Heroes - © Foto: Unsplash/hao wang

Alev Korun: "Der Ehrbegriff schadet auch Männern"

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Mit dem Berliner Gleichstellungsprojekt "Heroes" soll jungen Männern mit Migrationshintergrund die Emanzipation schmackhaft gemacht werden. Die Grüne Alev Korun will das Projekt nun nach Wien holen.

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Mit dem Berliner Gleichstellungsprojekt "Heroes" soll jungen Männern mit Migrationshintergrund die Emanzipation schmackhaft gemacht werden. Die Grüne Alev Korun will das Projekt nun nach Wien holen.

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Immer wieder wird der Begriff der "Ehre" vor allem von Männern aus dem muslimischen Kulturkreis benutzt, um Gewalt gegenüber Frauen zu rechtfertigen. Weil das in Österreich tagtäglich passiert, will die Grüne Integrationssprecherin Alev Korun das Problem bei der Wurzel anpacken.

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DIE FURCHE: Wie funktioniert das Berliner Projekt "Heroes - Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre"?
Alev Korun: Junge Männer aus stark patriarchalen Milieus werden von "Heroes"-Mitarbeitern aus denselben Communities in Workshops dazu angeregt, über Gleichberechtigung und Menschenrechte nachzudenken. Sie werden mindestens ein Jahr lang ausgebildet - von zwei Männern und einer Frau. Schließlich gehen sie mit ihren eigenen Erfahrungen der Bewusstseinsveränderung an Schulen und Jugendeinrichtungen. Zum Abschluss erhalten sie von einer prominenten Persönlichkeit aus der Politik ein Zertifikat und damit gesellschaftliche Anerkennung.

DIE FURCHE: Warum wird hier ausschließlich mit Männern gearbeitet?
Korun: Bei der Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit geht es um ein selbstbestimmtes Leben für Frauen und Männer. Dafür ist es ganz wichtig, die Burschen und Männer ins Boot holen. Wenn sich nur die Frauen emanzipieren, besteht weiter eine Schieflage. Denn Männer, die mit selbstbestimmten Frauen nichts anfangen können, werden unterdrückerische Strukturen aufrechterhalten wollen. Als "Heroes"-Projektleiterin wurde bewusst eine Frau gewählt.

DIE FURCHE: Das Projekt läuft in Berlin seit neun Jahren sehr gut. Wo liegt der Schlüssel zum Erfolg?
Korun: Es funktioniert offenbar, die Männer so einzubinden, dass sie dauerhaft tragende Säulen von "Heroes" werden. Einige Teilnehmer sind inzwischen selbst Gruppenleiter, teils verheiratet und haben Kinder, die sie im Sinne einer geschlechtergerechten Gesellschaft erziehen. Den Begriff der "Ehre" definieren und leben sie ganz anders als ihre Väter.

DIE FURCHE: Wie kann man Männer, die es gewohnt sind, zu herrschen, überzeugen, sich von ihren Privilegien zu verabschieden?
Korun: Patriarchale Strukturen hindern Jugendliche beiderlei Geschlechts an der freien Entwicklung ihrer Persönlichkeit und schränken die möglichen Lebensentwürfe ein: Mädchen und Frauen werden in schwache Positionen, in die Opferrolle, gedrängt, aber auch Burschen geraten unter empfindlichen Druck, wenn es um Ehrenvorschriften oder um arrangierte Ehen geht. Die Furche: Wo liegt die Wurzel dieses dubiosen Begriffs der männlichen "Ehre" und wie kann man den emanzipatorisch umdeuten? Korun: Dieser Ehrbegriff kommt in sehr hierarchischen, patriarchalen Gesellschaften stark vor. Auch wenn viele Religionen patriarchale Strukturen gefördert und teils produziert haben: Religion ist oft nur Beiwerk, wird instrumentalisiert, um Frauenunterdrückung zu legitimieren. Im Zentrum steht das Konstrukt einer Familienehre, die von den Frauen abhängt und gegen sie eingesetzt wird. Deshalb muss die gesamte Familie darauf achten, dass sich Frauen an strenge Regeln halten, jungfräulich in die Ehe gehen, etc. Die Kontrolle der weiblichen Sexualität funktioniert über die Brüder.

Wenn sich nur die Frauen emanzipieren, besteht weiter eine Schieflage zwischen den Geschlechtern. Männer, die damit nichts anfangen können, werden patriarchale Strukturen erhalten.

DIE FURCHE: Wo hakt "Heroes" hier ein?
Korun: Im "Heroes"-Projekt wird viel mit Rollenspielen gearbeitet. Die Burschen müssen die Mädchen spielen, um nachvollziehen zu können, wie es ihnen ergeht. Sie realisieren dann, dass diese Definition von "Ehre" sie selbst einschränkt und auf die Rolle reduziert, den Starken spielen zu müssen, die weiblichen Familienmitglieder kontrollieren zu müssen, eventuell Gewalt anwenden zu müssen. Im Mädchenzentrum "maDonna" in Berlin-Neukölln warb eine Kampagne gegen Unterdrückung mit dem Slogan "Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen".

DIE FURCHE: Gibt es in Österreich ein vergleichbares Projekt?
Korun: Nein, deshalb will ich unbedingt, dass das Projekt nach Wien kommt. Das Bildungs-und Frauenministerium hatte die Finanzierung bereits zugesagt, und dann leider kurzfristig abgesagt. Aber die Grüne Salzburger Landesrätin Martina Berthold hat das Projekt nach Salzburg geholt, wo es Anfang Mai startet.

DIE FURCHE: Wieso tut sich die heimische Integrationspolitik so schwer?
Korun: Integrationsminister Sebastian Kurz ist hauptsächlich an PR interessiert. Er hat seine Ankündigungspolitik medial sehr gut verkauft bisher, auf der Umsetzungsebene sehe ich kaum Ergebnisse. Seine Blitz-Kurse zur Integration sind wieder einmal reine Symbolpolitik - eher ein Signal an die Bevölkerung als an die Neuankömmlinge. Ich bin schon dafür, Rechte und Pflichten klar zu benennen, aber in interaktiven Workshops und nicht durch abstrakte Vorträge über die österreichische Verfassung. Aber Kurz fordert ständig Leistung ein und schweigt die enormen Leistungen von Arbeitsmigranten fast tot. Das ist diese Haltung von oben herab. Dabei haben die "Gastarbeiter" Österreich mit aufgebaut. Viele Bauarbeiter oder Putzkräfte sind körperlich kaputt, wenn sie in Pension gehen.

DIE FURCHE: Die von Ihnen geforderte Kommunikation auf Augenhöhe scheint in Deutschland besser zu funktionieren.
Korun: Ja, nicht nur, was die Projektlandschaft betrifft, sondern auch, was die Kommunikationskultur angeht: Man muss die Leute ernst nehmen - das ist die wichtigste Basis, um andere kritisieren zu können. Wenn man den muslimischen Frauen signalisiert, "Ihr seid eh alle unterdrückt, wir kommen, um Euch zu befreien!", wird diese Botschaft nicht ankommen. Einen viel konstruktiveren Zugang zur Integration hat Kanada: "Welcome in Canada, make it better!"

Alev Korun

Die Integrationssprecherin der Grünen hat selbst im Beratungszentrum für Migrantinnen und Migranten gearbeitet und kennt die Alltagsprobleme der Betroffenen.

Die Integrationssprecherin der Grünen hat selbst im Beratungszentrum für Migrantinnen und Migranten gearbeitet und kennt die Alltagsprobleme der Betroffenen.

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