Am Hunger stirbt man leise

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"Wir hatten Angst, dass ihr uns zu Christen macht", fürchtete ein Muslim in Mali - "doch wir sind Muslime und die

Caritas ist christlich geblieben" - Tagebuchauszüge von Caritas-Präsident Franz Küberl.

Montag, 17. Juli 2006

Anreise über Paris nach Bamako, der Hauptstadt Malis. Ankunft um 20.50 Ortszeit. Mali (13,4 Millionen Einwohner, die Hälfte davon unter 15 Jahren) ist das viertärmste Land der Welt. Über 75 Prozent der Bewohner sind Muslime, rund 2,5 Prozent Christen und 30 Prozent Animisten, also Gläubige afrikanischer Naturreligionen. Der demokratische, laizistische Staat ist ein Erbe der französischen Kolonialherrschaft.

Dienstag, 18. Juli 2006

Die Caritas Mali erzählt von den Schwerpunkten ihrer Arbeit: Hungerbekämpfung, Straßenkinder, Brunnenbau, Gesundheit, Bildung, Mikrokreditprogramme. Die Zielgruppen der Caritas könnten direkt der Gerichtsrede Jesu (Mt 25, 31-46) entnommen sein: Hungrige, Durstige, Kranke, Gefangene, Obdachlose, zu Bekleidende.

Mali hat gewaltige Ernährungsprobleme, sagt man uns beim Welternährungsprogramm (wfp): Die Dürre im Vorjahr hat die Lage verschärft. Die Sahara breitet sich immer stärker nach Süden aus, Bewässerungsprogramme fehlen weitestgehend. Das wfp will mit Programmen für Nomaden und Kleinkinder gegensteuern. Jedes fünfte Kind in Mali wird nicht einmal fünf Jahre alt.

Wirtschaftliche Entwicklung, religiöse Situation, Migration kommen beim Besuch bei der Leiterin der eu-Delegation in Mali, der Österreicherin Irene Horjes, zur Sprache. Die Europäische Union finanziert in Mali den Ausbau der Infrastruktur, unter anderem Straßen und Brücken.

Am Abend erzählt uns der Erzbischof von Bamako, Jean Zerbo von der kleinen Katholischen Kirche in Mali. Heute sprachen er und Würdenträger der Muslime mit dem Staatspräsidenten über die Entkrampfung der bürgerkriegsträchtigen Situation im Norden. Die Katholiken fürchten, dass die friedliebenden Muslime Malis von ausländischen Muslimen aus Libyen, Algerien, Pakistan in eine andere Richtung gedrängt werden könnten. Der Frieden in Mali und das tolerante Religionsverständnis seien wichtige Exportartikel für die gesamte Region, sagt der Erzbischof.

Mittwoch, 19. Juli 2006

In Kati, einer Stadt vor den Toren Bamakos und Hauptquartier der Armee Malis besuchen wir eine kleine Caritas-Gesundheitsstation. Etwa 5500 Personen kommen jährlich und bitten um medizinische Hilfe. Sr. Antoinette mit einem Arzt und zwei weiteren Gehilfen sind das Stammpersonal.

Der Preis der Straßenkarte, die ich am Nachmittag kaufe - 18 Euro - verursacht einen bitteren Nachgeschmack, als ich erfahre, das soviel Geld eine Hausangestellte in Mali als Monatslohn bekommt - wenn sie viel verdient und regelmäßig bezahlt wird.

Mittagessen in einem afrikanischen Lokal: Es besteht die Wahl zwischen Reis mit Huhn oder Reis mit Fisch.

22 afrikanische Länder unterzeichnen demnächst einen Vertrag gegen Kinderhandel, erzählt man uns am Nachmittag im Familienministerium. Die Verschleppung von tausenden Kindern in die Plantagen der Nachbarstaaten ist zur Zeit auch in Mali ein gewaltiges Problem. Nun sollen die Tore zu dieser Grausamkeit geschlossen werden. Dazu wurde unter anderem die Pflicht eingeführt, eine Geburtsurkunde für jedes Neugeborene zu beantragen. Auch Aids und Beschneidung kommen zur Sprache. Nicht das erste und nicht das letzte Mal auf dieser Reise.

Das Straßenkinderzentrum der Caritas Bamako hat bisher 2155 Kindern ein Dach über dem Kopf gegeben. Mehrmals in der Woche fahren die Mitarbeiter des Zentrums in die Stadt, um Kinder aufzusuchen. 5000 Straßenkinder soll es in Bamako geben. Die Caritas versorgt ihre seelischen und körperlichen Wunden und verhilft den Kindern zu Bildung. Kurz: Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden liegen, können hier auf der Treppe des Lebens ein paar Stufen höher steigen.

