Als Staat zu wenig, als Provinz zu viel

Werbung
Werbung
Werbung

Hinter Belgrad und Prisˇtina liegen Istanbul und Tirana sowie die Kluft zwischen Abend- und Morgenland. - Momentaufnahmen aus Serbien und dem Kosovo.

"Wir sind eine wirtschaftlich noch nicht stabilisierte Gesellschaft“, beginnt der stellvertretende Außenminister Ibrahim Gashi das Gespräch in den Amtsräumen der kosovarischen Regierung. "Mit einem normalen Gehalt kannst du hier nicht überleben“, bringt es Maria Pöppl auf den Punkt. Dies erklärt einerseits das Ausmaß von Korruption sowie Schwarzarbeit im Kosovo und ist andererseits dessen Parallele zu Serbien, von dem die Staat gewordene Provinz so vieles trennt - vor allem die gemeinsame Geschichte. "Die größte interethnische Übereinstimmung ist die miserable wirtschaftliche Lage“, erklärt Bekim Baliqui. Der Professor für Politikwissenschaft hat in Wien promoviert und lehrt an der Universität von Pristina bzw. Prisˇtina oder Prishtinë. Schreibweise und Sprache sind hier Trennlinien. Maria Pöppl ist 2010 mit ihrem albanischen Mann von Linz in den Kosovo gezogen. Unter dem Motto "Hände voll Erbarmen“ arbeitet sie mit Schwester Maria Martha Fink aus Vorarlberg zusammen, die seit einem Jahrzehnt pädagogische Kinderbetreuung und Hauskrankenpflege in Peja aufbaut. Die Caritas Innsbruck unterstützt das Sozialprojekt.

300 Euro beträgt der durchschnittliche Nettolohn, in Serbien sind es 50 mehr. Doch Grundnahrungsmittel kosten ähnlich viel wie in Österreich. Trotzdem dominieren Luxusautos das Straßenbild der Städte und haben die schicken Lokale der Metropolen abends Hochbetrieb. Auch in Prisˇtina nicht nur durch Tausende, gut verdienende EU-Beamte, sondern vor allem infolge neureicher Einheimischer.

Reichtum der Diaspora

Ein Gutteil der Wirtschaftsleistung entsteht durch Geld aus der Diaspora. Zum Sommerende und Schulanfang sind im basiskapitalistischen Kosovo die Gegensätze zwischen Arm und Reich bloß noch schroffer als in Serbien, wozu er in dessen Sicht immer noch gehört. "Das ist die letzte Schlacht für Serbien - im politischen Sinne“, erklärt Mihajlo Kovacˇ, einst Botschafter in Wien.

Der Übertritt zum Finale des Ramadan ist ein bizarres Erlebnis. Erst Buswechsel, um kein Belgrader Kennzeichen zu haben - sondern eines aus Novi Pazar in der muslimisch dominierten historischen Region Sandschak (Bezeichnung einer osmanischen Verwaltungseinheit). Mit jedem Kilometer bis Merdare wird der Verkehr dünner und häuft sich der Müll entlang der Straße. Schließlich schwerst bewachte Container und Wellblechhütten, Kameras zuhauf, Maschinenpistolen im Anschlag; Ein Grenzübergang, der für die eine Seite keiner ist. Deshalb wurde ein anderer auch gerade abgefackelt. Vor den Augen der internationalen KFOR-Schutztruppen. "Im Norden bleibt derzeit nur mit größter Mühe der Deckel auf dem Kochtopf“, erläutert Thomas Mühlmann, Tiroler Chief Of Staff von Eulex, der fast 3000 Mitarbeiter zählenden European Rule Of Law Mission.

Im Kosovo dann Autofriedhöfe zuhauf. Schrottexport ist einer der wenigen funktionierenden Wirtschaftszweige. Neu- und Rohbauten in rauer Menge. Dazwischen immer wieder ein Minarett. Es gibt kaum alte Häuser. Wo die Zerstörung des Krieges nicht mehr sichtbar ist, lassen die unverputzten Ziegel das Davor erahnen. Bulevard Bill Clinton heißt die Hauptstraße von Prisˇtina, hinter der sich ausgebrannte Ruinen zwischen Glaspalästen verstecken. Vor dem Regierungsgebäude wehen die Flaggen von NATO, EU, USA, Albanien - und dem Kosovo. Sechs goldene Sterne symbolisieren die ethnischen Gruppen über der Landesfläche auf blauem Grund. Keine andere Fahne wirkt europäischer. Doch das rote Banner mit schwarzem Doppeladler weht hier öfter. Der von 22 EU-Ländern anerkannte Staat mit fast 90 Prozent muslimischen Albanern orientiert sich nach Tirana.

