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Alles der Neutralität anpassen

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FRAGE: Herr Bundesminister, bereits kurz nach Ihrem Amtsantritt fuhren Sie in ig Schweiz. Darf man in dieser Reise ein programmatisches Hekenfitnis seffeK, vfir allem im Hinblick darauf, daß in dem Moskauer Memorandum von einer österreichischen Neutralität „nach dem Muster der Schweiz“ gesprochen wurde?

ANTWORT: Es ist richtig, daß dies im Moskauer Memorandum steht. Das Moskauer Memorandum ist ein pactum de contrahendo, also ein Ertrag darüber, daß in Zukunft ein Vertrag bestimmten Inhalts geschlossen werden soll. Das ist nun in dem Sinne geschehen, daß Österreich Verpflichtungen, die es im Moskauer Memorandum übernommen hat, erfüllt hatte. Der Staats- vertnag kam zustande, und nach ihm das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität. Daß es im Moskauer Memorandum „nach dem Muster der Schweiz“ heißt, überdies ein österreichischer Wunsch, hat nur zu bedeuten, daß wir jede andere Interpretation des Begriffes Neutralität ablehnen. Es ist jia bekannt, daß in manchen Ländern, besonders in östlichen, die Neutralität in Theorie und Praxis variabel interpretiert wird. Vor solchen schwankenden Auslegungen schützen wir uns durch die Definition „nach dem Muster der Schweiz“ — also die klassische Interpretation der Neutralität, so wie sie aus dem Haager Abkommen, dem Völker-Gewohn- heitsrecht, und verschiedenen anderen Bestimmungen logisch, sinngemäß und durch Fortentwicklung erfließt.

Meine Reise in die Schweiz hatte verschiedene Zwecke. Der eine Zweck war sicherlich demonstrativ, nämlich die erste offizielle Auslandsreise soaite betonen, daß die beiden immerwährend neutralen Staaten Zusammenarbeiten, daß Österreich fest auf dem Boden der immerwährenden Neutralität steht. Der zweite Zweck war aber auch, gewisse gemeinsame Probleme zu behandeln und dann die Erfahrungen der beiden Länder in sehr wichtigen Angelegenheiten, sicher auch in der europäischen Integration, auszutauschen. Dieser letzte Punkt sowie auch unsere gemeinsamen Erfahrungen hinsichtlich der Vereinten Nationen, wo ja Österreich Mitglied ist und die Schweiz nicht, sind auch Gegenstand meiner Ausführungen in der Züricher Handelskammer geworden.

Ich bin aus verschiedenen Gründen der Ansicht, daß die österreichische Neutralität nicht nur allein der internationale Standort unseres Landes ist, sondern auch die Basis unserer gesamten Außenpolitik. Das möchte ich mit einigen Worten illustrieren. Österreich hat nach dem Untergang der alten Monarchie eine sehr, sehr lange Zeit gebraucht, bis es wieder in der internationalen Staatenwelt eine sinnvolle Funktion bekam. Die Zwischenkriegszeit ist zweifellos eine Ära der Funktionslosigkeit gewesen, die mit der Zeit der deutschen Besetzung, mit dem Krieg und schließlich und endlich mit dem zehnjährigen Coimperium der siegreichen Alliierten endete.

Mit 1955, also dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität, ist nun dieser internationale Standort gefunden worden. Ein Standort, der unserem Lande mehr Bedeutung gibt, als es seiner Größe und

Bevöikerunigszahl nach erwarten konnte. Beispielsweise in den Vereinten Nationen haben wir infolge unserer Neutralität größeren Einfluß und eine größere Funktion, als es uns sonst bei unserer Größenordnung zukommen würde. Aber dazu kommt noch ein anderer Umstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich, in ganz Europa und besonders in Mitteleuropa, ein gewisses Machtäquilibrium herausgebildet. Es ist also eine Art Nachkriegsregelung zwischen den Mächten getroffen worden. Diese Regelung beruht unter anderem auf dem einhelligen Wunsche der siegreichen Mächte, daß das Äqui- librium nicht mehr durch ein Wiederaufflammen der sogenannten deutschen Gefahr gestört werden solle. Im Sinne der Geschichte kann man das als übertrieben erachten, besonders nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahre, aber es ist dennoch so; und ein wesentlicher Baustein in diesem Mächtegleichigewicht Mitteleuropas ist die österreichische Neutralität. Wenn Österreich seine Neutralität aufgeben oder sonst erschüttern würde, so würde damit auch dieses Machtäquilibrium er schüttert werden. Nach Auffassung der östlichen Partner zum Schaden des Ostens, aber es ist auch sicher, daß niemand im Westen diese Störung des Äquiilibriums haben will. Wir haben daher mit unserer Neutralität auch eine europäische Aufgabe zu erfüllen. Alles, was wir hier falsch machen würden, hat seine Rückwirkungen auf das Verhältnis der Mächte. Und sofort würde wiederum ein österreichisches Problem entstehen, das sicherlich Gesamteuropa und den Mächten Schwierigkeiten bereiten würde, die allermeisten Schwierigkeiten aber uns selbst. Daher ist der Ausgangspunkt jeder realistischen österreichischen Außenpolitik die Aufrechterhaltung und Stärkung der Neutralität Ihr, nämlich der Neutralität, hat sich alles andere anzupassen. Und ich bin der Ansicht, daß dies auch nach einigem Bemühen gelingen kann. Auf jeden Fall sollte bei meinem Schweizer Besuch al dies in Theorie und Praxis unterstrichen werden.

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