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Angst vor organisierter Rückkehr
Wie sehen die Flüchtlinge aus Bosnien derzeit ihre Lage in Österreich und ihre Zukunft in Bosnien in Hinblick auf die abgeschlossenen Friedensverhandlungen?
Wie sehen die Flüchtlinge aus Bosnien derzeit ihre Lage in Österreich und ihre Zukunft in Bosnien in Hinblick auf die abgeschlossenen Friedensverhandlungen?
Der Mehrzahl unserer Gesprächspartner war der Wunsch anzumerken, zurückkehren zu können, allerdings überwog die Skepsis, ob das möglich sein würde. Viele der Flüchtlinge, die auf dem Gebiet der Erzdiözese Wien leben, stammen aus den Gebieten, die im Friedensvertrag „serbisch geworden" sind. Die Moslems aus diesen Städten und Gebieten sehen derzeit wenig Chancen, dorthin zurückzukehren - einerseits existieren die Häuser und Wohnungen nicht mehr, andererseits herrscht Mißtrauen und Skepsis bezüglich der Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens (oder auch nur Nebeneinander-Le-bens). Immer wieder fallen die Worte: „Wie kann es ein friedliches Zusammenleben geben nach all dem, was passiert ist? Wie lange wird es dauern, bis der Haß vergangen ist?"
Mehrfach wird Überraschung spürbar, wie drängend die Frage der Rückkehr plötzlich zu sein scheint. Und immer wieder wird darauf hingewiesen, daß es noch viel zu früh sei, sich konkret mit dem Thema zu befassen, da der Friedensprozeß noch so völlig unsicher sei. Vielfach herrscht auch ein gerüttelt Maß an Mißtrauen dem „Frieden" gegenüber und gar nicht so wenige prophezeien den Ausbruch neuer Kämpfe in absehbarer Zeit. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen beginnt eine spürbare Nervosität bei den in Osterreich lebenden Flüchtlingen. Einige haben Angst vor einer organisierten Rückkehraktion im Sommer 1996.
Ein 75jähriger Pensionist aus Ostbosnien (nunmehr serbisches Gebiet) würde zurückkehren wollen, soferne ihm die Serben dies gestatten und seine Rechte respektieren würden. Allerdings wünscht er sich finanzielle Unterstützung für den Fall der Heimkehr.
Ein Mädchen, das noch mit seiner Mutter im Lager lebt, würde gerne zurückkehren, soferne und sobald das Zusammenleben in Bosnien „wieder funktioniert" - eine Formulierung, die immer wieder auftaucht.
Kaum ein Flüchtling denkt daran, an einen anderen als den Wohnort vor der Flucht, „zurück"zukehren.
Nur wenigen, hauptsächlich jenen, die früher ein Unternehmen kleinerer oder größerer Art gehabt hatten, kommt die Idee, an anderen Orten als dem seinerzeitigen Wohnort, neu zu beginnen. Diese „Unternehmer" denken jedoch, daß ohne fremde Hilfe der Neubeginn nicht zu schaffen ist - dies gilt sowohl für den Aufbau des neuen „Unternehmens" selbst wie auch für die erforderliche neue Wohnmöglichkeit.
Eine Mutter halbwüchsiger Kinder, deren Mann die gesamte Kriegszeit kämpfend in Bosnien zugebracht hatte, möchte noch einige Jahre in Österreich bleiben, bis die Kinder die Ausbildung (fast) fertiggemacht haben, um dann ohne die Kinder zu ihrem Mann zurückzukehren. Die Kinder möchte sie in Österreich lassen, um sie dem Kriegsdienst zu entziehen.
Die Frage der Zukunft der Kinder taucht oftmals auf - einige Mütter sehen für ihre Kinder eine Zukunft nur in Österreich und planen ihr weiteres Leben dem Interesse der Kinder entsprechend. Manchmal taucht das Problem auf, daß die Kinder selbst - offenbar traumatisiert von Erlebnissen - beim Gedanken an eine Bückkehr massive Ängste bekommen und die Eltern ratlos werden.
Ein Ehepaar - beide Techniker -sehen ihre Zukunft im Wiederaufbau Bosniens - allerdings erst in etwa zwei bis drei Jahren. Bis dahin wollen sie die Entwicklung in Bosnien abwarten.
Auch die Frage, wie die den Krieg über in Bosnien gebliebenen Menschen die heimkehrenden Flüchtlinge sehen und empfangen werden, ist noch völlig ungeklärt und macht die Entscheidung schwer.
Naturgemäß ist unter jenen Flüchtlingen, die Arbeit und Aufenthaltsbewilligung haben, der Drang nach Bosnien zurückzukehren, geringer als unter jenen, die keinen Status in Österreich haben. Dennoch finden sich auch unter den bereits integrierten Flüchtlingen Familien oder Einzelpersonen, die intensiv an eine Heimkehr denken, darunter naturgemäß vor allem wieder Frauen (mit oder ohne Kinder), deren Männer in Bosnien geblieben waren, beziehungsweise sind.
Die Autoren sind
Mitarbeiter der Caritas Wien Ihr Beitrag stützt sich auf Gespräche mit Flüchtlingen im Dezember 1995.
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