Apokalyptische Folgen im Irak

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Ein Krieg gegen den Irak trifft die Bevölkerung einer verarmten und erschöpften Nation. Selbst wenn der Konflikt die Ausmaße des ersten Golfkrieges nicht überschreitet, drohen weit schlimmere humanitäre Folgen.

Ein Krieg der USA gegen den Irak wäre ein Krieg zwischen zwei extrem unterschiedlich starken Gegnern. Geführt von der größten Militärmacht der Welt gegen eine verarmte, total erschöpfte Nation, die nur über äußerst begrenzte Mittel der Selbstverteidigung verfügt. Eine humanitäre Katastrophe scheint unvermeidlich, denn die Ausgangsposition für den Irak und seine 23 Millionen Menschen könnte kaum schlechter sein. Dabei wäre das Zweistromland einer der reichsten Plätze dieser Erde, mit seinen Wasserquellen und Rohstoffen, den zweitgrößten bekannten Ölreserven der Welt. Und der Irak stand einst an der Schwelle der industriellen Welt. Analphabetismus war ausgemerzt, das Land rühmte sich der höchsten Zahl an Universitätsabsolventen in der arabischen Welt.

Neidig blickten die Bruderländer auf Mesopotamien, das dank der Tüchigkeit vieler seiner Bürger als "Preußen des Orients" gerühmt wurde. Unter der Herrschaft Saddam Hussein wurde eine moderne Infrastruktur aufgebaut. Die "World Health Organisation" würdigte die "erstklassigen medizinischen Einrichtungen" des irakischen Gesundheitssektors. Eine prosperierende städtische Mittelklasse führte ein ökonomisch weitgehend sorgenfreies Leben. Doch dann brach Saddam im September 1980 einen der blutigsten Kriege des vergangenen Jahrhunderts vom Zaum - gegen den Iran. Die Bilanz nach acht Jahren waren mehr als 100.000 irakische Tote, weit mehr Verwundete und Gefangene und ein ökonomisch, wie militärisch einschneidend geschwächter Irak.

Ins Mittelalter zurückgebombt

Die Infrastruktur aber hatte diesen Krieg weitgehend unbeschädigt überstanden. Die Gesundheit der Bevölkerung verbesserte sich. Die Säuglingssterblichkeit - ein wichtiger sozio-ökonomischer Indikator - fiel bis 1990 auf 65 pro tausend Lebendgeburten und lag unter dem Durchschnitt der Industriestaaten von 76 pro Tausend. Aber Saddam stürzte sein Volk in ein erneutes militärisches Abenteuer: die Invasion Kuwaits. Als Folge des anschließenden Krieges zur Befreiung des Ölscheichtums und der schärfsten internationalen Sanktionen, die je gegen einen Staat erhoben wurden, schnellte die Sterblichkeitsrate rasant in die Höhe.

Bombardements der Alliierten fügten der Infrastruktur enorme Schäden zu. Vom amerikanischen militärischen Geheimdienst freigegebene Dokumente belegen, dass die USA bewusst irakische Einrichtungen, wie Energieproduktionsanlagen, Wasserreservoirs und -aufbereitungsanlagen zerstörten und dann Chlor, sowie andere Chemikalien auf die SanktionsListe der verbotenen Waren setzten. Damit wurden die entscheidende Voraussetzungen für die folgenden Nahrungsmittelkrisen und Epidemien geschaffen. Kurz nach Kriegsende 1991 schrieb die Washington Post: "Einige Ziele (im Irak) wurden vor allem in der späteren Kriegsphase bewusst deshalb bombardiert, um den USA ein Druckmittel gegen den Irak zu verschaffen, und nicht, um den Ausgang des Krieges zu beeinflussen."