Parallelstrukturen

Jenseits der hauptstädtischen Repräsentation sind die serbischen Zeilen der zweisprachigen Ortstafeln weggekratzt. Im Nordkosovo ist es umgekehrt. Dort zahlen sie mit Dinar statt Euro, haben sie eigene Schulen und Gerichtsbarkeit, gibt es eine Parallelstruktur kontra Prisˇtina, wie sie einst die autonome Provinz gegen die verhassten Herrscher in Belgrad aufgebaut hat.

Die Kosovo Forces (KFOR) sind großteils hier stationiert. Sie sollen die Abspaltung der Abspaltung verhindern, wo eine staatliche Autorität aus Prisˇtina heute weniger denn je wirkt, während Belgrad den Widerstand finanziell unterstützt.

"Wir wollen keine Verknüpfung der Kosovo-Frage mit unseren EU-Beitrittsverhandlungen“, sagt der Abgeordnete Milosˇ Jevti´c im Parlament von Belgrad. Seine Demokratische Partei ist Mitglied der Sozialistischen Internationale. Doch das hat wenig zu sagen. Weit vor links oder rechts steht hier die ethnische Orientierung einer Gesinnungsgemeinschaft. Das gilt noch mehr in Prisˇtina. Dort nennen sich die neuen Aufsteiger Vetëvendosje! (Selbstbestimmung). Im Selbstverständnis immer noch eine Bürgerbewegung, ist sie seit den Wahlen 2011 die drittstärkste Fraktion im kosovarischen Parlament - mit 14 der 120 Abgeordneten. 20 Sitze sind den Minderheiten vorbehalten, zehn davon den Serben. "Sicherheit und Wirtschaft sind die Hauptgründe, warum ein gemeinsamer Staat unser Ziel ist“, beantwortet Glauk Konjufca, der stellvertretende Vorsitzende von Vetëvendosje!, die Frage nach den Zielen dieser Selbstbestimmung.

Unversöhnliche Ansichten

Unterdessen punktet die Bürgerbewegung mit subversiven Aktionen: Welcome To Banana Republic! Graffiti ist ein wichtiges Mittel der politischen Kommunikation im jüngsten Staat Europas: Altersdurchschnitt 24, ein Drittel unter 14, nur sechs Prozent über 65 Jahre. Auch in Belgrad gibt es Graffiti. Manche nennen Kriegsverbrecher Ratko Mladic´ "Held!“.

In dieser Unversöhnlichkeit haben Vertreter der Zivilgesellschaft eine ausgleichende Funktion. "Zeitungen sind reduziert auf Kleinformate, die bloß jede Kleinigkeit berichten“, beklagt Sonia Biserko, die Präsidentin des serbischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte. In dessen kosovarischem Pendant ist Shkelzen Maliqi führender Repräsentant: "Dreißig Jahre ohne wirklich funktionierende Verwaltung erschweren hier alle demokratischen Fortschritte.“ Noch eine Gemeinsamkeit - denn in Belgrad sagt Katarina Popovic´, Vizepräsidentin des Europäischen Verbandes für Erwachsenenbildung: "Was uns hier nach 400 Jahren unter den Türken und auch allem danach noch immer fehlt, ist Professionalismus in der Verwaltung und dadurch Vertrauen in den Staat. Der Staat ist der Feind.“

Die Kirche sucht eine neue Rolle. Der serbisch-orthodoxe Bischof Irinej Bulovic´ beschwört zwar in Belgrad die Bemühungen um Verständigung mit den Katholiken. Doch wo traditionell der Patriarch eingesetzt wird, im Kloster Peja, sind einst auch Massaker gegen die Kosovaren geplant worden. Heute wird es von KFOR-Soldaten aus Slowenien beschützt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung