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Allgemeine Wehrpflicht, eine Gewissensfrage

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Es war vorauszusehen, daß mit dem Staatsvertrag zwangsläufig die Frage der Selbstverteidigung durch ein eigenes Heer wieder in den Vordergrund tritt. A-uch dem Nichteingeweihten ist es einleuchtend, daß die Alliierten im Zusammenhang mit ihrer Garantieerklärung für die Neutralität Oesterreichs erwarten, daß auch wir selbst einen Beitrag zur Sicherung dieser Neutralität zu leisten bereit sind.

Ein Teil der österreichischen Bevölkerung begrüßt diese Möglichkeit mit Begeisterung, während ein Teil dieser Frage mit Bedächtigkeit gegenübersteht. Zweifellos geht es bei der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht um einen Einbruch in den Bereich der persönlichen Freiheit, der, wie die Erfahrung aus früherer Zeit lehrt, zu einem Gewissenskonflikt führen kann. Man kann hundertmal betonen, es gehe nur um die Sicherung einer gerechten Verteidigung. Tatsache ist aber, daß die staatliche Autorität nicht den Ruf der Unfehlbarkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Gerade die jüngere Geschichte kennt Beispiele genug, wo unter Vorgabe einer gerechten Sache ein Mißbrauch der Wehrpflicht stattgefunden hat, der zu den größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte geführt hat.

Bloße Beteuerungen, daß so etwas nie wieder stattfinden dürfe, genügen deshalb nicht. Es müssen schon bei Beginn einer neuen Wehrmacht gesetzliche Sicherungen eingebaut werden, die einen solchen Mißbrauch weitgehend ausschließen. Eine solche Sicherung könnte darin bestehen, daß ausdrücklich — womöglich in einem Verfassungsgesetz — statuiert wird, daß die Dienst- und Wehrpflicht sich nur auf österreichisches Territorium erstreckt und beschränkt und daß somit jedem Wehrpflichtigen das Recht der Dienstverweigerung zusteht, wenn Gehorsam auf einem anderen Territorium verlangt wird. Diese gesetzliche Statuierung würde übrigens ganz auf der Linie der Neutralitätserklärung liegen und man möge deshalb eine solche Anregung nicht mit der Ausrede abtun, daß solche Klauseln nicht üblich sind.

Ein weiteres Bedenken gegen die Wehrpflicht, das weniger gegen die Dienstleistung in Friedenszeiten, aber um so mehr im Ernstfalle nicht von der Hand zu weisen ist, besteht darin, daß nach dem Naturrecht und nach der christlichen Lehre kein Mensch zur Notwehr oder zu Handlungen, die seinem Gewissen zuwiderlaufen, verpflichtet werden kann. Jeder Mensch hat das Recht, im Nebenmenschen ein Ebenbild Gottes zu sehen, dessen Leben ebenso heilig ist wie das eigene. Gegen diese Lehre der Feindesliebe wird man zwar einwenden, daß sie zwangsläufig zur Herrschaft der Bösen über die Guten führen müsse. Zugegeben, daß hiezu als Antwort nur der Hinweis übrigbleibt: „Wer hundertprozentig auf Gott vertraut, wird in Ewigkeit nicht zu-schanden werden.“

Es gibt nun einmal auch unter Katholiken Menschen, die so denken, so daß man auch diesen das Recht einräumen muß, aus Gewissensgründen Kriegsdienst ablehnen zu können.

Wenn das im deutschen und im englischen Wehrgesetz und in anderen Staaten möglich ist, muß es auch in Oesterreich durchführbar sein.

Ein letzter Gedanke sei auch noch zur Frage der erzieherischen Werte eines Heeres ausgesprochen. Das geflügelte Wort, daß es jedem jungen Menschen gut tue, eine Zeitlang Ordnung und Disziplin zu üben, hat etwas für sich. Ebenso richtig ist aber, daß früher auch viele junge Burschen moralisch und sittlich verdorben von der Militärzeit zurückgekehrt sind. Dabei hat die allzu lange Dienstzeit viel zu diesen unguten Auswirkungen beigetragen. Diese Erwägungen sprechen jedenfalls für eine möglichst kurze Dienstzeit, ferner für strenge Anordnungen in sittlicher Hinsicht und für die Beibehaltung des landsmannschaftlichen Aufbaues, wie er früher auch bestanden hat.

In dem Zusammenhang verdient erwähnt zu werden, daß die provisorische Nationalversammlung mit Gesetz vom 6. Februar 1919 beschlossen hat, die Landesverteidigung auf den Grundsätzen des Milizsystems aufzubauen ( 10). Die Verwirklichung wurde damals allerdings durch die Alliierten verhindert.

Solche Gedanken sind bestimmt im Dienste des Friedens nach außen und im Innern auch im Interesse des guten Beispiels erwägenswert und berücksichtigungswürdig.

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