Iraks Ölindustrie bildete eines der Hauptziele der Luftangriffe, sowie der internationalen Sanktionen. Der massive Zusammenbruch der Wirtschaft machte Investitionen und Wiederaufbau nahezu unmöglich. Der Großteil der industriellen Basis des Iraks ruhte auf Importen und diese stoppten sehr rasch nahezu vollständig. 1991 starben 110.000 Menschen an direkten gesundheitlichen Folgen des Kuwait-Krieges. Rund 85.000 hatten ihr Leben durch Kämpfe und Bombardierungen verloren. Unabhängige Experten sprechen von "nahezu apokalyptischen Folgen" für die Infrastruktur einer relativ stark urbanisierten Gesellschaft. Die UNO stellte fest, dass der Irak "für längere Zeit von der Schwelle der Industrienationen in das vorindustrielle Zeitalter zurückgestoßen wurde, aber dabei alle Nachteile post-industrieller Abhängigkeit von Energie und Technologie in Kauf nehmen musste".

Todesstoß Sanktionen

Im darauf folgenden Jahrzehnt fügten die internationalen Sanktionen der Gesundheit der Bevölkerung dramatische Schäden zu, sie beschleunigten den sozialen Verfall der Gesellschaft. Manche Iraker fragen sich, ob ihr Land je wieder den Vorkriegsstatus eines der technologisch, intellektuell und kulturell fortgeschrittensten Staates der Region erreichen kann. "Wir werden niemals wieder den Stand von früher erringen", klagt ein irakischer Intellektueller.

Ein neuer Krieg trifft vor allem die Bevölkerung "extrem hart", betont die unabhängige internationale Ärzteorganisation "medact" (siehe Kasten unten). Selbst wenn der Konflikt nicht das Ausmaß des Kuwait-Krieges überschreite, seien weit schlimmere humanitäre Folgen zu erwarten, da eine wachsende Zahl von Menschen keine Widerstandskraft mehr gegen Krankheit und Verwundungen besitzt. Mit weit intensiveren und zerstörerischen Bombardements und Kämpfen als 1991 ist zu rechnen . Zudem dürften auch neue, noch gefährlichere Waffen zum Einsatz kommen. Der mögliche Austritt von chemischen, biologischen und vielleicht auch radioaktiven Materialien durch Bombardierung von Rüstungsanlagen birgt eine zusätzliche Gefahr. Saddam Hussein könnte in Augenblicken höchster persönlicher Bedrohung selbst derartige Waffen einsetzen.

Experten sagen voraus, dass die öffentlichen Dienstleistungen innerhalb von wenigen Tagen nach Beginn massiver Bombardements lahmgelegt wären. Iraks Stromsektor etwa kann nur mit größter Mühe zwei Drittel der Kapazität von 1990 erreichen. Im Kriegsfall wird die Energieversorgung der Spitäler rasch zusammenbrechen, warnen Experten. Der Mangel an Medikamenten würde sich drastisch verstärken und es den Irakern unmöglich machen, den Ausbruch von Cholera, Typhus, sowie anderen durch verseuchtes Wasser verursachten Krankheiten zu verhindern. Vor allem aber werden irakische Ärzte und Spitäler nicht in der Lage sein, die katastrophalen Verletzungen durch amerikanische Bombardements zu behandeln.

Hilflos zusehende Ärzte

Als Folge der Sanktionen fehlt es den Spitälern an den wichtigsten medizinischen Einrichtungen, aber auch an vielen Medikamenten. So steht etwa Morphium auf der UN-Liste der verbotenen Güter, und Ärzte werden hilflos zusehen müssen, wie sich Verwundete qualvoll in Schmerzen winden. Der Krieg wird auch die Nahrungsmittelversorgung unterbrechen und zur Ausbreitung von Mangelernährung und verschiedenen Krankheiten führen.

Die größten Sorgen der Hilfsorganisationen gilt der Zeit nach einem Krieg und man befürchtet, dass nicht genügend Aufmerksamkeit dem Wiederaufbau zugewendet werden dürfte. Man verweist auf das Beispiel Afghanistan, wo Milliarden von Dollar, die die internationale Gemeinschaft zur Behebung von Kriegsschäden und zur Errichtung eines demokratischen Staates, eines dauerhaften Friedens versprochen hatte, bisher weitgehend ausblieben. Nach Schätzungen mancher Experten würde ein Krieg gegen den Irak bis zu 200 Milliarden Dollar verschlingen. Eine solche Summe könnte laut "medact" "die gesundheitlichen Bedürfnisse der ärmsten Menschen der Welt für die nächsten vier Jahre" decken - die Afghanen und die Iraker miteingeschlossen.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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