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Als „Außenpolitik” eine Verlegenheit war

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So ist es uns heute verständlich, daß für prominente österreichische Staatsmänner in den früheren Jahren nach dem ersten Weltkrieg der Bestand eines eigenen österreichischen Außenministeriums eine Verlegenheit darstellte, daß diese Behörde auch tatsächlich liquidiert und dem damaligen Staatsamt, dem späteren Bundeskanzleramt als eine Sektion inkorporiert wurde. Diejenigen, denen dieser Staat als politische Einheit funktionsios erschien, konnten getrost auch auf seine Stimme verzichten, für die es ihrer

Meinung nach sowieso keinen Part mehr im Konzert der Völker gab.

Die große Wende

Die vorübergehende völlige Eliminierung Österreichs im Jahre 1938 hatte für unsere heutige außenpolitische Situation bedeutsame, psychologische, rechtliche und politische Folgen: Die Österreicher begannen seit der verheißungsvollen Kunde, die in der Moskauer Erklärung der alliierten Mächte vom 1. November 1943 niedergelegt war und die Wiederherstellung eines freien, unabhängigen Österreichs versprach, an das Wiedererstehen eines in sich funktionsfähigen Österreich zu glauben und verbanden mit diesem Glauben diesmal auch nach außen- hin sichtbar, den Willen zur Eigenstaatlichkeit. Der am 15. Mai 1955 im Belvedere unterzeichnete österreichische Staatsvertrag trägt daher auch mit Recht die Bezeichnung: „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs.” Das am 26. Oktober 1955 vom österreichischen Parlament beschlossene Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs bekräftigt durch seinen Wortlaut, daß die Behauptung der Unabhängigkeilt ein wesentliches Merkmal der Neutralität darstellt. Der nebst der Vollzugsklausel einzige Artikel dieses Gesetzes, der Artikel Nr. 1, erf aßt den ganzen Sinn der Neutralität, wenn es im Wortlaut heißt:

„Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

Österreich wind zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.”

In einem im Februar dieses Jahres in Wien gehaltenen Vortrag über die Grundlagen der schweizerischen Außenpolitik, sagte der bekannte Schweizer Völkerrechtsprofessor und Berater des eidgenössischen politischen Departements Rudolf Bind- schedler:

„Der Zweck der ständigen Neutralität liegt in der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit des betreffenden Staates, und zwar sowohl in seinem eigenen Interesse wie auch in demjenigen der Drittstaaten. Der Sinn der Anerkennung der ständigen Neutralität besteht darin, zu verhindern, daß der neutrale Staat unter den Einfluß oder in die Abhängigkeit einer anderen Macht gerät oder sein Gebiet zum Kriegsschauplatz wird. Die Neutralität ist also ein Mittel mit dem Zwecke der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit. Auf der anderen Seite setzt sie diese voraus.”

• Die Grundmaxime jeder österreichischen Außenpolitik kann daher nicht anders lauten als: Wahrung der Unabhängigkeit des Landes und Sicherung der Integrität des Staatsgebietes.

• Eine zweite Maxime ist meines Erachtens der vorgenannten gleichzuhalten. Wenn es in der Bezeichnung und im Artikel 1 des Staatsvertrages heißt, daß Österreich als unabhängiger und demokratischer Staat wiederhergestellt wird, dann kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Wort „Demokratie” zu verstehen und auszulegen ist im Sinne der Gewährleistung der auf den Prinzipien der westlichen Demokratie basierenden freiheitlichen Lebensform der österreichischen Staatsbürger.

In diesem Sinne ist es daher auch den Staatsbürgern eines neutralen Staates möglich, zum kommunistischen System eine ideologische Kampfstellung zu beziehen. Die Neutralität im strengen völkerrechtlichen Sinn des Wortes ist die Nicht teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen, an militärischen Bündnissen. In diesem Sinne bindet sie den Staat und verpflichtet ihn auch in Friedenszeiten zu bestimmten Verhaltungsweisen. Sie verpflichtet aber nicht den einzelnen Staatsbürger, in der geistigen, in der ideologischen Auseinandersetzung neutral und ohne Meinung zu sein. Dem Österreicher ist demnach nicht nur das Bekenntnis zur Demokratie im freiheitlichen, okzidentalen Sinne möglich und erlaubt, sondern er kann sich darüber hinaus auch in die geistige Auseinandersetzung, in das ideelle Ringen zwischen den zwei heutigen großen Weltsystemen, dem freiheitlich demokratischen und dem kommunistischen, einschalten.

Als dritte Maxime für unsere Außenpolitik möchte ich den Grundsatz bezeichnen, daß die österreichische Außenpolitik darauf ausgerichtet sein muß, kontinuierliche, vertrauensvolle Beziehungen zu allen Mächten und insbesondere zu den Großmächten, die in einer macht politischen Auseinandersetzung stehen, zu unterhalten.

Auch mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Der vorerwähnte Schweizer Rechtsgelehrte, der dem schweizerischen Außenministerium als Berater zur Verfügung steht, hat in seinem bereits erwähnten Vortrag unter anderem folgenden Hinweis gemacht: „Politisch gesehen zeichnet sich die ständige Neutralität durch ihre Berechenbarkeit und das Vertrauen, das die anderen Mächte in sie setzen können, aus. Sie stellt einen eindeutigen Faktor in den politischen Berechnungen dar.”

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