Donnerstag, 20. Juli 2006

In aller Herrgottsfrühe Flug nach Kayes. Die alte Hauptstadt von Mali liegt 600 Kilometer westlich von Bamako am Fluss Senegal und gilt als heißeste Stadt von Afrika. Sie wird auch heute diesem Anspruch gerecht. Auf holprigen Straßen gelangen wir nach 40 Kilometern in ein Gesundheitszentrum. Der leitende Arzt erklärt, dass man in dieser Gegend nicht wegen Hungers in die Ambulanz kommt. An Hunger stirbt man leise. Egal, wie jung oder alt man ist.

Am Abend nach der Präsentation der Arbeit der örtlichen Caritas und der Wasserbaubrigade Schlaf in der Hitze der Nacht.

Freitag, 21. Juli

Mehrstündige Fahrt nach Segoubougou, 70 Kilometer von Kayes entfernt. Sehr liebenswürdiger Empfang durch die Frauen und Kinder des Dorfes am Dorfanfang. Ein berührendes Wort des Dorfchefs bei seiner Ansprache: "Anfangs hatten wir Angst, dass uns die Caritas vor allem zu Christen machen möchte. Heute, nach der sehr guten Arbeit der Caritas kann ich sagen: wir sind Muslime geblieben, die Caritas ist christlich geblieben. Unsere Lage ist bedeutend besser geworden."

Präsentation toller Projekte: Der Getreidespeicher kostet hundert Euro Materialkosten in der Herstellung und das Dorf-Komitee verpflichtet sich, Gemeinschaftsfelder anzulegen, damit für die Trockenzeit mehr Getreidereserven da sind. Eine Getreidemühle als fantastischer Akt der Befreiung der Frauen von der jahrtausendealten Mühe, jeden Tag mehrere Stunden lang Getreide zu stampfen. Eine Seifenproduktion mit ganz einfachen Mitteln.

Im Dorf Tintiba, wo wir zwei Brunnen der Caritas sehen, die den Dorfbewohnern den Anbau und Verkauf von Gemüse und die Versorgung mit ausreichend Trinkwasser ermöglichen, fällt mir die biblische Begegnungserzählung von Jesus am Jakobsbrunnen ein, wo er mit der Samariterin über "Wasser des Lebens" spricht. In Tintiba hat sich die Gesundheitssituation enorm verbessert. Ja, das klare Wasser, das ist schon der Zugang zum Wasser des Lebens, nein es ist Teil davon. Schlechte Ernten und die daraus folgende Not produzieren auch - meist nicht erfüllbare - Sehnsüchte: Das zeigt die Auswanderung nach Frankreich ebenso wie die Goldsuche in den bereits "abgeernteten" Goldminen der Umgebung.

Am Schluss ein berührendes Moment afrikanischer Gastfreundschaft: weil wir im Dorf nicht zum Essen bleiben können, geben sie uns eine Ziege und ein Schaf mit - kein Besucher darf das Dorf hungrig verlassen.

Abendliches Treffen mit dem Bischof von Kayes, Joseph Dao: Ein springlebendiger Mann, der seine Leute mag und hinter ihnen steht - das spürt man.

Samstag, 22. Juli

Zurück nach Bamako. Fahrt zu einem sehr intelligenten Wasserprojekt, das wie alle anderen Projekte der österreichischen Caritas in Mali von der Caritas Innsbruck betreut und begleitet wird. Durch die Errichtung von drei Staudämmen kann das Regenwasser mehrere Monate lang die Felder natürlich bewässern. Dadurch erhalten tausend Bauernfamilien eine bessere Existenz. Zudem wird der Grundwasserspiegel deutlich gehoben und der Sahara ein gutes Stück Land abgetrotzt. Dutzende solcher Projekte wären in Mali möglich - man muss sie nur wollen - da wäre die Politik des Landes gefragt.

Sonntag, 23. Juli

Gemeinsamer Kirchgang, Mittagessen an einem wunderbaren Seitenarm des Niger, Marktbesuch und Start der langen Heimreise.

Montag, 24. Juli

Ankunft in Österreich: wieder daran gewöhnen, dass sich Hunger, Armut, Zukunftsangst von vielen Menschen, aber auch ihre große Hoffnung, die sie in uns, ihre Freunde in Österreich, setzen, in einen eingebrannt hat - unauslöschbar. Und am Abend: Plage und Freude beim Tagebuchschreiben...

Caritas Augustsammlung 2006

Hilfeschrei gegen den Hunger:

Alle fünf Sekunden stirbt auf dieser Welt ein Kind an Hunger. Das sind 6,5 Millionen Mädchen und Buben pro Jahr. Hunger tut weh und macht verzweifelt. In der Katastrophenhilfe, zum Beispiel während der aktuellen Dürre in Kenia oder jetzt im Libanon, versorgt die Caritas die Opfer mit dem Allernotwendigsten. In langfristigen Projekten wie in Mali, Äthiopien, Burkina Faso, Kongo, Uganda, Ecuador,... hilft sie mit, dass Hunger erst gar nicht entsteht. Mit 15 Euro kann die Caritas eine Familie in Afrika einen Monat lang ernähren.

Ihre Spende lebt!

Caritas-Spendenkonto:

PSK 7.700 004, BLZ 60 000

Kennwort: Augustsammlung

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