Der Laie als Richter?  - Wenn einen der Zufall zum Schöffen macht, tauchen vielen Fragen auf: Wie entscheiden? Schuldig? Nicht schuldig? Warum so, warum nicht anders? Oder den Berufsrichter machen lassen? - © Illustration: Rainer Messerklinger

Grasser-Prozess: Als Schöffe auf der Ersatzbank

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Im Grasser-Prozess mussten sie 168 Verfahrenstage das Ehrenamt des Laienrichters ausüben – wie zeitgemäß und sinnvoll ist diese Bürgerpflicht zum Schöffenamt, zu der fast jede/r eingeteilt werden kann?

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Im Grasser-Prozess mussten sie 168 Verfahrenstage das Ehrenamt des Laienrichters ausüben – wie zeitgemäß und sinnvoll ist diese Bürgerpflicht zum Schöffenamt, zu der fast jede/r eingeteilt werden kann?

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Diesen Brief bekommt der Bundespräsident nicht. An die Mitglieder der Bundesregierung und Amtsträger anderer staatlicher Organe oder Berufsgruppen wie Richter, Staatsanwälte, Geistliche wird dieser RSA-Brief mit Absender „Landesgericht für Strafsachen“ ebenfalls nicht geschickt. Ansonsten gilt das Zufallsprinzip: Wer zwischen 25 und 65 Jahre alt ist, die körperlichen und geistigen Kriterien erfüllt, der Sprache mächtig ist und selbst keine gerichtlichen Verurteilungen vorzuweisen hat, wird per Los aus der Wählerevidenz ausgewählt und zur allgemeinen Bürgerpflicht als Laienrichter eingeteilt. In Wien betrifft das zehn von tausend Einwohnern, in den anderen österreichischen Gemeinden fünf von tausend.

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Ich bin einer von ihnen. Ich habe diesen Brief bekommen. Ich bin Schöffe in einem Prozess am Wiener Landesgericht für Strafsachen, ich bin Laienrichter in einem von bundesweit rund 3500 Schöffen- und 200 Geschworenenverfahren pro Jahr. Genauer gesagt, bin ich Ersatzschöffe. Fällt eine Hauptschöffin im Laufe des Prozesses aus, muss ich ihre Rolle übernehmen. Ein Berufsrichter und zwei Schöffen sind das Minimum – ansonsten platzt der Prozess. Um diese Mindestbesetzung garantieren zu können, wird zu Beginn eines Verfahrens die Schöffenzahl überbucht.

Von zwölf auf fünf geschrumpft

Zum Start des Prozesses um die Affären Buwog und Terminal Tower gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und andere im Dezember 2017 waren gar zwölf Schöffen im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts anwesend. Mit Fortdauer des Prozesses schrumpfte deren Zahl kontinuierlich. Der 136. Tag im Grasser-Prozess musste ohne die Hauptschöffin weitergehen – sie hatte sich aber ohne tauglichen Entschuldigungsgrund abgemeldet, musste deswegen 400 Euro Ordnungsstrafe zahlen. Damit blieben fünf Schöffen, die bis zum 168. und letzten Verhandlungstag vorige Woche blieben. Die drei Ersatzschöffen wurden danach entlassen, sie haben ihre Stand-by-Pflicht erfüllt, für die beiden Hauptschöffen geht es jetzt mit den Beratungen über das Urteil weiter.

Mein Prozess, dem ich hoffentlich bis zum Ende nur als Ersatzschöffe beiwohne, ist mit den Dimensionen des Grasser-Prozesses nicht zu vergleichen. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass es sich auch um einen Wirtschaftsprozess handelt und dass ich so wie alle Schöffen darüber Schweigepflicht habe. Aber natürlich beginnt man sich in den Stunden auf der Schöffen-Ersatzbank einige Gedanken über diese Form der Gerichtsbarkeit zu machen. So wie Fußballer auf der Reservebank beim Spiel ihrer Mannschaft mitfiebern, treibt einen auch als Ersatzschöffen die letztlich entscheidende Frage um: Wie würde ich entscheiden? Schuldig? Nicht schuldig? Warum so, warum nicht anders? Und man fragt sich: Habe ich genug Einsicht in die Materie? Wie kann ich das Strafmaß ohne juristische Expertise richtig einschätzen? Oder soll ich mich am besten zurücklehnen – der Berufsrichter macht das schon? Doch wozu bin ich, sind wir Schöffen dann überhaupt da?

„Es ist zu wenig, wenn man sich nur das Mäntelchen der Laiengerichtsbarkeit umhängt, der Berufsrichter aber das Verfahren dominiert.“

Alexander Tipold, Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien

Ist der Schöffe im Hauptberuf Journalist, hat er es bei diesen Fragen insofern leichter, als er sich Rat zur Schöffengerichtsbarkeit von Expertenseite holen kann. Ich erreiche Alexander Tipold, Professor am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, am Montagabend dieser Woche nach seiner Vorlesung am Telefon. „Gegen die Idee, dass das Volk, die Bürgerinnen und Bürger in die Gerichtsbarkeit eingebunden werden, ist ja prinzipiell nichts einzuwenden“, antwortet Tipold auf die Frage nach Sinn und Nutzen der Schöffengerichtsbarkeit. „Es ist aber zu wenig“, fügt er hinzu, „wenn man sich nur das Mäntelchen der Laiengerichtsbarkeit umhängt, aber der Berufsrichter im Senat das Verfahren dominiert. Es ist immer eine Frage, wie das gelebt wird: Die Schöffen können ein wichtiges Element sein, wenn sie sich einbringen wollen und können. Berufsrichter müssen das aber auch zulassen und den Laien dabei unterstützen. Das kostet natürlich Zeit und Mühe.“

Es müssen gar nicht 168 Verfahrenstage wie im Grasser-Prozess sein, dass das Ehrenamt Schöffe als Belastung und lästige Bürgerpflicht empfunden wird. Wie beeinflusst aber auch die fehlende juristische Expertise von Laienrichtern die Verfahren? Tipold: „Der Laie hat natürlich einen Startnachteil. Er/sie kann sich natürlich auf die Hinterbeine stellen, aber das ist mühsam und es ist nicht leicht, die Dominanz des Vorsitzenden zurückzudrängen, der beruflich erfahren und daher jedem Laien auch aufgrund der Aktenkenntnis überlegen ist. Das tun sich bei dem Ehrenamt wahrscheinlich die wenigsten an.“

Zweiter Richter zur Kontrolle

Das Thema Laienrichter ist in den vergangenen Jahren immer wieder mal in der politischen Diskussion hochgekocht, ohne jedoch eine substanzielle Veränderung bzw. Reform auszulösen. Auch Tipold ist der Meinung, dass „sich prinzipiell nichts ändern wird“. Sein Vorschlag zur Verbesserung des Systems wäre aber, „einen zweiten Berufsrichter im Senat wieder zum Normalfall zu machen“. Das sei auch Tenor in der Wissenschaft, sagt Tipold: „Die Zusammensetzung eines Schöffengerichts mit lediglich einem Berufsrichter und zwei Schöffen wird als nicht gut empfunden. Ein zweiter Berufsrichter im Senat würde die Dominanz des ersten Richters gegenüber den zwei Laienrichtern bremsen.“ Tipold schließt daran die Forderung: „Ein zweiter Berufsrichter sollte wieder der Normalfall sein. Der wäre gleichzeitig Unterstützung und Kontrolle, wenn er/sie diese Rolle auch wirklich ausfüllt und nicht zur bloßen Staffage verkommen lässt. Das ist natürlich eine Kostenfrage, aber das hat einen Wert, wenn ein zweiter Richter seine ganze Aufmerksamkeit ebenfalls dem jeweiligen Fall widmen kann.“

Ich werde in den verbleibenden Verhandlungstagen auf der Schöffen- Ersatzbank ebenfalls meine ganze Aufmerksamkeit dem Fall widmen und mir auch als Ersatzschöffe ein Urteil bilden. Und habe ich diese Bürgerpflicht erfüllt, geht es mir wie dem Bundespräsidenten und einigen wenigen anderen in Österreich – dann bekomme ich diesen Brief nicht mehr.

Der Autor ist freier Journalist.

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