträuchern flattern bunte Stofffetzen, mit denen die Pilger ihre Stationen zum Heiligen Antonius markieren. Die Frauen sind in bunt gestickte Festtagstrachten gehüllt. In Felsnischen am Weg zur Kirche brennen kleine Kerzen. Dort küssen die meisten im Vorbeigehen den zu frühchristlicher Zeit von Märtyrerblut besudelten Berg.

Die Wallfahrtsstätte des Heiligen Antonius, Shejtnorja e Sh'na Ndout, auf Gegisch, das im Norden des Landes gesprochen wird, liegt mehrere hundert Meter hoch über der Stadt Lac, zwischen der albanischen Hauptstadt Tirana und der nördlichsten Großstadt des Landes, Shkodra. Jede Woche pilgern Tausende zu dem wichtigsten Heiligtum der albanischen Christen, die fast ein Drittel der Bevölkerung darstellen. Ein Beweis, wie lebendig das Christentum im Lande trotz aller Repressionen geblieben ist.

Klöster und Heilige Nach einem halben Jahrhundert staatlichen Religionsverbots sind die Pforten der Kirchen, Klöster und Moscheen nun wieder geöffnet, die zwangsweise geschlossen worden waren. Auch in Lac wurden nach 1944 immer wieder Christen bei ihrem Marsch zu der gesprengten Kirche erschossen, welche bereits Mitte des 13. Jahrhunderts von den Franziskanern erbaut worden war und seit 1993 auch wieder von Patres dieses Ordens betreut wird. Sehr bald wird man, einmal als Tourist erkannt, von den einheimischen Messbesuchern nach dem Gottesdienst zum Picknick eingeladen, genießt bei einem guten Tropfen albanischen Weins die herzliche Gastfreundschaft der Skipetaren und den herrlichen Fernblick bis hinüber zur Adria.

Lange Zeit hatte sich das Balkanland von der Außenwelt abgekapselt, steuerte einen streng stalinistischen Kurs. Seit die Demokratische Partei 1992 das Ruder übernahm, nähert man sich allmählich wieder Westeuropa an. Seit 1991 sind auch Individualreisen möglich. Jedoch ist nur das (asphaltierte) Straßennetz der Hauptrouten in den Tallagen einschließlich der wichtigsten Pässe befahrbar. In die Berge rumpelt man über Schotterpisten, wenn überhaupt, nur per Geländewagen. Auch Hotels sind außerhalb der Hauptstadt Mangelware oder entsprechen nicht heute üblichem Komfort. So gibt es auch nur wenige Reiseveranstalter, die das Land im Programm haben und Bildungsreisen, aber auch Bade- und Erholungsurlaub dort anbieten.

Das Christentum hat in Albanien, einst römische Provinz Illyricum, alte Wurzeln: Bereits aus den ersten drei Jahrhunderten sind Heiligenlegenden überliefert, die für ein frühes Kryptochristentum in allen Hafenstädten sprechen. In Dyrrhachium, dem heutigen Durres, soll gar der Apostel Paulus selbst den ersten Bischof eingesetzt haben! Vor allem der Besucher, der an Kontakten zu christlichen Gemeinden und an christlicher Archäologie interessiert ist, kommt in Albanien auf seine Kosten. Neben der Kapelle im Amphitheater zu Durres mit wertvollen Wandmosaiken des 6. Jahrhunderts, laden besonders die antiken Bischofsstädte Apollonia (bei Fier), Onchesmos (Saranda) oder Buthrotum (Butrint) zu frühchristlicher Spurensuche ein.

Stadt der 1.000 Fenster Reizvolle Altstadtensembles mit griechisch beeinflußter Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts bieten die Städte Gjirokastra und Berat, "Stadt der 1.000 Fenster" genannt aufgrund der am Hang übereinandergereiht liegenden Häuser. Besonders sehenswert: das Ikonenmuseum "Onufri" in der Marienkirche mit Werken des gleichnamigen Malers des 16. Jahrhunderts sowie die mittelalterlichen Kirchen und Stadtbefestigungsanlagen. Aber auch Albaniens einsame Strände und verträumte kleine Inselchen, dem Küstenort Ksamil am Ionischen Meer vorgelagert, bieten beschauliche Badefreuden. Die Restaurants in Badeorten wie Dhermi und Himara tischen schmackhafte Meeresspezialitäten auf wie Muschelomelett, Goldbrasse oder Scampi.

Das Archäologische Museum in Tirana, seit 1922 Hauptstadt, ist eine Fundgrube für archäologische Schätze und die Frühgeschichte Albaniens. Tagsüber wirkt die Stadt eher ruhig. Abends jedoch beginnt die Kapitale aufzuleben, wenn Abertausende über die großen Boulevards flanieren, in den Parkcafes im Freien sitzen und miteinander die milden Sommerabende genießen. Sehenswert in sind Tirana außerdem das Mosaik einer frühchristlichen Kirche des 4./5. Jahrhunderts, die Ethem-Bey-Moschee samt Uhrtürmchen, die Käsemarkthalle sowie türkenzeitliche Tabakbrücke und Mausoleum. Als solide Bleibe empfiehlt sich das (österreichische) Hotel "Europapark" mit Swimmingpool, Tennisplatz und blühendem Garten, ein angenehmer Kontrast zu dem lärmenden Hauptstadtverkehr. In den erheblich billigeren staatlichen Hotels hingegen muß man sich mit Minimalkomfort begnügen und gelegentlich auch Mäuse und andere ungebetene Gäste in Kauf nehmen.

Übrigens - als Reiselektüre empfiehlt sich Christine von Kohls Albanien-Buch (Becksche Länderreihe).

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