Van der Bellen - © Foto: Manfred Werner / Tsui

Alexander Van der Bellen: "Bleiberecht nur rückwirkend"

19451960198020002020

Alexander Van der Bellen, Bundessprecher der Grünen, ist gerührt, dass sich alle so viele Sorgen um seine Partei machen. Er selbst zeigt sich im FURCHE-Gespräch mit deren Performance "recht zufrieden". Die Renaissance der Atomkraft hält er für ein Gerücht, den Vorstoß von VP-Staatssekretärin Marek zum Thema Integration bewertet er vorsichtig positiv.

19451960198020002020

Alexander Van der Bellen, Bundessprecher der Grünen, ist gerührt, dass sich alle so viele Sorgen um seine Partei machen. Er selbst zeigt sich im FURCHE-Gespräch mit deren Performance "recht zufrieden". Die Renaissance der Atomkraft hält er für ein Gerücht, den Vorstoß von VP-Staatssekretärin Marek zum Thema Integration bewertet er vorsichtig positiv.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Furche: Herr Professor Van der Bellen, eigentlich müsste es den Grünen ja hervorragend gehen: eine Große Koalition bietet per se genügend Angriffsfläche; und die derzeit amtierende lässt kaum eine Gelegenheit aus, die Kritiker dieser Regierungsform zu bestätigen. Dennoch kommen die Grünen nicht so recht vom Fleck …

Alexander Van der Bellen: Mich rührt das immer, diese Sorge um die Grünen. Ich kann nur sagen: Seit rund sechs Monaten liegen wir in den Umfragen zwischen zwölf und 15 Prozent, in etlichen größeren Städten kratzen wir an der 20-Prozent-Marke - und damit bin ich eigentlich recht zufrieden.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Die Furche: Es geht ja nicht nur um Umfrageprozente. Müsste eine Oppositionspartei wie die Grünen nicht aus der Performance der Regierung einfach mehr politisches Kapital schlagen können?

Van der Bellen: Zum einen ist es so, dass sich schon die Regierungsparteien selbst Tag für Tag beschädigen. Zum anderen halten wir mit unserer Meinung ja nicht hinterm Berg: Bei den wirklich wichtigen Fragen - wie etwa Bleiberecht, Klimaschutz oder den Themen der beiden Untersuchungsausschüsse - melden wir uns kräftig zu Wort.

Die Furche: Asyl- und Zuwanderungsfragen sowie Umweltthemen sind aber alte Leibthemen der Grünen, das ist nichts wirklich Neues mehr.

Van der Bellen: Das ist richtig. Aber wir sind noch immer überzeugt, dass das zentrale Probleme sind - und auch Kernkompetenzen der Grünen, anhand derer wir unser Profil weiter schärfen müssen.

Die Furche: Beim Klimaschutz haben Sie einen Umstieg auf erneuerbare und emissionsfreie Energien bis 2020 gefordert. Halten Sie das wirklich für realistisch?

Van der Bellen: Man muss unterscheiden zwischen Stromverbrauch, Raumwärme und Mobilität. Wir glauben, dass es beim Strom möglich ist, bis 2020 komplett auf erneuerbare Energie umzusteigen, vorausgesetzt, wir schaffen es, bei gleichem Komfort den Stromverbrauch zu drosseln. Und bevor jetzt alle erschrecken: "drosseln" hieße, den derzeitigen Zuwachs von zwei Prozent pro Jahr in ein Minus von ein bis eineinhalb Prozent umzudrehen.

Bei wichtigen Fragen melden wir uns kräftig zu Wort.

Alexander Van der Bellen

Die Furche: Dann bräuchten wir keine kalorischen Kraftwerke und keine Atomkraftwerke …

Van der Bellen: … und auch keinen importierten Atomstrom. Denn wenn es so weitergeht, gibt es nur zwei Möglichkeiten: den Ausbau der kalorischen Kraftwerke mit den entsprechenden Emissionsproblemen; oder mehr Import von Strom aus Kernkraft. Ersteres wäre kontraproduktiv im Hinblick auf den Treibhauseffekt, Letzteres Scheinheiligkeit pur: wir sind gegen AKW, importieren aber Atomstrom.

