"Alles auf den Kopf gestellt"

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Das Umwelthaftungsgesetz, das im Herbst beschlossen werden soll, sorgt für Aufregung.

Nein, in dieser Form habe er so etwas in seiner langen Laufbahn noch nie erlebt, erklärt Bernhard Raschauer vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien: dass sich im Laufe der Gesetzwerdungsphase ein Ministerium gegenüber einem anderen komplett durchsetzt, indem es einen Gesetzesentwurf gänzlich umdreht. Vorläufiger Sieger ist in diesem Fall das Wirtschaftsministerium zusammen mit der Wirtschaftskammer gegenüber dem Büro von Umweltminister Josef Pröll. Raschauer: "Das Ministerbüro hat sich über den Tisch ziehen lassen." Die Wirtschaftskammer wittere die Möglichkeit, Umweltregeln zurückzuschrauben, was einen "totalen Rückschritt für den Umweltschutz" bedeuten würde.

Was ist passiert? Im Februar dieses Jahres präsentierte das Umweltministerium einen Entwurf zum Umwelthaftungsgesetz, an dem Raschauer mitarbeitete. Grundgedanke war - im Sinne der umzusetzenden EU-Umwelthaftungsrichtlinie - Betriebe zur Verantwortung zu ziehen, die beispielsweise durch Chemikalien oder genmanipulierte Pflanzen an Wasser, Boden oder Biodiversität gravierende Schäden verursachen. Im Mai aber passierte eine Vorlage einstimmig den Ministerrat, bei der plötzlich alles anders war - lediglich die SPÖ vermerkte darin, dass zwei Punkte noch diskutiert werden müssten.

"… keine Pressearbeit"

Eine interne E-Mail der Wirtschaftskammer, die im Mai unmittelbar nach dem Ministerratsbeschluss über eine undichte Stelle an die Öffentlichkeit gelangte, legte die Verhältnisse klar: "Da der Lobbyingprozess im Parlament gerade im Hinblick auf wesentliche Themen noch nicht abgesichert ist, ist es notwendig, die … Interventionen aufrecht zu halten und derzeit keine Pressearbeit zu diesem Thema zu machen", hieß es dort. In der Analyse von elf aufgelisteten "Verbesserungen" der Regierungsvorlage gegenüber dem Begutachtungsentwurf hieß es unter anderem:

• "Normalbetriebseinrede (permit defense): Der am stärksten umstrittene Punkt findet sich nun entsprechend unseres Formulierungsvorschlags in § 8 Abs. 4 Z 1. Sind die zum Schaden führenden Emissionen oder Tätigkeiten von einer Genehmigung gedeckt, trägt der Betreiber nicht die Kosten der Sanierung." Damit wären etwa die Verantwortlichen der Gewässerverschmutzung an der Raab in der Steiermark aus dem Schneider.

• "Entwicklungsrisiko wird berücksichtigt: Der Betreiber ist von der Kostentragung gemäß § 8 Abs. 4 Z 2 befreit, wenn das schädigende Ereignis zum Zeitpunkt der Tätigkeit nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht als wahrscheinlich für einen Schadenseintritt angesehen worden ist." Demzufolge wären beispielsweise durch genmanipulierte Pflanzen verursachte gravierende Wasser-oder Bodenschäden von der Allgemeinheit zu zahlen, weil die Wissenschaft bislang derartige Schäden für unwahrscheinlich erachtet.

• "Haftung für Schäden durch Dritte: Der Betreiber trägt nicht die Kosten, wenn der Schaden durch einen Dritten verursacht worden ist und der Betreiber geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat." Ein Abputzen an Lieferanten etc. werde leicht gemacht, wird hier eingewendet.

Betriebe fürchten Nachteile

Das Bekanntwerden dieser Mail wirbelte so viel Staub auf, dass die Regierungsparteien vereinbarten, die noch vor dem Sommer geplante Abstimmung im Nationalrat auf den Herbst zu verlegen. Petra Bayr, Umweltsprecherin der SPÖ, will unter allen Umständen die zentralen geänderten Punkte wieder rückgängig machen. Von Seiten der Wirtschaftskammer tönt es anders: "Wir werden uns natürlich massiv dafür einsetzen, dass die Regierungsvorlage ohne Veränderungen umgesetzt wird", erklärt WK-Referentin Elisabeth Furherr, die die aufsehenerregende E-Mail mitverfasste. Die Regierungsvorlage muss jetzt noch den Umweltausschuss sowie das Plenum des Parlaments durchlaufen.

