Parlament - © Foto: Rainer Messerklinger

Anton Pelinka: „Das Ende und der Anfang“

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Am 6. März 1966 gewann die ÖVP unter Josef Klaus die absolute Mehrheit im Nationalrat - die erste Alleinregierung der Zweiten Republik folgte.

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Am 6. März 1966 gewann die ÖVP unter Josef Klaus die absolute Mehrheit im Nationalrat - die erste Alleinregierung der Zweiten Republik folgte.

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Was in anderen Demokratien eine Selbstverständlichkeit ist, bedeutet in Österreich das Ende einer Ära. [...] Die mehr als zwei Jahrzehnte regierende Koalition der beiden österreichischen Großparteien, bis vor kurzem für viele das demokratische Regierungssystem schlechthin, der Garant für eine ruhige Aufwärtsentwicklung Österreichs, gehört der Vergangenheit an. [...] In einer Zeit des nationalen Notstandes und Wiederbeginns entstanden, als eine noch von den Narben des Bürgerkrieges gezeichnete Generation daranging, unter vierfacher Besetzung und äußerster materieller Not, ein neues Österreich aufzubauen, mußte die Koalition gerade dann immer mehr in strukturelle Schwierigkeiten kommen, als man - nicht zuletzt dank der Verdienste eben dieser Koalition - 1955 endlich zur "Normalität" gelangt war. [...]

Die absolute Mehrheit, die von der övp am 6. März erobert wurde, machte die Abkehr vom Koalitionssystem möglich. Freilich, viele hätten lieber eine Periode des Überganges erlebt als den doch sehr abrupten Bruch mit dem Gewohnten. [...]

Man mag das Ausseinanderbrechen der Koalition im gegenwärtigen Zeitpunkt ... noch sosehr bedauern: Der Aufbruch zum neuen Ufer der Alleinregierung hat im gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls den Vorteil, daß die Volkspartei imstande ist, ihren Weg allein zu gehen, unbelastet von Rücksichten auf irgendwelche Außenseiter. Aber dieVolkspartei wird dafür auch die alleinige Verantwortung zu tragen haben: Alleinregierung ist auch Alleinverantwortung.

Demokratie heißt in letzter Konsequenz Herrschaft der Mehrheit, bedeutet also Anspruch der Mehrheit auf Regierungsgewalt. Diesen Anspruch macht nun zum erstenmal ... eine Partei allein geltend. Von der Idee der parlamentarischen Demokratie aus betrachtet ist das ein durchaus legitimes Vorgehen, eine Selbstverständlichkeit, an die wir uns nur noch etwas zu gewöhnen haben. Von der spezifischen österreichischen Situation aus gesehen ist der Vorgang jedoch ein Experiment. Besitzt unsere Demokratie den Reifegrad, um die Gespenster der Ver-gangenheit zu bannen? Besitzt die regierende Volkspartei die demo-kratische Reife, ihre Grenzen zu erkennen und die Notwendigkeit einzusehen, daß auch eine allein regierende Partei auf dem Kompromißweg regieren muß? Besitzt die oppositionelle Sozialistische Partei die demokratische, Reife, eine Opposition der Kontrolle und Alternative, nicht aber des Abseitsstehens und Negierens zu sein? Sie alle bedürfen eines Vertrauensvorschusses: Die Volkspartei ebenso wie die Sozialistische Partei, wie auch unsere Demokratie. - Die österreichische Demokratie steht vor ihrer Reifeprüfung. Besteht sie diese, ist der letzte Schritt des Überganges zur Normalität mit Erfolg vollzogen.

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