Die Furche: Aber ist die Vorstellung von Österreich als einer Art energiepolitischen Insel der Seligen nicht eine Illusion - zumal vor dem Hintergrund der allgemeinen Renaissance der Kernkraft?

Van der Bellen: Erstens sind wir keine Insel der Seligen, sondern der größte Nachzügler beim Klimaschutz in Europa. Zweitens suggeriert die Propaganda der AKW-Lobby, dass sie Oberwasser haben, aber faktisch gibt es keinen Nettozuwachs von AKW in Europa. Und man darf nicht vergessen, die alten Probleme existieren nach wie vor: die Entsorgung des Atommülls, die hohe Subventionierung durch den Euratom-Vertrag - dazugekommen ist die Gefährdung durch Terroranschläge.

Die Furche: Also die viel zitierte Renaissance der Atomkraft sehen Sie nicht?

Van der Bellen: Ich sehe die Bemühungen der AKW-Industrie, sich ein grünes Image zu geben, aber nicht den großen Aufbruch.

Die Furche: Beim Thema Pflege haben sie Sozialminister Erwin Buchinger (SP) dafür kritisiert, dass er das Vermögen bis zu einer Grenze von 5000 Euro antasten will, bei der Vermögenssteuer hingegen sind Sie gegen eine Abschaffung. Ist das nicht ein Widerspruch?

Van der Bellen: Es ist ein Unterschied, ob jeder in diesem Land einen Promillesatz seines Vermögens als Steuer zu zahlen hat, oder ob jemand, der bestimmte Pflegeerfordernisse hat, enteignet wird. Das, was Buchinger vorschlägt, ist eine totale Individualisierung des Altersrisikos - und ich finde, das soll es nicht geben. Hier geht es um die Frage: Was soll einem 70-, 80-, 90-Jährigen zugemutet werden, damit er einen Zuschuss bekommt? Muss er erst einmal sein gesamtes Vermögen hergeben? Außerdem: Würde die 5000-Euro-Grenze nicht dazu führen, dass diejenigen, die das Glück haben, in einer funktionierenden Familie zu leben, ihr Vermögen rechtzeitig streuen?

Die Furche: Staatssekretärin Christine Marek (VP) hat kürzlich mit ihrem Vorstoß aufhorchen lassen, das Thema Integration nicht nur unter dem Aspekt der Sicherheit, sondern insgesamt positiver zu betrachten. Wie bewerten Sie das?

Van der Bellen: Es ist sicher erfreulich, dass die ÖVP signalisiert, sich diesem Thema anders nähern zu wollen. Andererseits geht auf der Schiene des Bleiberechts nach wie vor gar nichts weiter. Hier scheitert alles am Widerstand der ÖVP.

Die Furche: Nun wenden aber Kritiker ein, dass ein automatisches Bleiberecht das Asylverfahren letztlich aushebeln würde.

Van der Bellen: Das stimmt. Deswegen sagen wir zwei Dinge dazu: Erstens, dass die Asylverfahren schneller und verlässlicher ablaufen müssen; da gibt es ja nicht nur ein Problem der Zeitdauer, sondern die erstinstanzlichen Bescheide sind in vielen Fällen so schlecht, dass sie in der zweiten Instanz aufgehoben werden. Zweitens aber sehen auch wir, dass es ein Problem des Anreizes gibt: dass man versucht wäre, die drei oder fünf Jahre mit welchen Methoden auch immer abzusitzen. Dem kann man mit einer Regelung begegnen, die rückwirkend gilt, aber nicht für die Zukunft. Wer also etwa am 1. Juli 2007 länger als fünf Jahre in Österreich aufhältig ist und die entsprechenden Kriterien erfüllt, der soll ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht bekommen.

