An der Grenze der politik

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Die Ökonomie nennt ein Problem, das bei einem wirtschaftlichen Akt übersehen oder ignoriert wird, eine Externalität. Diese unbedachten Kosten sind zumeist kalkulierbar. Etwa: wie viel schädlichen Staub produziert eine Dampflok, während sie nützliche Güter von einem Ort zum anderen bringt.

Europa ist derzeit mit Externalitäten ethischer und rechtlicher Natur konfrontiert: Ein größer werdender Teil von Mitgliedsstaaten verweigert die Aufnahme und Beherbergung von Flüchtlingen, die in Italien anstranden, nachdem sie aus dem Mittelmeer gerettet worden sind. Teile der österreichischen Regierung, aber auch Spanien, Frankreich und die Visegrádländer wollen die Aufnahme verweigern oder verweigern sie schon. Das immer unter dem Verweis auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.

Währenddessen sammeln sich auf italienischer Seite die Unannehmlichkeiten, die sich mit dem Problem zurecht alleine gelassen fühlen. Die Sorgen der Italiener sind quasi die Externalitäten des Sicherheitsgefühls der Verweigerer. Oder noch direkter: Die Italiener zahlen für unsere subjektiv erfühlte Ruhe. Das wird nicht mehr lange so bleiben, denn Rom will die Lastenverteilung nicht länger hinnehmen. Schon fordern Politiker aus allen größeren politischen Parteien die Schließung italienischer Häfen für Flüchtlingsboote. 70 Prozent der Bevölkerung wollen einen sofortigen Aufnahmestopp.

Und was dann?

Was sich hier anbahnt, ist eine Kaskade von Externalitäten, die bald an ihrem Endpunkt angelangt sein wird. Wenn niemand mehr Flüchtlinge aufnehmen will, weder Europa noch viele der Heimatländer noch die Überfahrtsländer Libyen oder Ägypten, dann muss das Völkerrecht umgeschrieben werden, das jedem Menschen, der sich in internationalen Gewässern befindet, das Recht auf einen sicheren Hafen zugesteht und auf einen Asylantrag.

Sind diese Rechte erst einmal ausgehebelt, kondensiert das Problem bei den Flüchtenden selbst. Was werden sie tun? Sicher werden einige wenige die Hoffnung aufgeben. Aber wer monatelang durch die Wüste marschiert ist, sich von Schleppern hat versklaven, misshandeln und vergewaltigen lassen müssen, wer die unmenschliche Behandlung libyscher Polizisten und Banden erlebt hat; dieser jemand glaubt auch, den letzten Sprung übers Meer zu schaffen.

Außenminister Sebastian Kurz vergleicht die Schließung der Mittelmeerroute mit der Schließung der Balkanroute. Dieser Vergleich ist nicht zulässig, denn die Schließung der Balkanroute hatte nur deshalb Erfolg, weil die Türkei den Flüchtlingsstrom noch vor den EU-Grenzen unterband.

Im Fall der Mittelmeerroute gibt es aber keinen solchen Partner. Der Strom der Flüchtlinge würde weiter laufen, ungebremst ins Meer. Tatsächlich kann also die Mittelmeerroute geschlossen werden. Aber jeder Politiker, der sie schließt, muss auch zu den tödlichen Konsequenzen dieser Aktion stehen. Und die Wähler müssen sich schließlich fragen, ob sie jemanden tatsächlich in einer leitenden Funktion im Staat haben wollen, der dazu bereit ist.

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