Alles bleibt schlechter

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Vergifteter Wahlkampf in der Ukraine: Nicht nur für den Kandidaten Viktor Juschtschenko. Wer seine Stimme der Opposition verspricht, bekommt seine Kühe nicht mehr geimpft, und die Sprechstunden beim Arzt sind gestrichen.

Linna ist seit bald zehn Jahren Kellnerin in Wien. Ihre Mutter lebt in Lemberg; normalerweise ruft immer die Tochter zu Hause an, doch dieser Tage ist alles anders in der Ukraine: "Zum ersten Mal hat mich meine Mutter angerufen und mir aufgetragen, dass ich ja zur Wahl gehe", sagt Linna. Den Auftrag will sie erfüllen, nützen wird es dem oppositionellen Kandidaten nicht viel, meint sie: "Es wird alles bleiben, wie es ist", meint Linna - und wie ist es? "Schlecht!"

Am 31. Oktober wird in der Ukraine über die Nachfolge von Präsident Leonid Kutschma abgestimmt. 26 Kandidaten stehen zur Wahl, aber nur zwei haben echte Chancen auf das Präsidentenamt im flächenmäßig größten Staat Europas: Der frühere, bei Kutschma in Ungnaden gefallene, aber ungemein populäre Premier Viktor Juschtschenko und der jetzige Premier und Kutschma-Günstling Viktor Janukowitsch.

210-mal öfter im Fernsehen

Bei gleichen Bedingungen für beide Kandidaten wäre Juschtschenko der Sieg im ersten Wahlgang sicher, ist Taras Kuzio überzeugt. Doch diese Wahlen sind schon im Vorfeld nicht fair, nicht frei, nicht demokratisch, erklärt der Ukraine-Experte der George-Washington-Universität bei seinem Vortrag im Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP).

Rostyslav Pavlenko, Politikwissenschafter der Universität Kiew, kann Kuzios Vorbehalte aus ukrainischer Perspektive nur bestätigen: "Janukowitsch kommt im ukrainischen Fernsehen 210-mal öfter vor als Juschtschenko", und die mit Janukowitsch-Plakaten vollgepflasterten Straßen erinnerten an Sowjet-Zeiten. Bei einer Wahlniederlage drohen der KutschmaClique Strafverfahren, Gefängnis oder Exil, fügt Taras Kuzio hinzu: "Das erklärt die Härte der Auseinandersetzung."

Dass die Regierungs-Kamarilla vor nichts zurückschreckt, zeigt die medizinisch rätselhafte Vergiftung von Viktor Juschtschenko, die im Wiener Rudolfinerkrankenhaus behandelt wurde und einen völlig entstellten Präsidentschaftskandidaten zurückließ. Dabei spielt es für Kuzio keine Rolle, ob Juschtschenko tatsächlich vergiftet wurde oder nicht, entscheidend sei vielmehr: "Die Mehrheit der Ukrainer ist überzeugt, dass Gift im Spiel gewesen sein muss." Und ein Bio-Anschlag dieser Raffinesse deute zudem auf russisches Know-How hin, sagt Kuzio.

Ukrainische Tricks um Juschtschenko zu verhindern, werden aus der West- und Ost-Ukraine gemeldet: In der Region Lemberg weigerten sich die Behörden, die Kühe jener Bauern zu impfen, berichtet der Journalist und Produzent Juri Durkot, die nicht zuvor ihre Unterschrift unter eine Unterstützungserklärung für Janukowitsch gesetzt hatten. Aus der ostukrainischen Region Dnipropetrowsk wiederum hat Durkot erfahren, dass Patienten für Janukowitsch unterschreiben mussten, um einen Arzttermin zu bekommen.

Falsch gewählt, kein Strom

Durkot gibt aber zu bedenken, "ob solche Aktionen nicht nach hinten losgehen und die verärgerten Menschen bei der Wahl ihre Stimmen nicht doch einem anderen Kandidaten geben werden".

Missbräuchliche Eintragung abwesender Personen in die Wählerlisten, um einen manipulationstauglichen Stimmzettelüberschuss zu bekommen; Bestrafung der Bevölkerung oppositionsfreundlicher Orte durch Strom- oder Gasabschaltungen; Bestechung der Wähler durch Auszahlung ausstehender Löhne und viele andere Möglichkeiten mehr, zählt der Lemberger Historiker Svjatoslav Pacholkiv das umfangreiche Wahlbetrugs-Instrumentarium auf. Pacholkiv verweist in seiner Analyse des ukrainischen Wahlkampfs auch auf ein Szenario, das der oppositionelle Sozialistenführer und einer der 26 Präsidentschaftskandidaten, Olexsandr Moros, an die Wand malt: "Wegen Wahlbetrugsvorwürfen oder aus einem anderen Grund wird die Macht versuchen, das Wahlergebnis für ungültig zu erklären, um dadurch die Amtsvollmacht Leonid Kutschmas zu verlängern, möglicherweise sogar durch Ausrufung des Ausnahmezustandes."

Kutschma käme ein solcher Gang der Geschichte nicht ungelegen. Nur schweren Herzens konnte er sich im Sommer dieses Jahres entscheiden, auf eine dritte Kandidatur - die ihm das Verfassungsgericht in einer umstrittenen Entscheidung zugebilligt hat - zu verzichten.

Sein Kandidat Janukowitsch gehört zur Donezker Lobby, einem regionalen Clan, der mit anderen Oligarchengruppen um Macht und Geschäft streitet. Schon aus diesem Grund ist Janukowitsch für Kutschma, der mit anderen Oligarchen sympathisiert, weniger Wunschnachfolger als eine unangenehme Notwendigkeit. Doch nicht nur die fehlende Rückendeckung im eigenen Lager könnte dem amtierenden und für seinen groben Umgangston bekannten Premier auf dem Weg zur Präsidentschaft in die Quere kommen, meint Journalist Juri Durkot: "Die Wähler wollen ihm seine Jugendsünden nicht verzeihen." Zweimal, 1968 und 1970, saß Janukowitsch wegen Raubüberfall und mittelschwerer Körperverletzung im Gefängnis. Und eine deutliche Mehrheit der Ukrainer will laut jüngsten Umfragen keinen vorbestraften Präsidenten haben, auch wenn die Strafen später getilgt wurden.

Rosen-Revolution in Kiew?

Auf ungute Weise hängen auch ukrainischer und US-Wahlkampf zusammen. Ukrainische Truppen im Irak zu stationieren, war ein genialer Schachzug von Leonid Kutschma. Die Bush-Regierung hält sich seitdem mit Kritik zurück. Gleichzeitig wird Juschtschenko als Ami-Vasall verunglimpft, obwohl nur er einen Abzug der ukrainischen Soldaten aus dem Irak in Aussicht stellt.

Sollte die Kutschma-Janukowitsch-Fraktion als Wahlsieger hervorgehen, bleibt die Frage, ob es auch in der Ukraine zu einer Rosen-Revolution wie im Vorjahr in Georgien kommt. "Sie sind sich nicht sicher, fürchten sich vor jeder Demonstration", beschreibt Taras Kuzio die Stimmung im Regierungslager. Für Svjatoslav Pacholkiv ist eine serbische oder georgische Machtergreifung durch das Volk jedoch nicht wahrscheinlich: "Politische Aktivitäten wurden in der Ukraine seit jeher von Eliten getragen. Die Masse der Bevölkerung hält sich traditionell von diesen Aktivitäten und von den mit ihnen verbundenen Konflikten fern."

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