"Arbeit für Kroatien ist noch nicht getan"

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Die EU ist keine Garantie für ein künftiges Wohlergehen Kroatiens, meint Demokratie-Aktivist Dragan Zelic. Aber sie schafft die Voraussetzungen dafür.

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Die EU ist keine Garantie für ein künftiges Wohlergehen Kroatiens, meint Demokratie-Aktivist Dragan Zelic. Aber sie schafft die Voraussetzungen dafür.

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Dragan Zelic ist Politikwissenschafter und Ökonom an der Universität Zagreb. Er hat sich im Vorfeld des EU-Beitritts Kroatiens mit seiner Organisation GONG auf die stärkere Partizipation von Bürgern an politischen Prozessen spezialisiert.

DIE FURCHE: Kroatien ist seit 1. Juli Mitglied der Europäischen Union. Wie bekommt man diese neue Situation im Alltag mit?

Dragan Zelic: Es ist natürlich nicht so, als ob wir seit dem 1. Juli eine andere Luft atmen würden als davor, aber man merkt die EU-Mitgliedschaft vor allem daran, dass sie auf einmal von ziemlich großer öffentlicher Bedeutung ist - das war nicht immer so. Die Beitrittsverhandlungen etwa waren noch kein so großes Thema, der durchschnittliche Bürger war nicht wirklich über die EU informiert. Seit wenigen Wochen, vor und jetzt unmittelbar nach dem Beitritt, wird sehr viel über diese neue Situation gesprochen, in der wir uns befinden.

DIE FURCHE: In welchem Zusammenhang hauptsächlich?

Zelic: Es geht sehr stark um Fragen des Alltags und darum, wie sich die Mitgliedschaft Kroatiens in der EU auf die praktischen Dinge des Lebens auswirken wird. Etwa darum, welche Prozedur notwendig ist, um in Deutschland ein Auto zu kaufen. Oder beispielsweise auch, ob sich am Gesundheitswesen etwas ändern wird, aber auch Dinge wie Roamingpreise interessieren die Leute. All diese Themen wurden jetzt in den letzten drei Wochen aufgekocht und auch von den Medien sehr stark aufgegriffen. Doch das ist natürlich relativ oberflächlich und nicht sehr nachhaltig. Es bräuchte eine kontinuierliche Einbindung der Bürger.

DIE FURCHE: Auf welche Art und Weise könnte so etwas eigentlich funktionieren?

Zelic: Die Institutionen sollten die Bürger aktiver informieren. Jetzt würde es darauf ankommen intensiv aufzuklären, was die Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft sind, welche Neuerungen jetzt kommen, oder aber auch welche Bedingungen man erfüllen muss, wenn man beispielsweise Gelder aus EU-Fonds beantragen will. Was es jetzt bräuchte, wären große Kampagnen.

DIE FURCHE: Glauben Sie, dass Bürger anderer EU-Länder besser informiert sind als die Kroaten?

Zelic: Natürlich, je länger man dabei ist, desto mehr Leute wissen besser darüber Bescheid, was wie funktioniert. Für uns jedoch ist die Mitgliedschaft ganz neu. Wir müssen uns erst damit vertraut machen, wie die Institutionen funktionieren und was unsere Vertreter dort machen. Auch deswegen ist es von großem symbolischem, aber natürlich auch praktischem Wert, dass wir uns jetzt in unserer Sprache auf den Internetseiten der EU über ihre Arbeit informieren können.

DIE FURCHE: Welche zentrale Rolle sehen Sie in der EU-Mitgliedschaft Kroatiens?

Zelic: Kroatiens große Aufgabe ist seine Stellung in der Region, also am Balkan. Hier wird die EU zeigen, was sie in diesem Teil Europas vorhat, wie sie hier weitermachen will.

DIE FURCHE: In welcher Hinsicht?

Zelic: Die EU hat Verantwortung gegenüber Bosnien-Herzegowina, gegenüber Serbien und anderen Staaten am Balkan. Die EU ist es, die dafür verantwortlich sein wird, wie stabil diese Region in Zukunft sein wird. Derzeit wird vor allem viel über die Staus an den Grenzen gesprochen. Es wird befürchtet, dass man mit dem Beitritt Kroatiens eine unsichtbare Mauer zu diesen Ländern bauen wird. Das jedoch darf nicht passieren. Die EU muss sehr stark aufpassen, dass sie nicht den Widerwillen der Menschen außerhalb ihrer Grenzen provoziert. Hier muss die Union flexibel sein.

DIE FURCHE: Welche Gefahren gibt es für Kroatien nun nach dem EU-Beitritt?

Dragan Zelic: Die Entwicklung der Demokratie könnte ins Stocken geraten - das ist wohl die größte Gefahr, nicht nur für Kroatien, sondern für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Das gilt nicht nur für die jungen EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch für die alten, denn die Wahrung bereits erreichter demokratischer Standards ist ein hohes Gut und sollte nicht mit dem Beitritt eines Landes zur EU aufhören.

DIE FURCHE: Sie meinen beispielsweise die bedenkliche Situation in Ungarn als warnendes Beispiel?

Zelic: Zum Beispiel. Erst kürzlich gab es eine Resolution der Europa-Abgeordneten, welche die Situation in Ungarn kritisierten. Kein Staat darf sich zurücklehnen, Demokratie ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Das gilt sowohl für die neuen als auch für die alten EU-Mitgliedsstaaten.

DIE FURCHE: Viele haben kritisiert, dass Kroatien noch nicht bereit ist für die EU.

Zelic: Kroatien war bereit für die EU, aber die Arbeit ist noch nicht getan. Wir hoffen, dass unsere derzeitige Regierung und alle künftigen Regierungen diesen Prozess unterstützen werden. Immer noch ist das Funktionieren der Justiz ein wichtiges Thema, Korruption und die Rückkehr serbischer Flüchtlinge in ihre Häuser. Wir müssen immer noch viel tun, aber nicht wegen der EU, sondern wegen uns. Es sollte in unserem Interesse liegen, in einem gut funktionierenden Land zu leben, einem Rechtsstaat mit so wenig Korruption wie nur möglich.

DIE FURCHE: Wie kann Kroatien jetzt von der Europäischen Union am meisten profitieren?

Zelic: Das meiste, wovon dieses Land profitieren kann, ist, wenn sich die Werte der EU hier festsetzen.

DIE FURCHE: Wie wird Kroatien in zehn Jahren aussehen?

Zelic: Es hängt alles von uns ab - von der Arbeit unserer Regierungen, vom Engagement unserer Bürger und natürlich auch der öffentliche Debatte in den Medien. Die Europäische Union ist ein guter Rahmen für eine positive Entwicklung Kroatiens, aber keine Garantie.

Das Gespräch führte Nina Brnada

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