Warum sollte die Öffentlichkeit von Seiten der Wirtschaftskammer nichts erfahren? "Wir wollten das Thema nicht aufschaukeln. Für eine einfache, auf den Punkt gebrachte Darstellung ist das Thema zu komplex", rechtfertigt sich Furherr. Es sei nicht gerecht, dass ein Betrieb ein sehr strenges, kostenaufwendiges Genehmigungsverfahren durchlaufen müsse, die Behörde eine bestimmte Emission erlaube, der Betrieb alles einhalte und trotzdem den Schaden zahlen müsse. "Man kann Betriebe nicht zweimal zur Kasse bitten", fasst sie zusammen. Eine Haftung für erhebliche Schäden, die aus dem Normalbetrieb resultieren, wäre eine "Entwertung der Genehmigung". Im Sinne des Umweltschutzes werde das Vorsorgeprinzip durch die jetzige Fassung des Umwelthaftungsgesetzes sogar verstärkt, denn die Betriebe würden sich allgemein noch strenger an die Genehmigung halten. Der zweite umstrittene Punkt - die Berücksichtigung des Entwicklungsrisikos -, der insbesondere Risikotechnologien betreffen würde, wäre für Furherr "ein schlechtes Signal an den Wirtschaftsstandort Österreich". Die Wirtschaftskammer wolle Forschung und Entwicklung nicht behindern. Außerdem würden in anderen Umweltgesetzen bestehende strengere Regelungen vom Umwelthaftungsgesetz nicht berührt. Die entstandene Aufregung sei vor allem aus einem Grund "eigenartig", erklärt Furherr: "Österreich war das Land, das diese beiden Punkte in der EU-Richtlinie hineinreklamiert hat." Und diese Richtlinie werde nun umgesetzt.

Zwei parallele Regelungen

Kopfschütteln lösen diese Aussagen bei Werner Hochreiter, Umwelthaftungsexperte der Arbeiterkammer, aus: Es stimme zwar, dass Minister Pröll in Brüssel half, diese Ausnahmen für die Wirtschaft durchzusetzen, aber die kritischen Stimmen seien auch damals nicht gehört worden. Die Aussage "ich habe es nicht gewusst" sei irrelevant: "Es kann doch keiner eine Talsperre errichten und bei einem Dammbruch sagen, dass dies kein Wissenschafter vorausgesagt hat." Außerdem sei von Seiten des Umweltministeriums zwischen Begutachtungsentwurf und Regierungsvorlage nur mit der Wirtschaftskammer gesprochen worden: "Wir sind nie zu Gesprächen eingeladen worden, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen." Heftig widersprechen Hochreiter und Rechtsprofessor Raschauer der Aussage Furherrs, dass keine bestehenden Gesetze mit strengeren Regelungen wie das Wasserrechtsgesetz verwässert würden: Zwei Regelungen stünden dann nebeneinander, welche tatsächlich gilt, stehe im Gesetz nicht ausdrücklich drinnen, erklärt Raschauer. Traditionelles, ausjudiziertes Recht sei so in Gefahr. Weiters bleibe die Sicherung einer gesunden Erde ein dunkler Fleck im österreichischen Recht: "Bodenschutz ist nach wie vor in keinem Gesetz erfasst." Hochreiter ergänzt: "Es ist vorstellbar, dass der Verfassungsgerichtshof nach einer Klage das Wasserrechtsgesetz aufhebt. Normalbetrieb und Entwicklungsrisiko gab es bisher im österreichischen Recht nicht."

Freistellung für "Große"?

Raschauer glaubt sogar an eine generelle Haftungsfreistellung für große Unternehmen, wenn die Regierungsvorlage so zum Gesetz wird: "De facto handelt es sich um totes Recht, bei dem immer der Steuerzahler zahlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Konzern à la OMV je zur Kasse gebeten wird. Mit diesen drei Klauseln wurde alles auf den Kopf gestellt."

Empört zeigen sich auch die Betreiber des Gentechnik-Volksbegehrens vor zehn Jahren: Damals wurde zugesichert, dass die Initiatoren des Volksbegehrens in den Diskussionsprozess über die Gentechnik-Haftung mit einbezogen werden. Stattdessen werden insbesondere bei den Koexistenzregelungen der Bundesländer Verschlechterungen befürchtet. Christoph Palme vom Institut für Naturschutzrecht im deutschen Tübingen, der in mehreren Fachzeitschriften zum Thema Umwelthaftung publizierte, kommentierte die österreichische Regelung knapp: "Wenn dieses Gesetz so durchkommt, bedeutet es de facto das Ende jeder Umwelthaftung, insbesondere für gentechnisch veränderte Organismen, bevor sie überhaupt begonnen hat."

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