Die Furche: Dann sind Sie gar nicht für ein automatisches Bleiberecht?

Van der Bellen: Wir sind für ein Bleiberecht für jene Menschen, die jetzt schon da und gut integriert sind. Wir hoffen natürlich, dass durch die Verbesserung und Beschleunigung der Asylverfahren diese Probleme in Zukunft seltener oder gar nicht auftreten.

Alexander Van der Bellen

Resistent gegen die Regeln des Polittainments

Relativ ruhig - manche meinen: zu ruhig - war es in letzter Zeit um die Grünen, sieht man von der One-Man-Show des Peter Pilz im Eurofighter-Untersuchungsausschuss ab. Nun wissen mittlerweile alle politisch auch nur einigermaßen Interessierten in diesem Land, dass Alexander Van der Bellen - so wie weiland Franz Vranitzky - seine Aufgabe nicht darin sieht, "Aufreger der Nation" (© Vranitzky) zu sein. Aber kann man sich als Opposition darauf verlassen, dass sich "die Regierungsparteien selbst Tag für Tag beschädigen" (Van der Bellen im Furche-Interview)? Tun die Grünen ja auch gar nicht, kontert er - und nennt Kernthemen, anhand derer seine Partei "ihr Profil weiter schärfen" wolle, wie Fremdenrecht und Klimaschutz. Seine Resistenz gegen die allgemein als unumstößlich geltenden Regeln des Politgeschäfts - vom Rauchverbot in der Öffentlichkeit bis hin zum Zwang zur knappen, leicht fasslichen Botschaft - hat er längst als Markenzeichen kultiviert; es hat viel mit dem zu tun, was ihn "authentisch" wirken lässt. Mit seinem ausgeprägten Sinn für Pragmatismus und Realismus sowie seiner natürlichen Eleganz strahlt der 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters mit holländischen Wurzeln geborene und in Tirol aufgewachsene Van der Bellen weit in bürgerliche Kreise hinein. So sichert er den Grünen über die Jahre verlässliche Zuwächse bei den Nationalratswahlen. Ob sich eine Regierungsbeteiligung mit der Marke Van der Bellen verträgt, wissen wir indes noch nicht.

Relativ ruhig - manche meinen: zu ruhig - war es in letzter Zeit um die Grünen, sieht man von der One-Man-Show des Peter Pilz im Eurofighter-Untersuchungsausschuss ab. Nun wissen mittlerweile alle politisch auch nur einigermaßen Interessierten in diesem Land, dass Alexander Van der Bellen - so wie weiland Franz Vranitzky - seine Aufgabe nicht darin sieht, "Aufreger der Nation" (© Vranitzky) zu sein. Aber kann man sich als Opposition darauf verlassen, dass sich "die Regierungsparteien selbst Tag für Tag beschädigen" (Van der Bellen im Furche-Interview)? Tun die Grünen ja auch gar nicht, kontert er - und nennt Kernthemen, anhand derer seine Partei "ihr Profil weiter schärfen" wolle, wie Fremdenrecht und Klimaschutz. Seine Resistenz gegen die allgemein als unumstößlich geltenden Regeln des Politgeschäfts - vom Rauchverbot in der Öffentlichkeit bis hin zum Zwang zur knappen, leicht fasslichen Botschaft - hat er längst als Markenzeichen kultiviert; es hat viel mit dem zu tun, was ihn "authentisch" wirken lässt. Mit seinem ausgeprägten Sinn für Pragmatismus und Realismus sowie seiner natürlichen Eleganz strahlt der 1944 in Wien als Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters mit holländischen Wurzeln geborene und in Tirol aufgewachsene Van der Bellen weit in bürgerliche Kreise hinein. So sichert er den Grünen über die Jahre verlässliche Zuwächse bei den Nationalratswahlen. Ob sich eine Regierungsbeteiligung mit der Marke Van der Bellen verträgt, wissen wir indes noch nicht.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung